Leitbild-Diskussion

Fahrplan zum Ziel

Neues Leitbild für Apotheker professionell erstellen und umsetzen

Ein Meinungsbeitrag von Andreas Kaapke | Die Diskussion um ein neues Leitbild für Apotheker ist seit einigen Monaten in vollem Gange. Das ist uneingeschränkt zu begrüßen. Ob der angestoßene Prozess nun Leitbild genannt wird, ob es um die Rolle des Apothekers in einer sich verändernden Gesellschaft geht oder ob das Selbstverständnis im Spannungsfeld zwischen heilberuflicher Kompetenz und ökonomischer Notwendigkeit im Fokus steht – das alles ist nachrangig. Wichtig ist vor allem, den Prozess professionell und zielstrebig anzugehen.

Es gibt bereits Leitbilder, so das im Jahr 2004 von der ABDA beschlossene „Berufsbild“ und das im Jahr 2006 vom Apothekerverband Nordrhein erstellte „Leitbild für Apotheken“. Wer sich damit auseinandergesetzt hat, weiß, was die Idee eines Leitbildes ist: eine Richtschnur für das eigene Handeln und ein Bekenntnis nach außen. Es muss innerhalb und außerhalb des Berufsstandes kommuniziert werden.

Wie soll der Prozess zum neuen Leitbild nun weitergehen? Soll man von bestehenden Leitbildern ausgehen und sie anpassen? Dies scheint mir nicht empfehlenswert, denn das bisherige Selbstverständnis – ob schriftlich fixiert oder quasi virtuell gelebt – hat in den letzten Jahren keinesfalls zu einer besseren Wahrnehmung der Apotheken in der breiten und fachspezifischen Öffentlichkeit geführt, es hat auch nicht dazu beigetragen, dass Politik und Krankenkassen einvernehmlich die positive Protektion der Apotheker vorangetrieben hätten; eher das Gegenteil ist der Fall.

Leitbild-Diskussion

Mit diesem Meinungsbeitrag setzen wir die Diskussion über ein neues Leitbild für den Apothekerberuf fort.

Weitere Meinungen darüber, wie das Leitbild der Apotheker aussehen soll, folgen in loser Folge.

Bisher sind zur Leitbild-Diskussion in der DAZ folgende Beiträge erschienen:

Apotheker sind beliebt – aber warum eigentlich?

Die Apotheker selbst berufen sich gern auf die vergleichsweise freundliche Einschätzung ihres Berufsstandes durch die Bevölkerung. Und selbstverständlich ist dies opportun, aber was wird eigentlich bewertet, und was wird schlussendlich gefragt? Es gibt keinen Grund, Apotheker schlecht abschneiden lassen, denn jeder denkt, es ist gut, dass es sie gibt, ob ich sie nutze oder nur missbrauche und danach im Internet bestelle, ob ich für den Notfall in der Nacht mal vorbeischaue – nicht selten wegen einer Petitesse wie einem Kondom oder freiverkäuflichen Kopfschmerztabletten – oder mir einen Rat zur Lösung eines Problems hole – die Apotheken stören nicht. Der Kunde hat ein etwas anderes Einkaufserlebnis; wenn es gut läuft, erhält er eine Zugabe, was andernorts nicht der Fall ist, und die Wertschätzung, die dem Kunden widerfährt, ist überdurchschnittlich. Von daher fallen die Urteile wohlwollend aus, aber würden diese Wohlmeiner auch für den Erhalt der Apotheken kämpfen? Wäre der Verlust so gravierend für ihr Leben, dass sie die Apotheken nicht nur emotional, sondern auch rational vermissen würden?

Um Apotheken rational einstufen zu können, müssten die Menschen eine klare Vorstellung von ihrem Leistungsspektrum haben. Aber haben sie dies tatsächlich? Eher nicht. Dies ist auch verständlich, denn in der überwiegenden Mehrheit der Fälle erlebt der Kunde nur die Abgabe des Arzneimittels. Was sich bereits davor in der Beschaffung, in der Prüfung, in der Kommissionierung, in der Einlagerung usw. abgespielt hat und danach noch abspielt, was unter Umständen auch implizit während des Verkaufsgespräches eingespeist wurde, ohne dass darauf explizit hingewiesen wird, erkennen viele Kunden nicht. Dies ist aus Sicht der Apotheker auch in Ordnung, solange die Wertschätzung gewährleistet ist. Findet diese nicht mehr im erforderlichen Ausmaß statt und mündet diese nicht in eine dafür adäquate Bezahlung/Vergütung, muss darüber nachgedacht werden, wie sich dieser ökonomisch wenig erfreuliche Umstand beheben lässt – von der emotionalen Belastung einer Minderbewertung ganz abgesehen.

