Wechseljahre

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Interview zum Vorgehen bei Wechseljahresbeschwerden mit Prof. Dr. Ingrid Gerhard, Heidelberg

Wechseljahresbeschwerden lassen viele Frauen verzweifeln. Vor einer Hormonersatztherapie schrecken viele zurück. Unzählige, als Alternative angebotene Präparate versprechen Hilfe und enttäuschen oft genug. Wir haben mit Frau Prof. Dr. Ingrid Gerhard, Fachärztin für Gynäkologie und Geburtshilfe, Naturheilkunde und Umweltmedizin über die für die betroffenen Frauen schwierige Situation gesprochen.

 

DAZ: Frau Prof. Gerhard, welche Allgemeinmaßnahmen empfehlen Sie Hilfe-suchenden Frauen?

Gerhard: Ganz wichtig ist es, mehr als in jüngeren Jahren, auf die Ernährung und ausreichend Bewegung zu achten. Dabei muss man natürlich berücksichtigen, in welcher Situation sich die ratsuchende Frau befindet. Wie sieht ihr Alltag aus, wie ist sie beruflich eingespannt? Sinnvoll ist es sicher, sich jeden Tag zumindest eine Stunde an der frischen Luft zu bewegen, zum Marathonläufer muss man deshalb nicht werden.

 

DAZ: Worauf muss bei der Ernährung geachtet werden?

Gerhard: Durch den Abfall der weiblichen Hormone verlangsamt sich der Stoffwechsel, der Energiebedarf wird geringer. Wenn man in dieser Phase nicht zunehmen will, gibt es nur zwei Möglichkeiten: Nahrungsmittel mit geringer Energiedichte essen und durch Bewegung den Energieverbrauch zu fördern. Außerdem müssen wir uns vorstellen, dass Wechseljahresbeschwerden nicht nur die Folge eines Nachlassens der Bildung von Estrogen und Gelbkörperhormon sind. Sie haben ihre Ursache auch und vor allem in einem Nachlassen von Regenerationsmechanismen, zum Beispiel in Darm und Leber. Werden die Abstände zwischen den Mahlzeiten zu kurz gewählt, führt das zu einer Überlastung des Verdauungssystems. Der Rat lautet also: Drei Mahlzeiten am Tag in einem Abstand von mindestens fünf Stunden, abends auf schwerverdauliche Nahrung zu verzichten, auf einen ausgeglichenen Säure-Basen-Haushalt zu achten, den Schwerpunkt auf Obst, Salat, Gemüse und Vollkorngetreide zu legen. Das sind nur einige Tipps. Und ganz oft lassen sich die belastenden Hitzewallungen schon durch das Meiden von Kaffee und Alkohol reduzieren.

 

DAZ: Zu den Hitzewallungen: was kann sie im Moment des Auftretens erträglicher machen?

Gerhard: Eine schnelle Hilfe bieten kalte Unterarmbäder, denn wir müssen uns vorstellen, dass sich hinter Hitzewallungen eine neurovegetative Reaktion verbirgt, bei der sich Blutkapillaren schlagartig erweitern und so zu Hitzegefühl und Schweißausbrüchen führen. Das kalte Unterarmbad verengt Gefäße und hilft so, die Hitzewallung zu beenden. Auch Wechselduschen trainieren die Gefäße. Dann empfehle ich gerne Salbeiextrakt-Präparate. Auch Salbeitee ist hilfreich, aber dann kalt getrunken und nicht mehr als drei Tassen am Tag. Denn in zu großen Mengen führt Salbei zu verstärkter Gebärmutterschleimhaut-Bildung und Blutungsstörungen. Weitere Teemischungen gegen Hitzewallungen und andere Wechseljahresbeschwerden finden Sie in meinem Buch: Die neue Pflanzenheilkunde für Frauen.

 

DAZ: Wenn sich die Wechseljahresbeschwerden mit Allgemeinmaßnahmen nicht in den Griff kriegen lassen, welche Schritte empfehlen Sie dann?

