Honorierung

Varianten für die Umsetzung der Notdienstpauschale

Eine Analyse von Thomas Müller-Bohn | Die Finanzierung für die lange versprochene Nacht- und Notdienstpauschale ist mit dem neuen Konzept des Bundesgesundheitsministeriums gesichert. Bei der Verteilung des Geldes sind allerdings noch viele Fragen offen. Diese Analyse zeigt, welche Aspekte bereits klar sind und welche Lösungsmöglichkeiten sich für die ausstehenden Probleme bieten. Die genaue Formulierung der neuen gesetzlichen Vorgabe wird darüber entscheiden, wie viel mehr Bürokratie entsteht. Eine Verteilung über Notdienstkassen der Kammern erscheint als interessanter Kompromiss aus Zielorientierung und Minimierung des Aufwands.

Finanzierung

Lange hatten die politisch Verantwortlichen eine erneute Erhöhung des Festzuschlags für Apotheken abgelehnt, doch nun sieht das Bundesgesundheitsministerium darin den besten Weg, um das neue Notdiensthonorar umzusetzen. Der entscheidende Vorteil dieser Lösung ist die Finanzierung über die Arzneimittelpreisverordnung (AMPreisV), also ohne ein Gesetz und damit ohne den Bundesrat. Das Konzept sieht vor, den Festzuschlag um 16 Cent pro Packung zu erhöhen. Ausgehend von 761 Millionen Packungen verschreibungspflichtiger Arzneimittel (Rx-Packungen), die die Apotheken gemäß ABDA-Statistik im Jahr 2011 abgegeben haben, ergebe dies 121,8 Millionen Euro, also ziemlich genau die von der Politik angekündigten 120 Millionen Euro. Damit sichert das Konzept die Finanzierung des neuen Honorars – und dies ist für die Apotheker die wichtigste und erfreuliche Botschaft aus dem Gesundheitsministerium. Es gibt also mehr Geld für die Apotheken! Für die Kostenträger ist das zu finanzierende Volumen allerdings größer, denn der Finanzminister kann sich über die zusätzliche Mehrwertsteuer auf das neue Honorar freuen.

Verteilung des GKV-Anteils

Schwieriger als die Finanzierung ist bei dem neuen Konzept die Verteilung des Geldes. Hierzu soll eine Zweckbindung für das zusätzliche Honorar in das Apothekengesetz eingefügt werden. Das Konzept sieht vor, das Geld in einem Fonds zu sammeln und dann die einheitliche Pauschale pro Notdienst an die Apotheken auszuschütten. So werden auch in- und ausländische Versandapotheken an den Kosten der Notdienste beteiligt. Für die Einnahmen aus GKV-Verordnungen ist das Konzept relativ einfach darstellbar. Die Rechenzentren würden 16 Cent pro GKV-Rx-Packung zunächst einbehalten und das Geld in Abhängigkeit von den bescheinigten Notdiensten auszahlen. Ausgehend von 588,3 Millionen GKV-Rx-Packungen im Jahr 2011 (Quelle: Insight Health und Uwe Hüsgen, vgl. DAZ 35/2012, S. 47) wären dies 94,1 Millionen Euro.

Obwohl bisher stets von einem neuen "Fonds" die Rede ist, würde für die Verteilung dieses Geldes ein Verrechnungskonto bei den Rechenzentren ausreichen. Ein Fonds als eigene Rechtspersönlichkeit mit einem Verwaltungsrat und weiterer Bürokratie wäre allein für eine solche Verrechnung nicht nötig. Jede Vereinfachung würde den Apothekern zugute kommen, denn bei dem neuen Konzept gehen die Verwaltungskosten vollständig zulasten der Apotheker. Die Apotheker sollten sich daher für eine einfache Verteilung einsetzen.

