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„Wir wollen keine Rabattverträge“

Dr. Martina Bunge zum Wahlprogramm der Linken

BERLIN (jz/ks). Die Linke will die Solidarität und Qualität in der Gesundheitsversorgung stärken. Im Bereich Arzneimittelversorgung setzt sie dabei ausdrücklich auf Apotheker. Im Wahlprogramm der Partei finden sich zudem weitere Stichpunkte, die aufhorchen lassen, etwa die Forderung nach einem Rx-Versandhandelsverbot, einer Positivliste oder die Einbeziehung aller Gesundheitsberufe in die Bedarfsplanung. Die Deutsche Apotheker Zeitung sprach mit Dr. Martina Bunge, gesundheitspolitische Sprecherin der Linksfraktion, über all diese Forderungen ihrer Partei. Bunge erklärte auch, weshalb es aus ihrer Sicht derzeit in der Selbstverwaltung zwischen Apothekern und den Kassen nicht rund läuft.

 

DAZ: Frau Bunge, die Linke erwähnt in ihrem Wahlprogramm ausdrücklich die Apotheker. Sie setzt auf ihre Qualifikation und Erfahrung bei der Versorgung der Menschen mit Arzneimitteln und bei der pharmazeutischen Beratung ...

Bunge: Im Frühjahr hat der ABDA-Präsident, Friedemann Schmidt, bei einer Veranstaltung bemängelt, dass sich in den Wahlprogrammen der Parteien kaum etwas zu Arzneimitteln oder gar Apotheken findet. Ich hatte mich zwar von Anfang an dafür eingesetzt, aber auch unser Programm enthielt zunächst nichts dazu. Nur, dass wir eine Positivliste wollen und staatlich festgesetzte Preise für neue Arzneimittel. Für die gute und flächendeckende Versorgung ist es meiner Meinung nach aber außerordentlich wichtig, auch etwas zum Bestand der Apotheken zu sagen. Deshalb habe ich mich in der letzten Phase der Entwicklung des Wahlprogramms eingemischt – und so entstand dieser Absatz. Er soll klarstellen, dass Apotheker nicht bloß Verkäufer sind, sondern hochqualifizierte Pharmazeuten, die einen eigenen Beitrag zur gesundheitlichen Versorgung leisten. Was sie können, kann der Arzt nicht – und umgekehrt. Die beiden Berufsgruppen sollten sich ergänzen.

 

DAZ: Bedeutet die Formulierung, dass Sie sich auch vorstellen können, dass Apotheken künftig weitere Aufgaben übernehmen – beispielsweise in Regionen, die medizinisch weniger gut angebunden sind?

Bunge: Nein. Natürlich sollten wir bei den Gesundheitsberufen generell über die Delegation und Substitution von Aufgaben nachdenken. Aber das würde ich jetzt nicht bei den Apotheken festmachen. Das erfordert zunächst eine grundsätzliche Diskussion. Die ist aber sicher nicht einfach, denn wer kann was übernehmen? Und was ist sinnvoll? So weit sind wir in Deutschland noch nicht.

 

DAZ: Was auch ausdrücklich in Ihrem Wahlprogramm steht, ist das Verbot des Rx-Versandhandels. Das ist keine neue Forderung, aber während alle anderen Parteien meinen, daran sei nichts mehr zu rütteln, sind die Linken bei dieser Frage sehr beharrlich ...

Bunge: Die Juristen diskutieren in diesem Zusammenhang den Bestandsschutz. Diese Frage sollte aber erst einmal vor Gericht gehen. Die FDP hat in die jetzige Koalitionsvereinbarung die Pick-up-Stellen eingebracht – sie sollten verboten werden. Das wurde verfassungsrechtlich geprüft und innerhalb der Regierung für nicht machbar befunden. Daher sage ich: Macht es doch konsequent! Wenn es keinen Versandhandel mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln gibt, erledigen sich auch die Pick-up-Stellen. Abgesehen davon finde ich, dass es ein unfairer Wettbewerb ist. Versandapotheken sind nicht beteiligt an den Notdiensten, können sich die Rosinen rauspicken und locken die Patienten mit Dauermedikation an. Es wird also versucht, im Segment des Versandhandels Menschen zu binden. Die Apotheken vor Ort brauchen aber auch eine gewisse Substanz. Sie sind sonst nur noch dazu da, die Problemfälle zu lösen. Diese Entwicklung muss gestoppt werden. Und jetzt wäre der Anteil des Versandhandels noch so gering, dass es noch möglich wäre. Beim letzten Apothekertag haben sich plötzlich alle klar zur inhabergeführten Apotheke bekannt – das war bisher nicht üblich. Die anderen Parteien sollten dann aber auch zu ihrem Wort stehen!

