Arzneimittel und Therapie

Auch alte Diabetiker profitieren

Linagliptin wirkt bei Typ-2-Diabetikern über 70 Jahren

Ein Großteil der Patienten mit Typ-2-Diabetes ist 65 Jahre oder älter. Leider wurden gerade diese älteren Patienten bisher zum Großteil von einer Teilnahme an Studien mit blutzuckersenkenden Arzneimitteln ausgeschlossen, obwohl sie die überwiegenden Nutzer sind. Erfreulich sind deshalb die Ergebnisse einer klinischen Studie, die soeben im Lancet veröffentlicht wurde [1], weil hier Patienten im Alter von 70 Jahren oder noch älter untersucht wurden. Unter der Therapie mit dem DPP4-Inhibitor Linagliptin (Trajenta®) kam es im Vergleich zu Placebo zu einer signifikanten Abnahme des HbA1c.

Ungefähr ein Viertel aller Menschen über 65 Jahre leidet an Diabetes mellitus, fast alle davon haben einen Diabetes Typ 2. Leider sind nur in 0,6% aller interventionellen Studien mit Diabetikern Patienten dieser Altersgruppe überhaupt inbegriffen. Eine Glucose-senkende Therapie auch bei älteren Patienten ist aber sehr wichtig, weil Hypergyklämien zu Langzeitkomplikationen und auch kognitiven Einschränkungen führen können. Die Behandlung von älteren Patienten mit Diabetes ist auch deshalb eine Herausforderung, weil sie häufig multimorbide sind, mit mehreren Arzneimitteln gleichzeitig behandelt werden, möglicherweise gebrechlich sind und auch eine altersbedingte Unterfunktion der pankreatischen Inselzellen aufweisen. Eine Einschränkung der Nierenfunktion, die auch bei Älteren häufig vorkommt, erhöht bei diesen Patienten die Gefahr für eine Hypoglykämie, die Behandlungsstrategien sind dann besonders erschwert.

Dipeptidylpeptidase-4(DPP4)-Inhibitoren sollen mit einem geringeren Risiko für Hypoglykämien einhergehen. Da der DPP4-Inhibitor Linagliptin überwiegend nicht renal ausgeschieden wird, ist keine Dosis-Modifikation bei eingeschränkter Nierenfunktion nötig, Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten sind minimal. Diese pharmakologischen Voraussetzungen lassen darauf schließen, dass Linagliptin besonders für ältere Patienten nützlich sein könnte. Das war die Rationale für die soeben publizierte Studie von Barnett und Kollegen.

Linagliptin führt zur deutlichen Senkung des HbA1c bei Älteren

In der randomisierten, doppelblinden, placebokontrollierten Phase-III-Studie wurden in 33 Kliniken in fünf Ländern 241 Typ-2-Diabetiker, die 70 Jahre oder älter waren, 2:1 randomisiert und entweder 24 Wochen lang mit 5 mg Linagliptin oral oder Placebo behandelt. Sie hatten zuvor feste Dosierungen von Metformin, Sulfonylharnstoff-Derivaten, Basal-Insulin oder Kombinationen davon bekommen. Unter diesen Therapien war aber keine suffiziente Kontrolle des Blutzuckers erreicht worden, wobei eine suffiziente Therapie als Erreichen eines HbA1c 7,0% definiert wurde. In beiden Studien-Armen bekamen die Patienten ihre bisherige Blutzucker-senkende Therapie weiter. Auch die Dosierungen der Zusatzmedikation wurden zwölf Wochen lang nicht umgestellt, danach waren Dosis-Korrekturen der Begleitmedikation erlaubt. Auch Rescue-Medikationen waren bei sehr hohen Blutzuckerwerten möglich. Primärer Endpunkt war die Veränderung des HbA1c vom Beginn bis zur Woche 24. Als sekundärer Endpunkt wurde unter anderem der Anteil von Patienten erfasst, die einen HbA1c < 7,0% erreicht hatten.

Nach 24 Wochen betrug die durchschnittliche Veränderung des HbA1c im Linagliptin-Arm -0,61%, im Placebo-Arm +0,04% (p < 0,0001). Die Senkung des Nüchtern-Blutzuckers betrug nach den 24 Wochen im Linagliptin-Arm im Mittel -1,15 mmol/l. Im Placebo-Arm dagegen war er sogar angestiegen. Zu schweren Nebenwirkungen kam es im Verum-Arm bei 14 Patienten (8,6%), unter Placebo bei fünf Patienten (6,3%). Zu Hypoglykämien kam es im Linagliptin-Arm bei 39 Patienten (24,1%), aber nur bei 13 Patienten im Placebo-Arm (16,5%). Eine schwere Hypoglykämie trat bei einem Patienten auf, der zusätzlich zu Lina-gliptin Metformin und ein Sulfonylharnstoff-Derivat erhalten hatte.