Verteilung des Selbstzahler-Anteils

Schwieriger ist jedoch der Umgang mit dem Anteil der Selbstzahler, der im Detail noch nicht geklärt ist. Soweit das Konzept bisher bekannt ist, soll diese Verteilung von den Apothekern auf der Grundlage einer geplanten Änderung des Apothekengesetzes organisiert werden. Dafür müsste jede Apotheke die Zahl der an Selbstzahler abgegebenen Rx-Packungen ermitteln. Pro Rx-Packung würde sich ihr Anspruch gegenüber dem Fonds oder Verrechnungskonto um 16 Cent vermindern. Das bereits von den Selbstzahlern eingenommene Zusatzhonorar könnte mit der Forderung der Apotheke gegenüber dem Fonds verrechnet werden, um die Zahlung möglichst einfach zu handhaben. Die Ermittlung der Packungszahlen würde jedoch zu weiterem Verwaltungsaufwand in den Apotheken führen und wäre außerdem sehr manipulationsanfällig.

Die Verteilung soll nach den jüngsten Plänen unter Verantwortung der Apotheker erfolgen, und dies wäre auch unbedingt nötig, weil in allen anderen Fällen eine neue überbordende Überwachungsbürokratie droht. Doch auch Apothekerorganisationen bräuchten irgendeinen Kontrollmechanismus, der neue Mühen bereiten und durch zusätzliche Kosten das Honorar schmälern würde. Die zentrale Frage bleibt, wie die Zahl der Rx-Packungen für Selbstzahler zuverlässig ermittelt und überprüft werden kann.

Varianten mit weniger Bürokratie

Als einfachere Variante hatte DAZ-Chefredakteur Dr. Benjamin Wessinger im jüngsten AZ-Kommentar (siehe AZ 9) ins Gespräch gebracht, den Anteil der Selbstzahler bei den Apotheken zu belassen und nur den GKV-Anteil umzuverteilen. Der Selbstzahler-Anteil käme dann allerdings bevorzugt bei umsatzstarken Apotheken mit hohem Anteil an PKV- und anderen Selbstzahler-Rezepten an, natürlich auch bei Versandapotheken, und eher nicht bei Landapotheken mit hoher Notdienstbelastung. Der Zweck der Neuregelung würde damit nur teilweise erreicht, aber diese Variante ist einfach, nicht manipulierbar, erfordert nur minimalen Verwaltungsaufwand und bringt daher in der Summe das meiste Geld ein. Eine abgewandelte Version dieser Idee wäre, nur denjenigen Apotheken den GKV-Anteil zu gewähren, die ihre Selbstzahler-Rx-Packungen freiwillig melden. Der Erfassungsaufwand in der Apotheke würde dann freiwillig erbracht und die teilnehmenden Apotheken könnten den GKV-Anteil der nicht meldenden Apotheken zusätzlich unter sich aufteilen. Dies würde die Bevorzugung der Apotheken mit vielen Selbstzahlern im Vergleich zur vorher beschriebenen Variante etwas abmildern. Wenn das Gesetz eine Zweckbindung für die zusätzlichen 16 Cent aus allen Verordnungen vorsieht, wären diese einfachen Varianten jedoch nicht zulässig.

Kompromissvorschlag

Die genaue Formulierung der gesetzlichen Zweckbindung wird entscheidend sein. Wenn 16 Cent pro Rx-Packung ausdrücklich als Honorarvolumen festgelegt werden, führt kein Weg an der genauen Ermittlung aller dieser Packungen vorbei. Andere Formulierungen würden hingegen einfachere Kompromisslösungen ermöglichen. Wenn das Gesetz weder den Rechenweg noch den genauen Betrag festlegt, sondern nur Grenzen setzt, entsteht Spielraum für weniger bürokratische Lösungen. In einem FDP-geführten Ministerium sollte dieser Gedanke gut vermittelbar sein. Beispielsweise könnten die Kammern ermächtigt werden, Notdienstkassen (oder "Fonds") einzuführen, um eine Notdienstpauschale auszuschütten. Dabei könnten Mindest- und/oder Höchstbeträge für das zu verteilende Finanzvolumen festgelegt werden. Damit könnten der gewünschte Zweck und ansatzweise das Volumen gesetzlich festgelegt werden, aber die Apotheker wären in der Wahl der Mittel freier. So könnten die Kammern beispielsweise Notdienstkassen-Beiträge in Abhängigkeit vom gesamten Apothekenumsatz erheben. Die Orientierung am Gesamtumsatz entspricht zwar nicht ganz den bisherigen Ideen, aber die Orientierung an den Rx-Packungen war letztlich der Finanzierung geschuldet und muss nicht auf die Verteilung übertragen werden. Die Trennung von Finanzierung und Verteilung schafft hier einen Spielraum. Der Umsatz ist einfach zu ermitteln und über steuerliche Unterlagen zu überprüfen. Wegen der umsatzabhängigen Kammerbeiträge liegen die Daten bei den meisten Kammern ohnehin vor. Der zusätzliche Verwaltungsaufwand wäre damit minimal. Sogar die Verteilung der 16 Cent pro GKV-Rx-Packung über die Rechenzentren würde sich erübrigen. Mit einem gewissen Freiraum in der neuen gesetzlichen Vorgabe erscheint also eine Umsetzung ohne viel neue Bürokratie vorstellbar.

