Arzneimittel und Therapie

Axitinib bei Nierenzellkarzinom

Seit September 2012 ist der Tyrosinkinase-Inhibitor Axitinib (Inlyta®) zur Zweit-Linien-Therapie des fortgeschrittenen Nierenzellkarzinoms zugelassen. Axitinib wird nach Versagen einer Behandlung mit Sunitinib oder einem Zytokin eingesetzt und ermöglicht so eine effektive Weiterbehandlung, die sich in einem verlängerten progressionsfreien Überleben niederschlägt.
Axitinib

In Deutschland erkranken jährlich rund 10.700 Männer und 6.500 Frauen an einem Nierenzellkarzinom. Diese Rate ist seit rund 15 Jahren gleich bleibend, nachdem in den 1990er Jahren ein deutlicher Anstieg zu verzeichnen war. Bei konstanter Inzidenz (Zahlen für Deutschland 2008: 22/100.000 für Männer und 10/100.000 für Frauen) wurden in den letzten Jahren eine Abnahme der Mortalität und eine Zunahme der Prävalenz verzeichnet. Dies geht unter anderem auf demographische Veränderungen und verbesserte Überlebensaussichten zurück. Die insgesamt verbesserte Prognose von Patienten mit einem Nierenzellkarzinom ist nicht zuletzt auf neue medikamentöse Therapien zurückzuführen, die seit einigen Jahren zur Verfügung stehen. Am wirksamsten sind Operation und systemische Therapie, wobei die chirurgische Entfernung des Tumors die einzige kurative Maßnahme ist. Im fortgeschrittenen, metastasierten Stadium ist meist nur eine palliative Therapie möglich. Hierzu werden derzeit knapp zehn Wirkstoffe in der Erst- oder Zweit-Linie eingesetzt. Die Auswahl richtet sich unter anderem nach dem Allgemeinzustand des Patienten, prognostischen Faktoren, dem Nebenwirkungsspektrum und dem Ansprechen auf eine Therapie. Die früher durchgeführte Immuntherapie mit Interferon alpha oder Interleukin 2 wies nur mäßige Erfolge auf. Deutlich bessere Therapieergebnisse werden mit den mTOR-Inhibitoren Everolimus und Temsirolimus, dem Angiogenese-Hemmer Bevacizumab sowie den Tyrosinkinase-Inhibitoren Pazopanib, Sorafenib und Sunitinib erzielt. Bei vielen Patienten werden beim Fortschreiten der Erkrankung mehrere Substanzen mit unterschiedlichen Wirkprofilen als Sequenztherapie eingesetzt, wobei der Ablauf der Sequenz derzeit noch nicht geklärt ist. Mit Axitinib steht nun eine weitere Therapieoption zur Verfügung.


Steckbrief: Axitinib


Handelsname: Inlyta


Hersteller: Pfizer Pharma, Berlin


Einführungsdatum: 1. Oktober 2012


Zusammensetzung: 1 Tablette enthält 1 bzw. 5 mg Axitinib. Sonstige Bestandteile: Tablettenkern: mikrokristalline Cellulose, Lactose-Monohydrat, Croscarmellose-Natrium, Magnesiumstearat. Filmüberzug: Hypromellose, Titandioxid (E 171), Lactose-Monohydrat, Triacetin (E 1518), Eisen(III)-oxid (E 172)


Packungsgrößen, Preise und PZN: 5-mg-Filmtabletten: 56 Stück, 5.596,38 Euro, PZN 9890024; 1-mg-Filmtabletten: 56 Stück, 1.153,30 Euro, PZN 9890030


Stoffklasse: Zytostatika, antineoplastische Mittel, Proteinkinase-Inhibitoren. ATC-Code: L01XE 17


Indikation: Behandlung des fortgeschrittenen Nierenzellkarzinoms (renal cell cancer, RCC) bei erwachsenen Patienten nach Versagen einer vorangegangenen Therapie mit Sunitinib oder einem Zytokin.