 

DAZ: Bei besagtem Apothekertag im Oktober 2012 sagten Sie auch, dass nicht allein der Markt über Apothekenstandorte entscheiden soll, sondern der Bedarf. Im Wahlprogramm heißt es jetzt, dass alle Gesundheitsberufe in die Bedarfsplanung einbezogen werden sollen. Was ist damit gemeint?

Bunge: Bedarfsplanung wird ja oft verteufelt als staatliche Regulierung. Man sollte aber nicht solche Scheuklappen aufsetzen. Jedes Unternehmen plant und macht Marktanalysen. Die Erfolge von Konzernen basieren darauf. Die Bedarfsplanung im Gesundheitsbereich läuft separat in unterschiedlichen Gremien ab. Deshalb denke ich, dass überhaupt erst einmal wissenschaftlich der medizinische Versorgungsbedarf erhoben werden muss und dann in den Regionen stärker die Gesamtheit der medizinischen und betreuerischen Versorgungsträger in den Blick genommen werden müssen. Aber warum soll das im verschlossenen Kämmerlein verhandelt werden? Da gehören alle an einen Tisch – auch die Apotheker. Ich möchte deren Blick durch die Einbeziehung in eine solche komplexe regional stattfindende Bedarfsplanung öffnen – und das kann ihnen auch bessere Möglichkeiten für ihr Geschäft eröffnen. Ich verstehe nicht recht, warum das immer so skeptisch gesehen wird.

 

DAZ: Damit ist also nicht gemeint, dass Sie die Niederlassungsfreiheit beschränken wollen?

Bunge: Nein. Da sind die Apotheker schon selber schuld, wenn auf dem Marktplatz in einer großen Stadt an jeder Ecke eine Apotheke ist und sie sich wundern, dass das Geschäft nicht richtig läuft.

 

DAZ: Und wie stehen Sie zu Ideen wie den mobilen Apotheken?

Bunge: Da habe ich ein bisschen Bauchschmerzen. Ich bin eher dafür, zu überlegen, wie man die Beratung vor Ort besser organisieren kann. Aber das sind ja auch nur Stichworte, die die CDU eingeworfen hat. Verschließen will ich mich dem nicht, doch ich weiß zu wenig darüber, wie sie sich das konkret vorstellen. Gerade bei unserem jetzigen System mit den Rabattverträgen: Wie soll so eine mobile Apotheke alles Erforderliche an Bord haben – und auch noch gut gekühlt?

 

DAZ: Apropos Rabattverträge: Die Linke fordert eine Positivliste. Soll diese die Rabattverträge ablösen? Und wie stellen Sie sich dann das Zusammenspiel mit dem AMNOG vor – wie würde sichergestellt, dass neue Präparate auf die Positivliste kämen?

Bunge: Ja, wir wollen keine Rabattverträge. Im Sinne der Einhaltung wissenschaftlich fundierter Compliance wäre mir eine staatlich überprüfte, auf einer Kosten-Nutzen-Bewertung basierende Preisbildung viel lieber. Wir sehen bei den Rabattverträgen ja, wie viel Spielraum es bei der Preisbildung gibt. Diese Kosten-Nutzen-Bewertung kann auch in die von uns geforderte Positivliste eingebunden werden. Diese Liste wäre dann ein – wie man heute so sagt – „lernendes“, sich ständig aktualisierendes System. Das ist nicht einfach, das gebe ich zu. Es reicht nicht, einmal eine Liste zu machen, die dann nach zehn Jahren erneuert wird. Das ist ein ständiger Prozess. Aber mit digitaler Technik ist das alles möglich. Davor braucht man keine Angst zu haben. Es muss dafür gesorgt werden, dass keine Mondpreise möglich sind, und es sollen nur die Medikamente auf die Liste kommen, die wirklich sinnvoll sind, die eine bessere Versorgung bringen und eine bessere Therapie garantieren. Überhaupt sollte alles, was medizinisch notwendig ist, von der Krankenversicherung bezahlt werden. Das wäre ein einfaches System in der Abrechnung, ohne Zuzahlungen. Den Spielraum dafür böte die Bürgerversicherung.

 

DAZ: Aus der Politik gibt es derzeit einige Kritik an der Selbstverwaltung. Alles gehe zu beschwerlich – auch bei den Verhandlungen zwischen Apothekern und GKV-Spitzenverband. Stichworte sind etwa der Kassenabschlag und die Substitutionsausschluss-Liste. Wo hakt es Ihrer Meinung nach?

Bunge: Obwohl die Kassenseite mit ihren Milliardenüberschüssen inzwischen gut dasteht – zumindest vermeintlich –, steht sie unter einem wahnsinnigen Druck. In den Krankenkassen hat eine Denkstruktur eingesetzt, so wenig wie möglich zuzulassen, um diese Situation zu halten. Die einzelnen Kassen haben einfach Angst vor Zusatzbeiträgen. Davor, dass ihnen die Versicherten weglaufen, sie in einen Strudel geraten und insolvent werden könnten. Dieser Druck schlägt durch bis in die Politik der Selbstverwaltung. Es ist eine Blockadehaltung seitens der Krankenkassen. Statt „wir müssen alles tun, um die bestmögliche Versorgung für unsere Patienten zu organisieren“ heißt es jetzt „wir müssen das Geld der Versicherten zusammenhalten“. Das ist für mich der Hauptpunkt.