Welchen Zielwert anstreben?

In dieser Studie konnte gezeigt werden, dass Linagliptin gut vertragen wird, sich nicht auf das Gewicht der Patienten auswirkt und die Blutzuckerkontrolle bei Typ-2-Diabetikern, die 70 Jahre oder älter sind, verbessern kann, wenn es zu den bereits vorhandenen Glucose-senkenden Arzneimitteln hinzugefügt wird. Bezüglich der Einschlusskriterien in diese Studie ist es aber fraglich, ob es bei Patienten in diesem Alter überhaupt realistisch ist, einen Zielwert von HbA1c < 7,0% anzustreben. Hier wurde in der Studie die Grenze gezogen, und die Patienten mit HbA1c > 7% als „ungenügend kontrolliert“ definiert. Verschiedene Diabetes-Fachgesellschaften empfehlen aber inzwischen bei Älteren durchaus schon einen höheren Zielwert. Darauf wird auch in einem Kommentar im Lancet hingewiesen [2]. Fraglich ist es demzufolge, ob es einen Unterschied zwischen den Zielwerten jüngerer und älterer Diabetiker geben sollte. Sicher sollte das im Einzelfall entschieden werden, wobei dann aber auch der Gesamtgesundheitszustand des Patienten mit berücksichtigt werden muss. Insofern bedauerten die Kommentatoren auch, dass in der Studie von Barnett und Kollegen nicht unterschieden wurde zwischen „gebrechlichen“ und „nicht gebrechlichen“ Patienten.

Negative Nutzenbewertung

Im August 2011 wurde Linagliptin zwar von der Europäischen Kommission zugelassen, aber in Deutschland ist das Medikament von den Herstellern Boehringer Ingelheim und Lilly, die das Arzneimittel gemeinsam entwickelt haben, bisher nicht auf den Markt gebracht worden. Dies muss im Zusammenhang mit der Nutzenbewertung durch das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) gesehen werden. Für die frühe Nutzenbewertung wurde 2011 nicht der Vergleich mit Standardtherapien wie Metformin oder Sulfonylharnstoffen eingereicht, sondern Linagliptin wurde mit anderen Gliptinen verglichen. Das IQWiG konstatierte daher für Linagliptin keinen Zusatznutzen gegenüber den Standardtherapien.

Gliptine

Gliptine hemmen selektiv und reversibel die Dipeptidylpeptidase 4 (DPP 4). Sie fördern die Insulinsynthese und -freisetzung aus den Betazellen des Pankreas, verbessern die Empfindlichkeit der Betazellen auf Glucose und erhöhen dessen Aufnahme in die Gewebe. Es wird die Glucagonsekretion aus den Alphazellen reduziert, und dadurch kommt es zu einer verminderten Glucoseproduktion in der Leber. Zu den möglichen unerwünschten Wirkungen einer Mono- oder Kombinationstherapie gehören Nasopharyngitis, Hyperlipidämie, Husten, Gewichtszunahme, Überempfindlichkeitsreaktionen, Kopfschmerzen sowie Muskel- und Gelenkschmerzen.

Nach dieser ersten negativen frühen Nutzenbewertung konnten die Hersteller das IQWiG und den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) auch im zweiten Anlauf nicht überzeugen: Im Februar 2013 hatte der G-BA auch nach Vorlage eines neuen Dossiers Linagliptin keinen Zusatznutzen im Vergleich zur zuvor festgelegten zweckmäßigen Arzneimitteltherapie attestiert. Der Hersteller habe keine relevanten Studien vorgelegt, hieß es in der Begründung. In der vorgelegten Studie wurden nicht nur zwei Wirkstoffe, sondern auch zwei unterschiedliche Therapiestrategien verglichen. Es sei daher nicht klar, ob mögliche Unterschiede auf die Wirkstoffe oder auf die Therapiestrategie zurückzuführen seien. Möglicherweise kann die jetzt im Lancet publizierte Studie dazu beitragen, einen Zusatznutzen für Linagliptin nachzuweisen, nämlich besonders für Patienten über 70 Jahre. 

Quelle

[1] Barnett AB et al: Linagliptin for patients aged 70 years or older with type 2 diabetes inadequately controlles with common antidiabetes treatments. Lancet, Published online 13. August 2013 dx.doi.org/10.1016/S0140-6736(13)61500-7

[2] Sinclair A, Morley J: Fraility and diabetes. Lancet, Published online 13. August 2013 dx.doi.org/10.1016/S0140-6736(13)61676-1

 

Apothekerin Dr. Annette Junker

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