Arzneimittel und Therapie

SSRI als Alternative zu Antipsychotika?

Agitiertes Verhalten tritt bei Alzheimer-Kranken oft als Begleitsymptom auf und stellt für Angehörige und Pflegepersonal eine besondere Herausforderung dar. Da die herkömmliche Therapie mit Antipsychotika nicht zufriedenstellend ist, wurde nun mit Citalopram eine neue Behandlungsmöglichkeit untersucht. Auf den ersten Blick vielversprechend – doch das Nebenwirkungsprofil lässt zu wünschen übrig.

Agitation beschreibt einen Symptomenkomplex aus erhöhter Anspannung, gesteigerter psychomotorischer Aktivität und aggressiver Verhaltensweise. Dieser Zustand ist schwer behandelbar und sowohl für die Demenz-Kranken als auch für ihre Angehörigen und das Pflegepersonal belastend (siehe Kasten „Alzheimer und Agitation“). Der selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer Citalopram stellt eine vielversprechende Alternative zu den derzeit eingesetzten Antipsychotika dar, wie erste Studien zeigten. Nun sollte in einer größer angelegten Studie die Wirksamkeit und Sicherheit von Citalopram bei Agitation im Rahmen einer Alzheimer-Erkrankung untersucht werden.

Die CitAD-Studie

Die sogenannte CitAD-Studie (Citalopram for Agitation in Alzheimer Disease-Study) wurde mit 186 Alzheimer-Patienten mit klinisch signifikanter Agitation in den USA und Kanada durchgeführt. Bei dieser randomisierten, placebokontrollierten Doppel-Blind-Studie erhielten die Probanden für die Dauer von neun Wochen neben einer psychosozialen Behandlung entweder Citalopram oder Placebo. Die Dosis von Citalopram begann mit 10 mg täglich und wurde innerhalb von drei Wochen auf 30 mg pro Tag gesteigert.

Als primäre Endpunkte wurden die Neurobehavioral Rating Scale - Subscale Agitation (NBRS-A) sowie die Modified Alzheimer Disease Cooperative Study-Clinical Global Impression of Change (mADCS-CGIC) definiert. Der NBRS-A-Score beurteilt auf einer Skala von 0 bis 18 agitiertes, feindseliges und enthemmtes Verhalten, während mADCS-CGIC das klinische Bild von Agitation speziell bei Alzheimer einstuft. Als sekundärer Endpunkt wurde unter anderem die Belastung des Pflegepersonals ermittelt. Als Merkmal für die kognitive Sicherheit wurde die Mini Mental State Examination (MMSE) durchgeführt. Nebenwirkungen wurden ebenfalls erhoben.

Citalopram dämpft Agitation

Die Gabe von Citalopram zeigte hinsichtlich beider primärer Endpunkte eine statistisch signifikante Überlegenheit gegenüber Placebo. Der NBRS-A-Score nach neun Wochen lag in der Citalopram-Gruppe bei durchschnittlich 4,33, verglichen mit 5,26 in der Placebo-Gruppe. Beim Parameter mADCS-CGIC zeigten 40% der Probanden in der Citalopram-Gruppe eine mäßige oder deutliche Besserung, verglichen mit 26% in der Placebo-Gruppe. Auch die Belastung des Pflegepersonals war bei Gabe von Citalopram signifikant geringer als unter Placebo.

Kardiale Nebenwirkungen

Wie die MMSE-Untersuchung zeigte, war die kognitive Beeinträchtigung der Probanden unter Citalopram deutlich stärker ausgeprägt als in der Placebo-Gruppe. Neben den bekannten Nebenwirkungen der SSRIs wie gastrointestinale Beschwerden, Atemwegsinfektionen und Stürze wurde in der Citalopram-Gruppe eine signifikante Verlängerung des QT-Intervalls, eine nicht unwesentliche kardiale Nebenwirkung, beobachtet.

Insgesamt konnte mit Citalopram in einer Dosis von 30 mg agitiertes Verhalten bei Alzheimer-Patienten deutlich gemindert und das Pflegepersonal entlastet werden. Hingegen sprechen die kognitive Verschlechterung und die kardialen Nebenwirkungen gegen den Einsatz von Citalopram in dieser Dosierung bei Alzheimer-Patienten.

