Arzneimittel und Therapie

Paracetamol nur kurzzeitig

Embryotoxische Probleme bei Langzeiteinahme?

Paracetamol kann während der Schwangerschaft innerhalb des üblichen Dosisbereichs kurzfristig angewendet werden. Laut einer aktuellen norwegischen Studie wirkt sich eine Langzeiteinnahme jedoch möglicherweise negativ auf die Entwicklung im frühen Kindesalter aus.

Während der Schwangerschaft sollten möglichst Arzneimittel zum Einsatz kommen, für die keine embryotoxischen Bedenken bestehen und viele Erfahrungen vorliegen. Paracetamol gilt als solches. Laut dem Pharmakovigilanz- und Beratungszentrum für Embryonaltoxikologie wird die Anwendung von Paracetamol in der Schwangerschaft als vertretbar angesehen.

In letzter Zeit ist Paracetamol aufgrund einzelner Studien, die ein erhöhtes Risiko für asthmatische Beschwerden und das Auftreten von Hodenhochstand beim Kind dokumentierten, in die Diskussion geraten. Die Ergebnisse konnten jedoch nicht endgültig bestätigt werden. Auch eine aktuell im International Journal of Epidemiology veröffentlichte Kohortenstudie norwegischer Forscher stellt Paracetamol wieder auf den Prüfstand. Die Studie wurde unterstützt von staatlichen Stellen in Norwegen sowie vom norwegischen Gesundheitsministerium und vom norwegischen Forschungsministerium.

Paracetamol erneut in der Diskussion

Im Rahmen dieser Studie wurde der mögliche Zusammenhang zwischen einer Langzeiteinnahme (≥ 28 Tage) von Paracetamol während der Schwangerschaft und dem Auftreten von Entwicklungsverzögerungen im frühen Kindesalter untersucht. Das Studienkollektiv entstammte der großen norwegischen Mutter- und Kind-Kohortenstudie (Norwegian Mother and Child Cohort Study; MoBa). Innerhalb des Kollektivs wurden 2919 gleichgeschlechtliche Geschwisterpaare identifiziert, deren Daten verglichen wurden. Die Mütter wurden in der 17. und 30. Schwangerschaftswoche sowie sechs Monate postpartum unter anderem zu Medikamenteneinnahme, Infektionen und anderen Gesundheitsfaktoren befragt. Das Follow-up der Kinder erfolgte bis zu einem Alter von drei Jahren. Die psychomotorische Entwicklung (kommunikative Fähigkeiten, fein- und grobmotorische Fertigkeiten) sowie das Verhalten und Temperament der Kinder wurden in diesem Zeitraum seitens der Mütter anhand von Fragebögen beurteilt.

Paracetamol

  • Erfahrungsumfang: hoch
  • Planung einer Therapie oder Planung einer Schwangerschaft unter Therapie: Paracetamol gehört in jeder Phase der Schwangerschaft zu den Analgetika und Antipyretika der Wahl. Es kann innerhalb des üblichen Dosisbereichs eingesetzt werden.
  • Konsequenzen nach Anwendung in der Schwangerschaft: keine
  • besser erprobte Alternativen: keine

Quelle: www.embryotox.de

Einnahmedauer ist ausschlaggebend

Kinder, deren Mütter mehr als 28 Tage Paracetamol einnahmen, zeigten im Vergleich zu ihren nicht exponierten, gleichgeschlechtlichen Geschwistern schlechtere sprachliche [β 0,20, 95% CI 0,01 bis 0,39] und grobmotorische [β 0,24, 95% CI 0,12 bis 0,51] Fähigkeiten und waren häufiger hyperaktiv [β 0,24, 95% CI 0,11 bis 0,38] und verhaltensauffällig (unterkontrolliertes Verhalten [β 0,28; 95% CI 0,15 bis 0,42], überkontrolliertes Verhalten [β 0,14; 95% CI 0,01 bis 0,28]). Die β-Werte zeigen die Unterschiede bei den Entwicklungsstörungen zwischen exponierten und nicht exponierten Kindern. Die Autoren setzten diese Unterschiede in Relation zur Prävalenz in der normalen Bevölkerung von Vorschulkindern und kommen zu dem Ergebnis, dass die langfristige Paracetamol-Einnahme das Risiko von Verhaltensproblemen und psychomotorischen Problemen um ca. 70% erhöhen und das Risiko sprachlicher Probleme verdoppeln könnte.

Eine kurzfristige Paracetamol-Einnahme (1 bis 27 Tage) wirkte sich ebenfalls negativ auf die grobmotorische Entwicklung aus, wobei der Zusammenhang schwächer ausgeprägt war [β 0,10; 95% CI 0,02 bis 0,19]. Nahm die Mutter dagegen Ibuprofen ein, so zeigten sich keine diesbezüglichen Auswirkungen. Mit dem Vergleich sollte ausgeschlossen werden, dass zugrundeliegende Erkrankungen möglicherweise Auslöser für die Entwicklungsverzögerungen waren.

Zahlreiche Faktoren können bereits im Mutterleib Einfluss auf die Gesundheit und Entwicklung des Kindes nehmen. Die Untersuchung gleichgeschlechtlicher Geschwisterpaare bot den entscheidenden Vorteil, konstante genetische bzw. familiäre Faktoren wie IQ der Mutter oder mütterliche ADHS in der Auswertung zu berücksichtigen. Ferner wurde eine mögliche Ergebnisverfälschung durch Störgrößen (Confounder) in die Datenanalyse einbezogen wie unter anderem Nicotin- und Alkoholkonsum während der Schwangerschaft, Einnahme verschiedener Arzneimittel, mütterliche Infektionen sowie psychische Beeinträchtigungen etc. Ein „underreporting“ der Teilnehmerinnen kann jedoch nicht vollständig ausgeschlossen werden. Verbleibende Störvariablen sind folglich möglich. Auch die Beurteilung der kindlichen Entwicklung basierte auf Einschätzungen bzw. Auskünften der Mütter. Eine klinische Bewertung oder Diagnose erfolgte nicht, was die Aussagekraft hinsichtlich der klinischen Bedeutung limitiert.

Bezüglich der Paracetamol-Einnahme konnte nicht zwischen einer kontinuierlichen 28-tägigen oder längerfristigen sporadischen Einnahme während der Schwangerschaft unterschieden werden. Auch wurde die jeweils eingenommene Paracetamol-Dosis nicht ausgewertet.

Weitere Studien nötig

Genaue Mechanismen, die zu einer Beeinträchtigung der kindlichen Gehirnentwicklung beitragen könnten, sind nicht bekannt. Diskutiert werden oxidativer Stress und toxische Paracetamol-Metabolite. Auch mit der vorliegenden Studie kann nicht abschließend geklärt werden, ob die Paracetamol-Einnahme tatsächlich ursächlich für die Entwicklungsverzögerungen war. Ebenso können keine Schlussfolgerungen bezüglich der klinischen Bedeutung gezogen werden. Nach Ansicht der Autoren sind weitere Studien notwendig, um einen Kausalzusammenhang festzustellen bzw. zu bestätigen. 

Quelle

Brandlistuen RE, Ystrom E, Nulman I, Koren G, Nordeng H. Prenatal paracetamol exposure and child neurodevelopment: a sibling-controlled cohort study. International Journal of Epidemiology 2013;1–12 doi:10,1093/ije/dyt183

 

Apothekerin Carina John, PharmD

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