Dosierung: Zweimal täglich 5 bis 10 mg, bei Nebenwirkungen ist Reduktion auf zweimal 2 bis 3 mg möglich.


Gegenanzeigen: Überempfindlichkeit gegen Axitinib oder einen der sonstigen Bestandteile.


Nebenwirkungen: Sehr häufig: Hypothyreose; verminderter Appetit; Kopfschmerzen; Hypertonie, Hämorrhagie; Dysphonie; Diarrhö, Erbrechen, Nausea, Stomatitis, Obstipation; palmar-plantares Erythrodysästhesie-Syndrom (Hand-Fuß-Syndrom), Ausschlag, trockene Haut; Proteinurie; Müdigkeit, Asthenie, Mukositis; Gewichtsabnahme. Häufig: Anämie, Thrombozytopenie; Dehydratation; Schwindel; Tinnitus; venöse und arterielle embolische und thrombotische Ereignisse; Dyspnoe, Husten, oropharyngealer Schmerz; häufig: Bauchschmerzen, Oberbauchschmerzen, Dyspepsie, Blähungen, Hämorrhoiden; Pruritus, Erytheme, Alopezie; Myalgie, Arthralgie, Schmerz in den Extremitäten; Nierenversagen; Erhöhung des Thyreoidea-stimulierenden-Hormons (TSH), der Lipase, der Alanin-Aminotransferase, der Aspartat-Aminotransferase, der alkalischen Phosphatase, der Amylase.


Wechselwirkungen: Axitinib wird hauptsächlich über CYP3A4/5 metabolisiert. Die gleichzeitige Gabe von Axitinib mit starken CYP3A4/5-Inhibitoren kann die Axitinib-Plasmakonzentrationen erhöhen. Die gleichzeitige Gabe von Axitinib mit starken CYP3A4/5-Induktoren kann die Axitinib-Plasmakonzentrationen herabsetzen.


Warnhinweise und Vorsichtsmaßnahmen: Vor Einleitung einer Axitinib-Therapie sollte der Blutdruck gut eingestellt worden sein. Vor Beginn einer Axitinib-Behandlung und regelmäßig während der Therapie sollte die Schilddrüsenfunktion kontrolliert werden. Bei Patienten mit einem Risiko für arterielle oder venöse embolische und thrombotische Ereignisse in der Vorgeschichte sollte Axitinib mit Vorsicht angewendet werden. Während der gesamten Behandlung mit Axitinib sollte eine Überwachung im Hinblick auf Symptome einer gastrointestinalen Perforation stattfinden. Die Leberfunktion sollte vor Beginn einer Axitinib-Behandlung und regelmäßig während der Therapie kontrolliert werden.

Hohe relative Hemmstärke

Axitinib ist ein oraler Tyrosinkinase-Hemmer der vaskulären endothelialen Wachstumsfaktoren (VEGF-Rezeptoren) 1 bis 3 und unterbindet dadurch die intrazellulären Signaltransduktionskaskaden von Zellwachstum, Metastasenbildung und Angiogenese (siehe Abbildung). Er entfaltet seine Wirkung bereits im subnanomolaren Konzentrationsbereich. Damit ist seine relative Hemmstärke 50- bis 450-mal höher als bei den Tyrosinkinase-Inhibitoren der ersten Generation wie etwa Sorafenib oder Sunitinib. Axitinib unterscheidet sich auch im Hinblick auf seine relative Spezifität (Blockade von VEGF-Rezeptoren 1 bis 3) von den älteren Tyrosinkinase-Hemmern, die andere und mehr Targets blockieren. Daraus resultieren unterschiedliche Nebenwirkungen.

