DAZ aktuell

Streitfall Polypharmazie

Wer ist die bessere Schnittstelle: Arzt oder Apotheker?

BERLIN (jz). Die Überprüfung der Medikation eines Patienten, der mehrere Arzneimittel einnehmen muss, ist zeitaufwendig. Wer soll diese Aufgabe übernehmen? Für den Bayerischen Hausärzteverband (BHÄV) steht fest, dass nur der Hausarzt dafür prädestiniert ist. Zu einem anderen Ergebnis kommt dagegen der Gesundheitsreport 2012 der norddeutschen Krankenkasse hkk: Ärzte und Apotheker sollten gleichermaßen dafür verantwortlich sein, die Risiken einer Polypharmazie für die Patienten zu minimieren. Ähnlich sieht man dies bei der ABDA.

Von Polypharmazie spricht man, wenn Patienten fünf oder mehr unterschiedliche Arzneimittel gleichzeitig einnehmen – besonders häufig ist sie bei älteren Menschen mit mehreren Krankheiten. Der Gesundheitsreport der hkk mit Daten aus dem Jahr 2010 zeigt dabei deutlich, dass mit einer steigenden Zahl behandelnder Ärzte auch das Polypharmazie-Risiko zunimmt: Mit einem behandelnden Arzt betrug der Anteil derer, denen fünf oder mehr unterschiedliche Arzneimittel verordnet wurden, zehn Prozent. Bei zwei Ärzten stieg er auf 30,8 Prozent, bei drei Ärzten auf 56,7 Prozent und bei vier Ärzten waren 79,1 Prozent betroffen.

Diese Ergebnisse seien "erschreckend, aber nicht überraschend", erklärte dazu der BHÄV-Vorsitzende Dr. Dieter Geis. Er fordert, das Gesundheitssystem zu einem hausarztzentrierten Primärarztsystem zu entwickeln: "Der Hausarzt muss die zentrale Stelle sein, bei der alle medizinischen Informationen über den Patienten zusammenlaufen, damit die Therapien in Absprache mit den Fachkollegen gezielt koordiniert und eine für den Patienten gefährdende Polypharmazie vermieden werden kann." Diese Überprüfung müsse auch eigens honoriert werden – wie es aktuell nur der Hausarztvertrag des BHÄV mit der AOK Bayern regle.

Breitgefächerte Strategie erforderlich

Ganz so einseitig sieht Dr. Bernard Braun vom Bremer Institut für Arbeitsschutz und Gesundheitsförderung, der den Report im Auftrag der hkk erstellte, die Lösung nicht: Eine langfristige, breitgefächerte Strategie müsse her, fordert er. Und die bezieht sowohl Ärzte als auch Apotheker ein. Einer seiner Ansätze ist es, die beratende Rolle der Apotheken zu stärken. Und zwar, "indem man sie dazu verpflichtet, Arzneimittelübersichten zu erstellen und auf Kontraindikationen sowie Wechselwirkungen hinzuweisen".

Eine weitere Anregung Brauns sind von Ärzten durchzuführende regelmäßige "10-Minuten-Reviews" bei Patienten mit Polypharmazie. Ärzte sollten außerdem ihre Verordnungen ohne Leitlinienabsicherung regelmäßig überprüfen und das Verordnungsgeschehen mit dem von Fachkollegen vergleichen. Sinnvoll wären aus Brauns Sicht zudem medizinische Leitlinien zur Behandlung multimorbider Patienten, ebenso wie Leitlinien über die Nichtverordnung bestimmter Arzneimittel bei Polypharmazie – ähnlich der Priscusliste.

ABDA verweist auf ABDA-KBV-Modell

Die Forderungen des Bayerischen Hausärzteverbands wollte man seitens der ABDA zwar nicht kommentieren. Ein Sprecher verwies jedoch auf das ABDA-KBV-Modell: Damit zeige man, wie man sich "die Zukunft der Arzneimittelversorgung im Allgemeinen" vorstelle. Ende der vergangenen Woche hatten die Beteiligten – ABDA und Kassenärztliche Bundesvereinigung – bekanntgegeben, im dritten Quartal des Jahres das gemeinsame Konzept zur besseren Arzneimittelversorgung der Bevölkerung in Sachsen und Thüringen zu starten. Noch nicht geregelt ist dabei allerdings die Honorierung der teilnehmenden Apotheker und Ärzte.



DAZ 2013, Nr. 5, S. 18

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