An genau dieser Stelle befinden sich die deutschen Apotheker. Mehrere Gesundheitsreformen, die eigentlich Kostendämpfungsmaßnahmen waren und sind, haben sie durchgängig gebeutelt. Schaut man sich die neue Arzneimittelpreisverordnung an, so ist das Beste daran, dass sie den Status der Apotheker manifestiert. Einzelne Bestimmungen müssen befürwortet werden, auf andere hätte man gerne verzichtet. Aber das ist die Realität: Das „es hätte schlimmer kommen können“ ist bereits ein Erfolg, das „wir konnten einige Passagen noch verändern“ ein Triumph und eine Honorierungs-Nullrunde gar ein „verbandspolitischer Sieg“ gegenüber der Politik. Diese Einschätzungen haben auch mit der Fremdwahrnehmung des gegenwärtigen Status der Apothekerinnen und Apotheker zu tun.

In Zeiten, in denen es an Nachwuchs mangelt und die Apothekerinnen und Apotheker selbst zusehends den Spaß an ihrer Arbeit zu verlieren scheinen, stellt sich zu Recht die Frage, wie das Selbstverständnis für die nächsten Jahre aussehen kann und muss, um einerseits die Apotheker zu motivieren und andererseits den Beruf für die Abiturienten so attraktiv zu machen, dass ihnen das Pharmaziestudium lohnenswert erscheint.

Wo stehen die Apotheker jetzt?

Die Erstellung des Leitbilds setzt als ersten Schritt die schonungslose Analyse des Status quo aus verschiedenen Perspektiven voraus: Wo sieht sich die Apothekerschaft selbst, und wo wird sie von Ärzten, Krankenkassen, anderen Heilberuflern, der Politik, der Industrie, dem Großhandel, der Wissenschaft, den ergänzenden Dienstleistern usw. gesehen? Dies brächte einen immensen Erkenntnisfortschritt und würde ggf. manches erklären, was bislang Fassungslosigkeit ausgelöst hat und auslösen musste – als Beispiel sei das jahrelange Verhalten der Krankenkassen beim GKV-Abschlag genannt. Nur so kann aufbereitet werden, welche Defizite aus Sicht anderer vorliegen und welche mentalen Distanzen zu den Partnern in der Wertschöpfungskette sich in den letzten Jahren etablieren konnten.

Das immer wieder gern bemühte Bild des Schubladenziehers, das hartnäckig verbleibende Gerücht der Apothekenpreise, die öffentliche Meinung, Apotheker seien reich – das alles kommt ja nicht von ungefähr. Allein an der Berichterstattung außerhalb des Berufsstandes über den Berufsstand kann man ersehen, dass es nicht gut um den Apotheker bestellt ist. Einige Journalisten haben sich regelrecht auf die Apotheken eingeschossen und bezeichnen diese gern in etwas verdichteter Form als einen Anachronismus. Sie halten die Apotheker für eine von der Politik begünstigte Klientel, und man darf gespannt sein, ob sie nach dem Ausscheiden der FDP aus dem Deutschen Bundestag an dieser Einschätzung festhalten. Die journalistisch nicht immer saubere Meinungsmache geht natürlich nicht spurlos an den Betroffenen vorbei und darf deshalb auch nicht unwidersprochen bleiben.

Welches Ziel wollen die Apotheker erreichen?

Als Zweites ist von einer Diskussion über das neue Leitbild zu erwarten, dass sie Szenarien entwirft, vielleicht sogar alternative Wege aufzeigt, nicht nur den einen Königsweg beschreibt – den es wahrscheinlich nicht gibt –, sondern mehrere denkbare Wege. Dies tut deshalb Not, weil auch bei der Frage, wohin sich der Berufsstand Apotheker bewegen soll, die Einschätzungen der Externen eingeholt werden sollte. Eine Ausweitung der Befugnisse, Aufgaben und Verantwortlichkeiten der Apotheke könnte sich entweder auf neue, bislang nicht gelistete und erbrachte Aufgaben beziehen, die dann in irgendeiner Form honoriert werden müssen, oder aber auf Aufgaben, die jetzt schon von anderen Leistungserbringern erbracht werden, sodass die Apotheker mit ihnen konkurrieren würden. Vielleicht wären manche Leistungserbringer froh, wenn ihnen etwas abgenommen wird, was ggf. besser zu den Apotheken passt; andere wären es nicht, denn jeder versucht sein Rollenverständnis, sein Leitbild bestmöglich und so zukunftsträchtig wie möglich zu exekutieren. Genau deshalb ist bei diesem Thema der Dialog zu anderen Leistungserbringern im Gesundheitswesen so wichtig.

