Arzneimittel und Therapie

Entwarnung für Fluorchinolone

Risiko für Netzhaut-Ablösung nicht bestätigt

Im letzten Jahr brachte eine kanadische Fall-Kontroll-Studie die Fluorchinolone erstmals mit dem Risiko für eine Retina-Ablösung in Zusammenhang. Jetzt gibt eine im JAMA veröffentlichte Studie Entwarnung: Das Risiko konnte nicht bestätigt werden.

In Deutschland sind Fluorchinolone eine bedeutsame Verordnungsgruppe unter den Antibiotika. Schon lange ist bekannt, dass Fluorchinolone das Risiko für eine Sehnenruptur erhöhen. Weitere Nebenwirkungen wie Leberschäden, neurologische Störungen, Herzrhythmusstörungen und muskuloskelettale Nebenwirkungen etc. haben in der Vergangenheit immer wieder zu Risikomeldungen, Indikationseinschränkungen und sogar Marktrücknahmen geführt. Initiiert durch Fallberichte untersuchten kanadische Wissenschaftler 2012 erstmals das Risiko einer Netzhaut-Ablösung und stellten ein signifikant erhöhtes Risiko für orale Fluorchinolone fest. In absoluten Zahlen betrachtet relativierte sich der Effekt jedoch. Diese Studie beschränkte sich allein auf Patienten in augenärztlicher Behandlung. Dänische Wissenschaftler untersuchten daraufhin in einer registergestützten Kohortenstudie, ob sich die Ergebnisse für die Allgemeinbevölkerung bestätigen ließen.

In die Studie wurden dänische Einwohner im Alter über 18 Jahren aufgenommen. Personen, die bestimmte ophthalmologische Vorerkrankungen oder Operationen aufwiesen, wurden von der Untersuchung ausgeschlossen. Weitere mögliche Störgrößen (Confounder) wurden in der Analyse ebenso berücksichtigt. Im Zeitraum von Januar 1997 bis Dezember 2011 konnten 748.792 Verschreibungen oraler Fluorchinolone identifiziert werden. Ciprofloxacin stellte das am häufigsten (88%) verordnete Antibiotikum dar, gefolgt von Ofloxacin (9%), Fleroxacin (1%), Moxifloxacin (0,8%) und anderen Fluorchinolonen (0,7%). Mit insgesamt 5.520.446 Kontroll-Episoden (ohne Medikation) wurden jeder Verschreibung bis zu zehn Kontrollen zugeordnet. Dokumentiert wurden alle Retina-Ablösungen, die innerhalb von 180 Tagen nach Behandlungsbeginn auftraten und unmittelbar danach (innerhalb von 14 Tagen) operativ behandelt wurden. Eine „aktuelle“ Behandlung entsprach den ersten zehn Therapie-Tagen. Als weitere Untersuchungszeiträume wurden eine „kürzliche Therapie“ (Tage 11 bis 30), „vergangene Therapie“ (Tage 31 bis 60) und „entfernte Therapie“ (Tage 61 bis 180) definiert.

Risiko nicht signifikant erhöht

Insgesamt wurden 566 Fälle von Netzhaut-Ablösungen dokumentiert. Davon traten 494 in der Kontroll-Kohorte und 72 bei den Anwendern von Fluorchinolonen auf. Im Vergleich zur Kontrollgruppe war das Risiko (adjusted relative risk) für eine Netzhaut-Ablösung in keinem der definierten Zeitfenster (aktuelle Therapie: 1,29; kürzliche Therapie: 0,97; vergangene Therapie: 1,37; entfernte Therapie 1,27) signifikant erhöht. In absoluten Zahlen ausgedrückt waren 1,5 zusätzliche Fälle pro 1 Million aktueller Fluorchinolon-Anwendungen zu verzeichnen. Bedingt durch die limitierte „Power“ der Studie kann allerdings nur ein mehr als dreifach erhöhtes Risiko ausgeschlossen werden. Die Auswertung basierte allein auf Verschreibungsdaten. Die Autoren setzten eine zehntägige Einnahme voraus. Die tatsächliche Dauer der Einnahme ist unbekannt. In Deutschland sind derzeit sechs Fluorchinolone (Ciprofloxacin, Levofloxacin, Norfloxacin, Ofloxacin, Moxifloxacin, Enoxacin) zugelassen. Die Studienergebnisse lassen jedoch hauptsächlich Rückschlüsse für Ciprofloxacin zu.

Fraglich ist, welche Konsequenzen diese kontroversen Ergebnisse nach sich ziehen. Hinzu kommt, dass eine zeitgleich im Journal Clinical Infectious Diseases veröffentlichte retrospektive Kohortenstudie aus Taiwan die Einnahme oraler Fluorchinolone ebenso mit dem Auftreten einer rissbedingten (rhegmatogenen) Netzhaut-Ablösung in Zusammenhang brachte. Die Food and Drug Administration (FDA) führt in ihren Sicherheitsinformationen zu Fluorchinolonen auf, dass keine Maßnahmen ergriffen werden müssen (letzte Aktualisierung 31. Oktober 2013). Mögliche Risiken sollten jedoch immer bedacht und abgewogen werden. Sie erscheinen letztlich akzeptabler, je besser die jeweilige Indikation validiert ist. 

Quelle

Pasternak B, Svanström H, Melbye M, Hviid A. Association Between Oral Fluoroquinolone Use and Retinal Detachment. JAMA. 2013; 310(20): 2184-2190. doi:10.1001/jama.2013.280500.

 

Apothekerin Carina John, Pharm.D.

Das könnte Sie auch interessieren

Nicht erkannte Netzhautablösung kann zur Erblindung führen

Gefährlicher Schwebezustand

Risiko-Patienten sind besonders gefährdet

Fluorchinolone können Dissektion der Aorta verursachen

Interaktion mit Phenprocoumon oft nicht erwähnt

Antibiotika erhöhen das Blutungsrisiko

Die Liste potenzieller Nebenwirkungen ist lang, oft fehlen jedoch handfeste Beweise

Fluorchinolone unter Verdacht

Häufiger periphere Neuropathien als unter Amoxicillin-Clavulanat

Risikoerhöhung unter Fluorchinolonen

Fluorchinolone unter kritischer Beobachtung

Stimmt die Nutzen-Risiko-Bilanz noch?

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.