Arzneimittel und Therapie

Afatinib gegen Lungenkarzinom

Progressionsfreies Überleben beim NSCL verlängert

Ende September wurde von der europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) die Zulassung für Afatinib (Giotrif®) zur Behandlung von Patienten mit lokal fortgeschrittenem und/oder metastasiertem nicht-kleinzelligem Lungenkarzinom mit aktivierenden EGFR-Mutationen erteilt. Die Zulassung umfasst die Erst-Linien-Therapie und spätere Behandlungslinien bei Patienten, die keine vorangegangene Therapie mit EGFR-Tyrosinkinaseinhibitoren erhalten haben.

Das nicht-kleinzellige Lungenkarzinom (NSCL) macht rund 80% aller malignen Lungentumore aus und wird histologisch in die zwei großen Gruppen der Plattenepithel- und Adenokarzinome unterteilt. Adenokarzinome können wiederum nach Vorliegen bestimmter Mutationen in weitere Gruppen untergliedert werden. Wie Prof. Dr. Rainer Wiewrodt, Münster, bei einer von Boehringer Ingelheim unterstützten Pressekonferenz in Wien betonte, ist die Unterteilung in Subgruppen für die Therapie von entscheidender Bedeutung, da mit der Wahl des richtigen Wirkstoffs der Behandlungserfolg deutlich verbessert werden kann. Diese Tendenz – die Entwicklung spezifischer Therapeutika für immer kleinere Patientengruppen – zeigt sich in der gesamten Onkologie. Ein typisches Beispiel ist Afatinib, das bei einer bestimmten Untergruppe von Adenokarzinomen der Lunge, nämlich bei Vorliegen von Mutationen am epidermalen Wachstumsfaktor-Rezeptor eingesetzt wird.

Blockade aller wachstumsrelevanter EGF-Rezeptoren

Afatinib ist ein irreversibler Inhibitor der epidermalen Wachstumsfaktor-Rezeptoren. Die Familie der Wachstumsfaktor-Rezeptor-Tyrosinkinasen (ErbB-Family) besteht aus den Rezeptoren EGFR (ErbB1), HER2 (ErbB2), ErbB3 und ErbB4 und deren Tyrosinkinasen. Diese Rezeptoren sind bei vielen Tumorentitäten überexprimiert oder mutiert, so etwa beim Lungenkarzinom, bei Brustkrebs, Kopf-Hals-Tumoren oder kolorektalen Tumoren. Ihre Aktivierung, die durch extrazelluläre Liganden (derzeit sind knapp 60 bekannt) erfolgt, führt zu einer Dimerisierung der Rezeptoren, wobei unterschiedliche Paarbildungen möglich sind (Homodimere und Heterodimere). Diese Dimerisierung hat die intrazelluläre Aktivierung von Signalwegen zur Folge, die zur Zellproliferation, Metastasierung, Angiogenese und verringerten Apoptose führen. Durch die Blockade überexprimierter oder mutierter Wachstumsfaktor-Rezeptoren soll das Tumorwachstum unterbunden werden. Afatinib inhibiert irreversibel alle wachstumsrelevanten EGF-Rezeptoren (ErbB1, ErbB2 und ErbB4). Zum Vergleich: Durch die Tyrosinkinaseinhibitoren Gefitinib und Erlotinib kommt es lediglich zu einer reversiblen Blockade des Wachstumsfaktor-Rezeptors ErbB1.

Mutationstestung vor Therapie

Eine Blockade der Wachstumsfaktor-Rezeptor-Tyrosinkinasen ist nur bei einer Überexpression oder Signalwege aktivierenden Mutationen sinnvoll. Diese Mutationen sind häufig mit bestimmten klinisch-pathologischen Charakteristika wie dem Vorliegen eines Adenokarzinoms, weiblichem Geschlecht, asiatischer Herkunft und Nichtraucherstatus assoziiert. Diese Merkmale sind jedoch keine hinreichenden Kriterien für das Vorliegen einer Mutation. Daher muss vor Einleiten einer Therapie der Mutationsstatus bestimmt werden. Beim Adenokarzinom der Lunge liegen häufig del19- oder L858R-Mutationen vor. Diese werden mithilfe von Mutationsanalysen über PCR oder Sequenzierung nachgewiesen.