Selbst wenn es aus Sicht der Apotheken eine Ideallösung „Apotheke 2020“ oder gar „Apotheke 2030“ gäbe, würde dies an vielen Stellen im Markt Widerstand hervorrufen, übrigens auch in den eigenen Reihen, denn ein neues Leitbild impliziert auch Veränderungsbereitschaft, die nicht überall und umfassend gegeben ist. Das eingeschlagene Verfahren ist vergleichbar mit den Wahlprogrammen der Parteien vor der Wahl und mit der Realisierung des Gewünschten in einem Koalitionsvertrag. Mag sein, dass man – wenn man allein regieren würde – Dinge völlig anders gestalten würde; da man aber nicht alleine auf der Welt ist, sollten frühzeitig Kompromisse gesucht und gefunden werden. Damit ist keine Verwässerung gemeint, sondern die Machbarkeit. Ein Wolkenkuckucksheim, das keine Chance zur Verwirklichung hat, bringt niemandem etwas, im Gegenteil, es wirkt kontraproduktiv und wirft die Apotheker und ihre Verankerung im Markt um Jahre zurück.

Wann soll das neue Leitbild fertig sein?

Ein Leitbild ist langfristig angelegt und steht über den Beliebigkeiten des Augenblicks. Dabei muss es aber zugleich dynamisch angelegt sein und im Zeitverlauf Veränderungen zulassen, wo Veränderungen erforderlich sind. Dies ist eine dritte wichtige Voraussetzung für die Akzeptanz eines Leitbildes.

Wenig nachvollziehbar waren Äußerungen von ABDA-Repräsentanten auf dem Deutschen Apothekertag, dass sie mit einer Durchsetzung des neuen Leitbildes bis zum Jahr 2030 rechnen. Derlei Aussagen zum Zeithorizont erwecken den Eindruck, dass keiner der jetzigen Mitgestalter selbst vom erarbeiteten Leitbild betroffen sein will; demnach hinge es vom Alter des jüngsten in der Projektgruppe befindlichen Apothekers ab, wann das Leitbild frühestens verbindlich sein darf. Dies klingt ketzerisch, und dies war sicher nicht der Gedanke, trotzdem waren die entsprechenden Äußerungen kontraproduktiv. Wichtig ist nun, den Prozess professionell und zügig anzugehen und das neue Leitbild zügig umzusetzen.

Fassen wir also zusammen: Es bedarf

  • zunächst einer umfassenden und schonungslosen Analyse des Status quo,
  • der Einbeziehung von externen Sichtweisen zu einem frühen Zeitpunkt,
  • der Ableitung eines gewünschten Idealzustandes auf der Basis eines internen Konsenses und
  • der Erarbeitung eines davon möglichst wenig abweichenden machbaren Zielzustandes,
  • des Einbaus einer Dynamisierung in das Leitbild, damit sichergestellt wird, dass zentrale Bausteine des Leitbilds nicht schon veraltet sind, wenn sie zum Tragen kommen (können),
  • einer breit angelegten Kommunikation,
  • eines breit angelegten Meinungsbildungsprozesses und
  • einer hinter den oft „blumig“ oder auch bisweilen „schwammig“ anmutenden Umschreibungen stehenden Operationalisierung im Sinne einer Konkretisierung und wo möglich Messbarmachung.

Dies alles ist nicht banal, aber auch nicht unlösbar; es bindet Energie und Zeit, die aber gut investiert sind, wenn das Ziel erreicht wird; und es wird auch hitzige Debatten geben, weil das Selbstverständnis keine Selbstverständlichkeit ist. Dabei wird es vermutlich schwerer fallen, einen internen Konsens zu erstreiten als sich mit den externen Partnern zu arrangieren. Apotheker kurz vor dem Ruhestand (in den letzten 10 Berufsjahren) haben naturgemäß ein geringeres Interesse an fundamentalen und damit spürbaren Veränderungen als Apotheker in der jüngsten Alterskohorte, die in den Veränderungen eine Art Teilgarantie für die existenzielle Überlebensfähigkeit ihres Berufes erkennen dürften. Die älteren Kollegen dürfen sich nicht verschließen, man wird sie aber auch nicht verbiegen dürfen. Die jüngeren sind zu bremsen, wenn sie zu schnell zu viel wollen. Die Umsetzung eines neuen Leitbildes ist eher eine Evolution als eine Revolution, denn für den Wandlungsprozess ist genügend Zeit vorhanden. Allerdings besteht kein Spielraum für Trödelei.

Man darf gespannt sein, wohin der „Leitbilderstellungsprozess“ führt und wie er sich Bahn bricht. Ein „closed shop“ ist nur für eine kurze Zeit zu empfehlen, denn in diskontinuierlichen Zeiten erweckt Intransparenz Misstrauen. Ein Leitbild soll leiten, es soll nicht erlitten werden. Ein Leitbild soll ein konturenstarkes, kein schwammiges Bild zeichnen, und ein Leitbild soll verbinden, nicht spalten.

Wenn dies gelänge, wäre dies aus Sicht der Apotheker ein Quantensprung. 

Autor

Prof. Dr. Andreas Kaapke lehrt Handelsmanagement und Handelsmarketing an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg, Stuttgart, und ist Inhaber eines Beratungsunternehmens.

a.kaapke@kaapke-projekte.de

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