Gerhard: Zunächst schaue ich mir die Frauen sehr genau an. Was sind ihre Beschwerden? Wie ist ihr Hormonstatus? Denn wenn Wechseljahresbeschwerden das erste Mal auftreten, ist das die Folge einer nachlassenden Gelbkörperfunktion. Die Estrogen-Werte sind noch sehr hoch, so dass weder Phytoestrogene noch eine Estrogen-haltige Hormonersatztherapie sinnvoll sind. Hier ist oft eine Gabe von Progesteron indiziert, oder aber ein Agnus-castus-Präparat, denn wir haben hier letztlich eine Situation ähnlich dem prämenstruellen Syndrom.

 

DAZ: Nun denkt man bei Phytopharmaka gegen Wechseljahresbeschwerden an vor allem Phytoestrogen-haltige Präparate. Wann empfehlen Sie solche Präparate? Und wie wirken Cimicifuga-Extrakte, wenn sich keine Estrogen-artigen Wirkungen nachweisen lassen (siehe Beitrag "Phytopharmaka bei Wechseljahresbeschwerden")?

Gerhard: Zunächst einmal muss wie gesagt eine Estrogenmangel-Situation vorliegen. Dann können wir auf standardisierte Extrakte aus Rotklee, Rhapontikrhabarberwurzel oder Granatapfelsamen zurückgreifen, deren Phytoestrogene vorwiegend den Estrogen-Rezeptor beta stimulieren und nicht den Alpha-Subtyp, der für das Wachstum Estrogen-abhängiger Tumore verantwortlich ist. Soja enthält auch diese Phytoestrogene, aber leider ist der Stoffwechsel der westlichen Frau nicht so daran gewöhnt wie bei den Asiatinnen, so dass nur jede zweite Frau bei uns einen Nutzen davon hat (fehlende Equolbildung). Eine besondere Stellung nimmt der Traubensilberkerzenwurzelstock-Extrakt ein. Er enthält keine Pflanzenhormone, die eine ungünstige Wirkung auf die Brustdrüse oder die Gebärmutter haben könnten. Der Wurzelstock enthält aber Stoffe, die im Gehirn die Neurotransmitter beeinflussen, was die gute Wirkung auf Hitzewallungen aber auch Schlafstörungen und Allgemeinbefinden erklärt.

 

DAZ: Dürfen Frauen mit oder nach Brustkrebs denn Phytoestrogene einnehmen, wenn sie aufgrund einer Hormonentzugs-Therapie unter Wechseljahresbeschwerden leiden.

Gerhard: Ja und nein. Bei den Pflanzenextrakten, die an die Estrogen-Rezeptoren binden, wäre ich vorsichtig, wenn keine Studien vorliegen. Sojaextrakte sollten nicht eingenommen werden. Dagegen muss auf Soja in der Nahrung in vernünftigen Mengen nicht verzichtet werden. Inzwischen gibt es Studien, die auch bei westlichen Frauen nach Brustkrebs eine geringere Rezidivrate finden, wenn Soja gegessen wird. Extrakte aus dem Wurzelstock der Traubensilberkerze dürfen genommen werden, sie unterstützen sogar die Tamoxifen-Wirkung.

 

DAZ: Nun sucht man in der S3-Leitlinie zur Hormontherapie in der Peri- und Postmenopause Phytopharmaka vergebens. Die Studienlage wird wohl für nicht ausreichend erachtet.

Gerhard: Das ist in der Tat so und es ist ein Dilemma. Es fehlen Langzeitstudien, aber wir werden kaum jemanden finden, der für die Phytopharmaka solche Studien finanziert. Wir müssen hier andere Maßstäbe anlegen und uns auf das Wissen berufen, das wir haben. Wenn wir die Wirkungsmechanismen kennen und In-vitro-Versuche zur Rezeptoraffinität eine selektive Beeinflussung des Estrogen-Rezeptors beta zeigen, so ist für mich der Schluss zulässig, dass von solchen Präparaten im Hinblick auf das Brustkrebsrisiko keine Gefahr ausgeht.

 

DAZ: Nun nehmen viele Frauen solche Phytopharmaka ein und verspüren zunächst einmal keine Besserung. Wie viel Geduld ist gefragt?