Progressionsfreies Überleben: 11,1 vs. 6,9 Monate

Afatinib wurde und wird im Rahmen des LUX-Lung-Studienprogramms untersucht. Die für Europa zulassungsrelevante Studie LUX-Lung 3 verglich Afatinib mit der derzeitigen Standardtherapie Cisplatin/Pemetrexed in der Erst-Linien-Therapie bei Patienten mit fortgeschrittenem und/oder metastasiertem nicht-kleinzelligem Lungenkarzinom und EGFR-Mutationen. An dieser multizentrischen, randomisierten, offenen Phase-III-Studie nahmen 345 Patienten mit einem Adenokarzinom der Lunge und positivem EGFR-Mutationsstatus teil. Sie wurden zwei Gruppen zugeordnet und erhielten Afatinib oral oder eine intravenöse Chemotherapie mit Cisplatin und Pemetrexed. Das mediane progressionsfreie Überleben lag in der Afatinib-Gruppe (alle Mutationen) bei 11,1 Monaten vs. 6,9 Monaten in der Vergleichsgruppe (HR 0,58; 95% Konfidenzintervall 0,43 bis 0,78; p = 0,001). Lagen die klassisch aktivierenden Mutationen (del19 und L858R) vor, betrug das mediane progressionsfreie Überleben unter Afatinib 13,6 Monate, unter der Therapie mit Cisplatin/Pemetrexed 6,9 Monate (HR 0,47; 95% Konfidenzintervall 0,34 bis 0,65; p < 0,0001). In der vordefinierten Subgruppe der häufigen Mutationen (del 19 und L858R) lag das mediane Gesamtüberleben unter Afatinib bei 30,3 Monaten versus 26,2 Monaten unter Cisplatin/Pemetrexed (HR 0,82; 95% Konfidenzintervall 0,59 bis 1,14; p = 0,224). Die objektive Ansprechrate lag unter der Behandlung mit Afatinib bei 61% vs. 22% unter Cisplatin/Pemetrexed (p < 0,001). Das Ansprechen auf Afatinib kann sehr rasch, möglicherweise bereits innerhalb einer Woche erfolgen („Lazaruseffekt“).

Afatinib

Aufgrund von Nebenwirkungen wurde die Studienteilnahme bei 8% der mit Afatinib und bei 12% der mit Cisplatin/Pemetrexed behandelten Probanden abgebrochen.

In weiteren Studien wird Afatinib bei Kopf-Hals-Tumoren untersucht. Ferner werden derzeit Patienten für einen Head-to-Head-Vergleich von Afatinib mit Erlotinib und Gefitinib rekrutiert.

Verbesserte Symptomkontrolle

Im Rahmen der Zulassungsstudie wurden auch mithilfe eines Fragebogens charakteristische krankheitsbedingte Symptome wie Husten, Dyspnö und Kurzatmigkeit sowie Schmerzen erfasst. Auch hier wurden mit einer Afatinib-Therapie bessere Resultate erzielt als unter der Behandlung mit Cisplatin/Pemetrexed. So erfuhren 67% der Patienten unter Afatinib eine signifikante Besserung des Hustens (vs. 60% unter Cisplatin/Pemetrexed; p = 0,244) und der Kurzatmigkeit (64% vs. 50%; p = 0,0103) sowie eine Verringerung der Schmerzen (59% vs. 48%; p = 0,0513). Ferner konnte durch die Afatinib-Gabe der Zeitraum bis zur Verschlechterung des Hustens und der Kurzatmigkeit verlängert werden.

Auch im Hinblick auf körperliche, kognitive und rollenspezifische Funktionen profitierten die Patienten von einer Afatinib-Therapie. Die Erhebung der Lebensqualität mithilfe zweier Standardfragebögen ergab, dass die Afatinib-Behandlung mit einer signifikant besseren Lebensqualität (in Bezug auf die Arbeit oder häusliche Aktivitäten) einherging.

Klassenspezifische Nebenwirkungen

Afatinib weist charakteristische klassenspezifische Nebenwirkungen eines Tyrosinkinaseinhibitors auf (siehe Steckbrief-Kasten). Am häufigsten treten Diarrhö, Hautausschläge sowie Stomatitis und Nagelveränderungen auf. Für das Patientenmanagement der Durchfälle und der Hautveränderungen werden besondere Empfehlungen ausgesprochen.

Steckbrief

Handelsname: Giotrif

Hersteller: Boehringer Ingelheim Pharma GmbH & Co. KG, Ingelheim am Rhein

Einführungsdatum: 15. November 2013

Zusammensetzung: 1 Filmtablette enthält 20 mg; 30 mg; 40 mg bzw. 50 mg Afatinib (als Dimaleat)

Packungsgröße, Preise, PZN:

20 mg: 28 Filmtabletten (N1), 3231,89 Euro, PZN: 02482440; 30 mg: 28 Filmtabletten (N1), 3231,89 Euro, PZN: 02482546; 40 mg: 28 Filmtabletten (N1); 3231,89 Euro; PZN: 02484367; 50 mg: 28 Filmtabletten (N1), 3231,89 Euro, PZN: 02484812

Stoffklasse: antineoplastische Mittel, Proteinkinase-Inhibitoren, ATC-Code: L01XE13

Indikation: als Monotherapie zur Behandlung von EGFR-TKI-naiven erwachsenen Patienten mit lokal fortgeschrittenem und/oder metastasiertem nicht-kleinzelligem Lungenkarzinom (NSCLC) mit aktivierenden EGFR- Mutationen

Dosierung: die empfohlene Dosis beträgt 40 mg einmal täglich

Gegenanzeigen: Überempfindlichkeit gegen Afatinib oder einen der sonstigen Bestandteile

