Die Seite 3

Lehren aus dem Engpass

Dr. Thomas Müller-Bohn, Redakteur der DAZ

Im Mittelpunkt der Leitbilddebatte steht die patientenorientierte Pharmazie. Dies ist wichtig und richtig, denn dort liegen voraussichtlich die größten Herausforderungen und dort können die Apotheker den größten zusätzlichen Nutzen gegenüber der bisherigen Versorgung bieten. Die bisherige Arbeit wird damit aber nicht überflüssig oder gar wertlos. Logistik, Distribution und die Arzneimittelherstellung in besonderen Fällen bleiben die notwendigen Grundlagen für die weitere Arbeit im unmittelbaren Patientenkontakt. Wenn alles gut klappt, gerät dies leicht in Vergessenheit. Solche Selbstverständlichkeiten scheinen Politikern kaum ein nennenswertes Honorar wert zu sein. Doch wie wichtig die Logistik ist, wird deutlich, wenn Arzneimittel nicht mehr zu beschaffen sind. Solche Lieferengpässe beschäftigen die Apothekenteams und ihre Kunden derzeit mehr, als dies in einem hoch entwickelten Industrieland zu erwarten wäre. Im Versorgungsalltag der meisten Apotheken für gängige Indikationen geht es dabei zwar meist „nur“ um Ausfälle bei einzelnen Herstellern. Damit bleiben noch Substitutionsmöglichkeiten. Doch auch dies bedeutet viel Mühe und wenig Ehre für die Apotheken. Welcher Großhändler hat noch Bestände? Wann kommt Nachschub? Welche Produkte können als Ersatz dienen? Sind diese verfügbar? Wie muss der Austausch gegenüber der Krankenkasse dokumentiert werden? Muss vielleicht sogar ein Ersatz importiert werden? – Dann muss der Austausch dem Kunden erläutert werden. Ein anderes Präparat, vielleicht sogar zwei statt einem und dann noch eine höhere Zuzahlung – so wird der Apotheker zum unbeliebten Überbringer schlechter Nachrichten. Für pharmazeutische Inhalte bleiben wieder einmal weder Zeit noch Aufmerksamkeit.

Doch was sind die Gründe für die Lieferengpässe? Da meistens patentfreie Wirkstoffe betroffen sind, fällt der Verdacht auf Niedrigpreise und Rabattverträge. Auch Fehlplanungen der Industrie erscheinen als mögliche Ursachen. Eine Analyse auf Seite 32 zeigt, wie diese Aspekte unglücklich zusammenwirken können und welche zentrale Rolle offenbar Ausschreibungen dabei haben. Diese Zusammenhänge müssen aufgeklärt und Gegenmaßnahmen ergriffen werden, bevor einzelne Wirkstoffe über längere Zeit gar nicht mehr lieferbar sind.

Darüber hinaus eröffnen die Lieferengpässe weitere Erkenntnisse: Apotheker, Apotheken und ihre Teams sind auch in der Logistik unersetzbar und ihr Geld wert. Darum muss die Honorierung auch für diese Leistungen regelmäßig angepasst werden und darum gehören diese Leistungen auch in ein Leitbild für Apotheken. Außerdem zeigt sich, dass neue pharmazeutische Angebote nicht ohne die alten Basisleistungen funktionieren. Dies gilt nicht nur für die Logistik, sondern auch für die Arzneimittelherstellung. Darum sollte auch eine künftige Reform der Apothekerausbildung keine Revolution werden, sondern eine evolutionäre Weiterentwicklung auf der bewährten naturwissenschaftlichen Grundlage.

Thomas Müller-Bohn

Das könnte Sie auch interessieren

Gesellschaft für Dermopharmazie betont den Wert der individuellen Arzneimittelherstellung

Mit Rezepturen therapeutische Lücken schließen

Ein Kommentar von Thomas Müller-Bohn

Was wird denn da gezählt?

Apotheke & Wirtschaft online: „Arzneimittelversorgung light“ – alles hängt an der Finanzierung

Wohin steuert das Apothekensystem?

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.