Die Angiogenese spielt eine entscheidende Rolle, wenn ein inaktiver Tumor maligne entartet. Die Bildung neuer Gefäße wird durch verschiedene Wachstumsfaktoren eingeleitet. Der Vascular Endothelial Growth Factor (VEGF) ist ein zellspezifisches Glykoprotein, das an einen spezifischen VEGF-Rezeptor bindet. Dieser gehört zu den Tyrosinkinase-Rezeptoren, die in die pathologische Angiogenese, Wachstum und Metastasierung von Tumoren involviert sind. Axitinib ist ein potenter selektiver Tyrosinkinaseinhibitor der VEGF-Rezeptortypen 1, 2 und 3, der oral appliziert werden kann. Beim sehr angiogenen Nierenzellkarzinom führte es zu einer Schrumpfung des Tumors.
[Quelle: Dossier zur Nutzenbewertung, Pfizer Pharma GmbH]

Nach oraler Applikation beträgt die Bioverfügbarkeit im Vergleich zur intravenösen Gabe 58%. Die Plasmahalbwertszeit liegt bei 2,5 bis 6 Stunden. Ein Steady State liegt innerhalb von zwei bis drei Tagen nach der Einnahme der Initialdosis vor.

Interaktion mit Grapefruit

Der Wirkstoff wird vorwiegend hepatisch metabolisiert. In-vitro-Daten weisen darauf hin, dass dies hauptsächlich über CYP3A4/5 und, in geringerem Ausmaß, über CYP1A2, CYP2C19 und Uridindiphosphat-Glucuronosyltransferase (UGT) 1A geschieht. Axitinib sollte nicht gleichzeitig mit starken Inhibitoren oder Induktoren von CYP3A4/5 verabreicht werden, da ansonsten die Plasmakonzentration von Axitinib erhöht bzw. reduziert werden kann. Ebenso kann Grapefruit die Plasmakonzentrationen von Axitinib erhöhen.

Die häufigsten Nebenwirkungen (> 20%) aller Schweregrade sind Diarrhö, Hypertonie, Fatigue, Übelkeit, Appetitlosigkeit, Stimmstörungen und das Hand-Fuß-Syndrom. Häufige Nebenwirkungen (> 10%) der Schweregrade 3/4 sind Hypertonie und Diarrhö.

Axitinib ist zugelassen für die Therapie des fortgeschrittenen Nierenzellkarzinoms bei erwachsenen Patienten nach Versagen einer vorangegangenen Therapie mit Sunitinib oder einem Zytokin (Immuntherapie). Die empfohlene Standarddosierung beträgt zweimal täglich 5 mg. Diese Dosis kann bei Bedarf individuell angepasst werden. Axitinib kann nüchtern oder mit der Nahrung eingenommen werden.

Tumorzellwachstum gehemmt

Beim Nierenzellkarzinom ist die durch VEGF vermittelte Angiogenese von großer Bedeutung, da die überwiegende Mehrzahl der Nierenzellkarzinome VEGF überexprimiert. An experimentellen Tumormodellen wurde gezeigt, dass Axitinib über eine Inhibition der VEGF-Rezeptoren das Tumorzellwachstum und die Tumorausbreitung hemmt.

Vergleich mit Sorafenib

In der klinischen Zulassungsstudie AXIS (Axitinib versus Sorafenib in advanced renal cell carcinoma) wurde Axitinib mit Sorafinib, dem aktuellen Standard in der Zweit-Linien-Therapie verglichen. An der multizentrischen, randomisierten Phase-III-Studie nahmen 723 Patienten teil, die an einem fortgeschrittenen Nierenzellkarzinom erkrankt waren und die zuvor eine Erst-Linien-Therapie mit Sunitinib, einem Zytokin, Temsirolimus oder Bevacizumab erhalten hatten. Der primäre Studienendpunkt war das mediane progressionsfreie Überleben. In der Auswertung zeigte Axitinib im Vergleich mit Sorafenib ein verlängertes progressionsfreies Überleben von mehr als zwei Monaten. Der Zugewinn an progressionsfreiem Überleben war von der Erst-Linien-Therapie abhängig und besonders ausgeprägt nach einer Erst-Linien-Behandlung mit einem Zytokin. Auch bei sekundären Studienendpunkten wie der objektiven Ansprechrate zeigte sich ein Vorteil für Axitinib im Vergleich mit Sorafenib.