Gesetzliche Vorgabe entscheidend

Daher wird erst die endgültige Formulierung der gesetzlichen Neuregelung entscheiden, wie das Notdiensthonorar verteilt werden kann. Möglicherweise wird die Änderung im Rahmen des geplanten Präventionsgesetzes eingeführt. Doch die Zukunft solcher Gesetzgebungsverfahren ist angesichts der Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat nur schwer vorherzusehen. Es ist daher nicht auszuschließen, dass die gesetzliche Regelung zur Verteilung länger dauert als die Erhöhung des Festzuschlags um 16 Cent in der AMPreisV. Eine solche Verzögerung würde zwar einzelne Apotheken benachteiligen, ginge aber endlich einmal nicht zulasten der Apotheker insgesamt – und auch dies ist eine gute Nachricht.

Die genaue Formulierung der gesetzlichen Vorgabe und die daraus folgende Verteilung werden auch den Betrag beeinflussen, der letztlich pro Notdienst ausgeschüttet werden kann. Das verfügbare Volumen wird auch von den Verwaltungskosten abhängen. Außerdem kündigte die ABDA an, die genaue Zahl der Notdienste nochmals zu prüfen, und es ist noch immer nicht klar, wie die Honorare für Spätdienste, Nachtdienste und ganztägige Notdienste genau unterschieden werden. Mit so vielen Unbekannten kann ein exakter Betrag noch nicht berechnet werden. Unterschiedliche kursierende Zahlen taugen jedoch nicht als Anlass für Verschwörungstheorien, sondern zeigen die Vielzahl der offenen Fragen. Klar ist allerdings aufgrund der Form der nun gewählten Finanzierung, dass zusätzliche Notdienste das Honorar pro Notdienst mindern. Stärker konzentrierte Notdienstsysteme würden die Pauschale dagegen erhöhen.

Fernere Zukunft

Letztlich ist zu klären, wie das neue Notdiensthonorar langfristig an die Kostenentwicklung angepasst wird. Da es über die AMPreisV finanziert wird, liegt nahe, diesen Aspekt bei künftigen Anpassungen der AMPreisV zu berücksichtigen. Eine solche Klarstellung, zumindest in der Gesetzesbegründung, wäre hilfreich. Über die Notdiensthonorierung hinaus könnte das neue Konzept künftig auch für andere Zwecke genutzt werden. Wenn die Umwandlung der packungsbezogenen Einnahmen in eine Notdienstpauschale funktioniert, könnten auch andere Leistungen so honoriert werden, beispielsweise Rezepturen, aber auch neue Dienstleistungen, wie es Dr. Reinhard Herzog in einem Diskussionsbeitrag auf DAZ.online prognostizierte. Die Folgen könnten damit langfristig weit über die Notdiensthonorierung hinausgehen.


Autor


Dr. Thomas Müller-Bohn

ist Apotheker und Dipl.-Kaufmann. Er ist Lehrbeauftragter für Pharmakoökonomie am pharmazeutischen Institut der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. In der DAZ-Redaktion ist er insbesondere für Wirtschaft und Pharmakoökonomie zuständig.


Dr. Thomas Müller-Bohn, Seeweg 5 A, 23701 Süsel E-Mail: mueller-bohn@t-online.de




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