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In der Falle

Dr. Doris Uhl Chefredakteurin der DAZ

Als im letzten Jahr Klinikapotheker und Onkologen vor dem Hintergrund zunehmender Lieferengpässe die Öffentlichkeit gesucht haben, wollte die Politik kein Problem sehen. Inzwischen ist das Thema auch hier angekommen – und es breitet sich eine gewisse Nervosität aus. Ende Januar hatte das Bundesministerium für Gesundheit eingeladen, um mit Apothekern, Ärzten, Klinikvertretern, Herstellern und Großhändlern über Lieferengpässe in der Arzneimittelversorgung zu sprechen und nach Lösungen zu suchen. Alle Beteiligten wurden aufgefordert, ihre Positionen darzulegen. Sie werden zurzeit im BMG geprüft (s. S. 56).

Zu den Lösungsvorschlägen zählt zunächst einmal die Erstellung einer Liste lebensnotwendiger Arzneimittel, für die es keinen Ersatz gibt. Eine Liste für die entsprechenden onkologischen Arzneimittel wurde inzwischen erarbeitet.

Zudem wurde vonseiten der Ärzte- und Apothekerschaft die Einführung eines zentralen Melderegisters nicht lieferbarer Arzneimittel in Anlehnung an den Current-drug-shortage-Index der FDA gefordert. Ein Vorschlag, der bei den Herstellern nicht uneingeschränkt auf Gegenliebe gestoßen ist. Sie wollen erst einmal definieren was ein Liefer- und was ein Versorgungsengpass ist. Dann müsse entschieden werden, wer welchen Engpass wann auf welcher Basis – freiwillig oder gesetzlich vorgeschrieben – meldet.

Diskutiert wird auch eine Verlängerung der gesetzlich vorgeschriebenen Lagerreichweite wichtiger Arzneimittel: es steht die Forderung einer nationalen Arzneimittelreserve für ein halbes Jahr im Raum.

Doch alle diese Vorschläge werden das Problem der Lieferengpässe nicht lösen, weil sie die Ursachen außer Acht lassen. Wir sind inzwischen in einem solchen Maße von der Herstellung in den Drittländern Indien und China abhängig, dass jede bei uns getroffene gesetzliche Regelung ins Leere läuft, wenn dort beispielsweise entschieden wird, den eigenen, ständig wachsenden Arzneimittelbedarf zu befriedigen oder wenn andere Staaten einen besseren Preis zahlen. Die Abhängigkeit wird uns gerade im Zusammenhang mit der ab dem 2. Juli 2013 vorgesehenen " written confirmation" als Voraussetzung für den Wirkstoffimport aus Drittländern vor Augen geführt (s. a. DAZ 2012, Nr. 5, S. 42 ff.). Hier muss das Herstellungsland nicht nur die Einhaltung der GMP-Standards bestätigen, sondern auch die regelmäßige Überwachung der Herstellungsstätte und die Information hiesiger Behörden im Falle von Unregelmäßigkeiten garantieren. Doch vor allem in China soll sich Widerstand regen. Man will und man muss sich wohl von anderen nicht mehr vorschreiben lassen, wie zu produzieren, zu überwachen und zu zertifizieren ist.

Hinzu kommt, dass durch Konzentrationsprozesse für viele Wirkstoffe nur noch wenige Lieferanten zur Verfügung stehen, immer häufiger gibt es nur noch eine Produktionsstätte. Treten dort Probleme auf, bleiben bei uns die Lager leer. Dann nützt es auch nichts, wenn bei Ausschreibungen statt einem Vertragspartner mehrere zum Zuge kommen. Es sei denn, Wirkstofflieferanten und Lohnhersteller müssten endlich öffentlich gemacht werden, so dass klar ist, dass die in Frage kommenden Vertragspartner ihre Ware aus verschiedenen Kanälen erhalten.

Die Konsequenzen der Konzentrationsprozesse spüren wir schon lange, insbesondere in der Zytostatikaversorgung. Zwar scheint sich der Schaden für die Patienten bislang in Grenzen zu halten. Doch das ist vor allem dem umsichtigen Management der für die Versorgung verantwortlichen Apotheker insbesondere in den Kliniken zu verdanken. Wie im Rahmen des Branchentreffs Onkologie am 21. Februar 2013 in Berlin zu erfahren war, müssen sie dabei auch immer wieder auf den Import nicht zugelassener Arzneimittel zurückgreifen und sich dabei über gesetzliche Regelungen hinwegsetzen. Dass die Überwachungsbehörden dabei zuschauen (müssen), ist schon ein besonderer Offenbarungseid. Wir müssen feststellen, dass wir nicht mehr in der Lage sind, unsere hehren Qualitätsansprüche im Markt durchzusetzen. Wir haben das Heft nicht mehr in der Hand.

Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, dass die Angst vor großflächigen Versorgungsengpässen mit lebensnotwendigen Arzneimitteln wächst. Um aus dieser Abhängigkeitsfalle herauszukommen, muss ein radikales Umdenken einsetzen. Wir müssen unsere Versorgung in Europa mit Produktionsstätten in Europa sicherstellen und zwar so, dass wir für unentbehrliche Arzneimittel nicht nur auf einen Lieferanten oder Hersteller angewiesen sind. Das wird nicht ohne gesetzliche Vorgaben und Unterstützung gehen. Und das wird auch nicht zum Nulltarif zu haben sein. Aber es ist der einzige Weg aus der Abhängigkeitsfalle und der einzige Weg, eine qualitativ hochwertige Arzneimittelversorgung in Deutschland und Europa sicherzustellen.


Dr. Doris Uhl



DAZ 2013, Nr. 9, S. 3

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