 

DAZ: Und was wäre die Lösung?

Bunge: Man müsste auch mal Reminiszenz ziehen! Wir haben für den GKV-Spitzenverband mit dem Gesundheitsfonds ein „Dach“ eingeführt – aber es wird nicht evaluiert, ob diese Struktur so in Ordnung ist. Das überlassen wir dann alles der Selbstverwaltung. Ich finde, hier zieht sich die Politik zu viel zurück. Nach dem Motto: So haben wir das geregelt und die Selbstverwaltung ist selbst schuld, wenn es nicht funktioniert. Das ist ein Punkt, den die Politik immer mal wieder selbst auf den Tisch holen sollte. Grundsätzlich ist es aber so, dass die Politik nicht alles machen kann – ihre Aufgabe ist es, die Rahmenfaktoren zu beschließen.

 

DAZ: Kommen wir zum Thema Honorar. Die Linke hat ja kürzlich gemeinsam mit der Koalition das Apothekennotdienstsicherstellungsgesetz für gut befunden ...

Bunge: Naja, sagen wir mal so: Es geht in die richtige Richtung. Ich finde die gefundene Regelung ordnungspolitisch nicht sauber. Warum bindet man die Cents, die dafür abgegeben werden müssen, an die Patientinnen und Patienten, die in die Apotheke kommen? Jeder kann zu jeder Zeit in die Situation kommen, dass er nachts einen Notdienst in Anspruch nehmen muss. Das ist ein Anliegen aller Versicherten. Warum kann man also nicht einfach ausrechnen, welche Summe hierfür erforderlich ist und den Betrag dann in einen Topf fließen lassen? Die jetzige Regelung ist mühsam – Bürokratie hoch fünf! Komplizierter geht’s kaum. Aber das Ziel „mehr Geld für die Leistung der Apotheker“ haben wir mit unterstützt. Deshalb haben wir im Bundestag „ja“ gesagt.

 

DAZ: Finden Sie das aktuelle Honorarsystem grundsätzlich in Ordnung?

Bunge: Wir meinen, dass Änderungen nicht mit der Gießkanne vorgenommen werden sollten. Es sollte immer ganz gezielt geschaut werden: Was ist für die Versorgung wichtig, was wollen wir unterstützen? Und dieser Bereich sollte dann gestärkt werden. Und darauf stellt das Honorarsystem noch nicht dezidiert ab.

 

DAZ: Die Apotheker würden gerne analog zur Notdienstpauschale weitere packungsunabhängige Honorarelemente einführen, beispielsweise im Bereich BtM und Rezeptur.

Bunge: Wie gesagt: Es kommt auf die Leistung an. Unser Grundprinzip im Gesundheitssystem ist: Das Geld muss der Leistung im Bedarf folgen.

 

DAZ: Die Apothekerschaft diskutiert momentan auch ein neues Leitbild für sich. Was sollten sie dabei besonders beachten?

Bunge: Über Selbstverständnis zu diskutieren, kann nie schädlich sein. Ich denke, die Apothekerschaft bietet gute Beratung, exzellent ist sie aber noch nicht überall. Etwa bei der Beratung kann schon noch überlegt werden, was und wie sie besser organisiert werden kann. Auch wie man noch aktiver werden kann in der Region.

 

DAZ: Sagen Sie uns abschließend noch, warum Apotheker die Linke wählen sollten?

Bunge: Weil sie sich sicher sein können, dass wir für den Bestand der inhabergeführten Apotheke und für eine vernünftige Bezahlung sind. Die Linke ist die einzige Partei, die den Versandhandel inklusive Pick-up-Handel und die Rabattverträge ablehnt. Wir setzen uns konsequent für das Fremd- und Mehrbesitzverbot ein und wollen die heilberufliche Ausrichtung des Apothekerberufs stärken. In den Apotheken gibt es außerdem Arbeitsplätze, die gerade für Frauen sehr attraktiv sind: Wir sind dafür, dass diese ausreichend bezahlt werden, weil Apotheken für die gute Versorgung der immer älter werdenden Bevölkerung außerordentlich wichtig sind. Oft sind sie noch der einzige Anlaufpunkt. Deshalb werden wir uns immer für den Bestand der Apothekerinnen und Apotheker einsetzen, die anderen Parteien und Fraktionen drängen, dies ebenfalls zu tun, und alles, was dem schadet – wie der Versandhandel – abzuwenden.

 

DAZ: Frau Bunge, wir danken Ihnen für das Gespräch! 

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