Selektivität der Tyrosinkinaseinhibitoren Wie Axitinib hemmen Sorafenib, Sunitinib und Pazopanib die Tyrosinkinase der VEGF-Rezeptoren. Welche Konzentration eines Wirkstoffes benötigt wird, um einen Rezeptor zu 50% zu inhibieren, wird mit der IC50 ausgedrückt. Je kleiner der Wert, desto größer die Selektivität. Axitinib weist eine sehr niedrige IC50 für die VEGF-Rezeptorfamilie auf. Dies bedeutet eine vergleichsweise hohe Selektivität zu den VEGF-Rezeptoren 1, 2 und 3.
[Quelle: Dossier zur Nutzenbewertung, Pfizer Pharma GmbH]

IQWiG: Anhaltspunkt für einen beträchtlichen Zusatznutzen

In einer Veröffentlichung vom 2. Januar 2013 stellt das IQWiG (Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen) seine Bewertung von Axitinib vor und hält darin fest, dass die Zulassungsstudie keine Hinweise auf statistisch signifikante Unterschiede im Hinblick auf das Gesamtüberleben, die Symptomatik und die gesundheitsbezogene Lebensqualität gibt. Hingegen liegen relevante Unterschiede bei den unerwünschten Ereignissen vor. So traten Haarausfall, Hautausschlag und das Hand-Fuß-Syndrom unter der Einnahme von Axitinib seltener auf, hingegen wurden unter der Therapie mit Sorafenib weniger Stimmstörungen verzeichnet. In seiner Bewertung kommt das IQWiG zu folgendem Schluss: "Es gibt für Patienten mit fortgeschrittenem metastasiertem Nierenzellkarzinom nach Versagen einer vorangegangenen Therapie mit einem Zytokin einen Anhaltspunkt für einen beträchtlichen Zusatznutzen von Axitinib gegenüber der zweckmäßigen Vergleichstherapie Sorafenib. Ein Zusatznutzen von Axitinib gegenüber der zweckmäßigen Vergleichstherapie Everolimus nach Versagen einer vorangegangenen Therapie mit Sunitinib ist nicht belegt." (siehe auch DAZ Nr. 1/2, 2013).

Das Vorgehen zur Ableitung einer Gesamtaussage zum Zusatznutzen ist ein Vorschlag des IQWiG. Über den Zusatznutzen beschließt der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA). Das Ergebnis der frühen Nutzenbewertung wird Ende März 2013 erwartet.

Empfehlung der Leitlinien

Derzeit findet sich eine Empfehlung für den Einsatz von Axitinib in den aktuellen Leitlinien der European Society for Medical Oncology (ESMO). In dieser neuesten Leitlinie zum Nierenzellkarzinom wird Axitinib mit dem Evidenzgrad IA zur Zweit-Linien-Therapie des fortgeschrittenen Nierenzellkarzinoms empfohlen, wenn die Erkrankung unter einer Zytokinbehandlung fortschreitet.


Quelle

Fachinformation Inlyta® , Stand September 2012.

Rini B, et al. Comparative effectiveness of axitinib versus sorafenib in advanced renal cell carcinoma (AXIS): a randomized phase 3 trial. Lancet 2011; 378, 1931 – 1939.

Krebs in Deutschland – Häufigkeit und Trends. www.rki.de

www.g-ba.de/informationen/nutzenbewertung/40/

Dossier zur Nutzenbewertung gemäß § 35a SGB V, Axitinib (Inlyta®) der Pfizer Pharma GmbH, Stand September 2012.

www.clinicaltrials.gov (NCT00678392; Zugriff am 14. Februar 2013)

http://annonc.oxfordjournals/org


Apothekerin Dr. Petra Jungmayr



DAZ 2013, Nr. 8, S. 38

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