Gerhard: Die Zeit bis zum Wirkungseintritt kann zwischen zwei Wochen und zwei Monaten liegen. Ich empfehle immer, nach sechs Monaten einen Auslassversuch zu unternehmen. Verschlimmern sich die Beschwerden, ist das ein Indiz für die Wirksamkeit des Phytopharmakons.

 

DAZ: Hilfe bei Wechseljahresbeschwerden verspricht auch die alternative Medizin. Wie sind Ihre Erfahrungen?

Gerhard: In jedem Fall haben auch die Homöopathie und die TCM ihre Berechtigung. Eigene Studien zeigten Verbesserungen von Wechseljahresbeschwerden sowohl durch homöopathische Komplexmittel als auch durch die konstitutionelle Therapie. Wählt man die TCM, dann ist die Akupunktur alleine bei akuten Problemen günstig, aber für Langzeiteffekte muss mit chinesischen Heilkräutern ergänzt werden.

 

DAZ: Und wenn Allgemeinmaßnahmen, Phytopharmaka, und alternative Medizin die Beschwerden nicht lindern?

Gerhard: Dann ist sicher zu prüfen, ob eine Hormonsubstitution angezeigt ist. Sie hat nach wie vor ihre Berechtigung. Und gezielt eingesetzt, handelt es sich um eine weitgehend risikofreie Option, von der die Frauen durchaus profitieren können. Gezielt eingesetzt heißt, ich muss mir vorher ein Bild von dem Hormonstatus der Frau machen und in Abhängigkeit der Werte entscheiden, welche Hormone in welcher Konzentration sinnvoll sind. Dabei ist die perkutane Applikation sowohl von Estrogenen als auch von Progesteron zu bevorzugen.

 

DAZ: Nun ist die Angst vor der Entstehung von Brustkrebs unter einer Hormonersatztherapie groß. Wie schätzen Sie die Gefahr ein?

Gerhard: Das Risiko ist meiner Meinung nach gering zu halten, wenn man einige Regeln beachtet. Bei der Auswahl des Gestagens beschränke ich mich auf bioidentisches Progesteron, denn es gibt ernstzunehmende Hinweise, dass es gerade die synthetischen Gestagene sind, die das Brustkrebsrisiko erhöhen. So verändert sich das Brustgewebe unter synthetischen Gestagenen, es wird dichter. Unter natürlichem Progesteron beobachten wir diese Veränderung nicht. Wenn ich mich dann für eine Hormonersatztherapie entschieden habe, kontrolliere ich, je nach Fall nach vier Wochen oder drei Monaten, ob die angestrebten Estrogen- und Gestagen-wWerte auch erreicht bzw. überschritten werden und nehme dann je nach Bedarf Dosisanpassungen vor. Auch eine Hormonersatztherapie ist eine individuelle Therapie. Wenn ich solche Grundregeln berücksichtige und weiß, wo ich stehe, dann kann auch bei der Hormonersatztherapie nicht viel schief gehen.

DAZ: Frau Professor Gerhard, vielen Dank für das Gespräch! 

 

Interview Dr. Doris Uhl, Stuttgart

 

Autorin

Prof. Dr. Ingrid Gerhard ist Fachärztin für Gynäkologie und Geburtsmedizin und spezialisiert auf Naturheilkunde und Umweltmedizin. 1993 hat sie die Ambulanz für Naturheilkunde an der Universitätsfrauenklinik in Heidelberg gegründet, die sie bis 2002 geleitet hat. Seit 2002 ist sie als freie Dozentin und Autorin tätig. Unter anderem hat sie das Netzwerk Frauengesundheit (www.netzwerk-frauengesundheit.com) ins Leben gerufen, die beiden Grundlagenwerke über Integrative Gynäkologie und Integrative Geburtshilfe für Therapeuten geschrieben sowie „Das Frauen-Gesundheitsbuch“ für Laien.

Prof. Dr. Ingrid Gerhard, FÄ für Gynäkologie und Geburtshilfe, Albert Überle Str. 11, 69120 Heidelberg.

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