Gary Small, Professor für Psychiatrie an der University of Los Angeles, meint in einem Editorial, dass weiterführende Untersuchungen nötig seien, um Wirksamkeit und Sicherheit von Citalopram bei geringerer Dosierung zu ermitteln. Er weist auch darauf hin, dass die Teilnehmer der Studie neben der Medikation eine psychosoziale Betreuung erhielten, was möglicherweise für den niedrigen Anteil an Studien-abbrechern spricht. Er empfiehlt Medizinern, mehr Augenmerk auf nicht-medikamentöse Interventionen zu legen und den Einsatz von Arzneimitteln sorgfältig abzuwiegen. 

Alzheimer und Agitation

Demenz-Erkrankungen sind neben kognitiven Störungen durch Veränderungen des Erlebens und Verhaltens charakterisiert. Dazu gehören Symptome des veränderten psychischen Erlebens (z.B. Depression oder Angst) und Verhaltenssymptome (z.B. Agitation). Das Auftreten solcher Symptome variiert in Häufigkeit, Dauer und Intensität.

Unter dem Begriff Agitation wird Unruhe mit erhöhter Anspannung und gesteigerte Psychomotorik verstanden. Häufig tritt verstärkte Reizbarkeit mit zum Teil konfrontativen Verhaltensweisen verbaler und körperlicher Art gegenüber anderen auf. Agitiertes Verhalten und Aggressivität stellen eine sehr hohe Belastung für Pflegende dar. Meist resultieren diese Verhaltensweisen aus dem Eindruck, sich nicht verständlich machen zu können.

Folgende medikamentöse Therapien stehen zur Verfügung:

Antipsychotika (Risperidon, Aripiprazol, Olanzapin): Risperidon ist als einziges Antipsychotikum zur Behandlung der schweren chronischen Aggressivität bei Demenz in Deutschland zugelassen. Aripiprazol wird aufgrund seiner Wirksamkeit gegen Agitation und Aggression als alternative Substanz zwar empfohlen, stellt aber einen Off-label-Gebrauch dar. Generell ist die Gabe von Antipsychotika bei Patienten mit Demenz mit einem erhöhten Risiko für Mortalität und für zerebrovaskuläre Ereignisse assoziiert.

Antikonvulsiva: Es gibt Hinweise auf eine günstige Wirkung von Carbamazepin auf Agitation und Aggression bei Demenz-Kranken. Carbamazepin kann nach fehlendem Ansprechen anderer Therapien empfohlen werden, ist allerdings ebenfalls eine Off-label-Behandlung.

Antidepressiva: Für Citalopram gibt es ebenfalls Hinweise auf eine Wirksamkeit. Der Einsatz ist allerdings durch dessen kardiale und kognitive Nebenwirkungen limitiert (siehe obenstehender Artikel).

Vor dem Hintergrund, dass die pharmakologische Behandlung von psychischen und Verhaltenssymptomen begrenzte Wirkung zeigt und zusätzlich mit Risiken für Nebenwirkungen und erhöhter Mortalität assoziiert ist, kommt den psychosozialen Interventionen in diesem Bereich eine besondere Rolle zu. Generell sollten alle verfügbaren und einsetzbaren psychosozialen Interventionen ausgeschöpft werden, bevor eine pharmakologische Intervention in Erwägung gezogen wird. Zur Prävention und Behandlung von psychischen und Verhaltenssymptomen bei Demenz-Erkrankten kann verstehende Diagnostik, validierendes Verhalten und Erinnerungspflege eingesetzt werden. In der akuten Situation können basale bzw. sensorische Stimulation, der Einsatz von Musik, Snoezelen, körperliche Berührung und körperliche Bewegung wirksam sein. Individuelles Verhaltensmanagement, Schulung von Angehörigen und Pflegenden sowie kognitive Stimulation sind wichtige Elemente bei der Behandlung von psychischen und Verhaltenssymptomen.

Quelle: S3-Leitlinie „Demenzen“ der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN), der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) in Zusammenarbeit mit der Deutschen Alzheimer Gesellschaft e.V. – Selbsthilfe Demenz (November 2009).

Quelle

Porsteinsson AP et al. Effect of Citalopram on Agitation in Alzheimer Disease. The CitAD Randomized Clinical Trial. JAMA 2014; 311(7): 682–691. doi: 10.1001/jama.2014.93

Small GW. Editorial. Treating Dementia and Aging. JAMA 2014; 311(7): 677–678.

 

Apothekerin Dr. Birgit Benedek

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