Nebenwirkungen: sehr häufig (≥ 1/10): Nagelinfektionen, Nagelbettinfektionen, verminderter Appetit, Nasenbluten, Diarrhö, Stomatitis, Ausschlag, akneiforme Dermatitis, Pruritus, trockene und rissige Haut; häufig (≥ 1/100, < 1/10): Zystitis, Dehydratation, Hypokaliämie, Geschmacksstörung, Konjunktivitis, trockenes Auge, Rhinorrhö, Cheilitis, Dyspepsie, erhöhte Leberwerte (ALT und AST), Hand-Fuß-Syndrom, Muskelspasmen, eingeschränkte Nierenfunktion/ Nierenversagen, Fieber, Gewichtsverlust; gelegentlich (≥ 1/1000, < 1/100): Keratitis, interstitielle Lungenerkrankung

Wechselwirkungen: In-vitro-Studien zeigten, dass Afatinib ein P-Glykoprotein (P-gp)- und Brustkrebs-Resistenz-Protein (BCRP)-Substrat ist. Entsprechend wird empfohlen, starke P-gp-Inhibitoren (z.B. Ritonavir, Ciclosporin A, Ketoconazol, Itraconazol, Erythromycin, Verapamil, Chinidin, Tacrolimus, Nelfinavir, Saquinavir und Amiodaron) zeitlich versetzt im Abstand von sechs oder zwölf Stunden einzunehmen. Starke P-gp-Induktoren (z.B. Rifampicin, Carbamazepin, Phenytoin, Phenobarbital oder Johanniskraut) können die Afatinib-Plasmaspiegel verringern. Afatinib kann die Bioverfügbarkeit oral angewendeter BCRP-Substrate (insbesondere Rosuvastatin und Sulfasalazin) erhöhen. Die gleichzeitige Einnahme einer fettreichen Mahlzeit reduziert signifikant die Afatinib-Exposition um 50%. Daher sollte Afatinib nicht gleichzeitig mit Nahrung eingenommen werden.

Warnhinweise und Vorsichtsmaßnahmen: Die Bestimmung des EGFR-Mutationsstatus des Patienten muss mit einem validierten und robusten Verfahren erfolgen, um falsch negative oder falsch positive Ergebnisse zu vermeiden. Es wurde über schwere Diarrhöen berichtet, die zu Dehydratation (mit oder ohne Beeinträchtigung der Nierenfunktion) führten, was in seltenen Fällen zum Tode führte. Die Diarrhö trat in der Regel in den ersten zwei Behandlungswochen, eine Grad-3-Diarrhö meist in den ersten sechs Behandlungswochen auf. Die Diarrhö muss bei ersten Anzeichen mit adäquater Hydrierung und Antidiarrhoika behandelt werden. Es trat leichter bis mittelschwerer Hautausschlag/Akne auf, besonders in sonnenexponierten Hautbereichen, der sich dort verstärken kann. Bei Exposition mit Sonnenlicht werden schützende Kleidung und die Anwendung eines Sonnenschutzmittels empfohlen.

Afatinib ist ein P-Glykoprotein- und BCRP(Brustkrebs-Resistenz-Protein)-Substrat. Es wird daher empfohlen, starke P-Glykoprotein-Inhibitoren (unter anderem Ritonavir, Ciclosporin A, Ketoconazol, Itraconazol, Erythromycin, Verapamil, Chinidin, Tacrolimus, Nelfinavir, Saquinavir und Amiodaron) zeitlich versetzt zu Afatinib einzunehmen. Starke P-Glykoprotein-Induktoren (unter anderem Rifampicin, Carbamazepin, Phenytoin, Phenobarbital oder Johanniskraut) können die Afatinib-Plasmaspiegel verringern. Afatinib kann die Bioverfügbarkeit applizierter BCRP-Substrate (insbesondere Rosuvastatin und Sulfasalazin) erhöhen.

Dosierung und Einnahme

Die empfohlene Dosis beträgt 40 mg einmal täglich, wobei die Einnahme mindestens drei Stunden vor und mindestens eine Stunde nach dem Essen erfolgen soll, da die gleichzeitige Einnahme mit einer fettreichen Mahlzeit eine signifikante Reduktion der Afatinib-Exposition zur Folge hat. Die Tabletten sind unzerkaut mit Wasser zu schlucken. Ist dies nicht möglich, können sie in etwa 100 ml kohlensäurefreiem Trinkwasser unter gelegentlichem Rühren aufgelöst werden. Die Dispersion kann auch über eine Magensonde gegeben werden. 

Quelle

Fachinformation Giotrif®; Stand September 2013.

Sequist L et al. Phase III Study of afatinib or cisplatin plus pemetrexed in patients with metastatic lung adenocarcinoma with EGFR mutations. JCO online vom 1. Juli 2013; DOI 10.1200(JCO.2012.44.2806.

Yang J et al. Symptom control and quality of life in LUX-Lung 3: A phase III study of afatinib or cisplatin/pemetrexed in patients with advanced lung adenocarcinoma with EGFR mutations. JCO online vom 1. Juli 2013; DOI 10.1200/JCO.2012.46.1764.

 

Apothekerin Dr. Petra Jungmayr

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