Arzneimittel und Therapie

Nicht-steroidale Antirheumatika im Vergleich

Risiko von Komplikationen im oberen Gastrointestinaltrakt, Herzinfarkt und Schlaganfall

Die nicht-steroidalen Antirheumatika (NSAR) sind ins Gerede gekommen. Diskutiert werden ihre kardiovaskulären und gastrointestinalen Risiken. Die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft berichtet über die Ergebnisse einer Metaanalyse von Beobachtungsstudien sowie über eine Metaanalyse von randomisierten Studien zu kardiovaskulären und gastrointestinalen Risiken von NSAR.

Verordnungen von NSAR in Deutschland

Nicht-steroidale Antirheumatika (NSAR) zählen zu den am häufigsten verordneten Arzneimitteln in Deutschland. Führend nach verordneten Tagesdosen (defined daily dose, DDD) waren dabei im Jahr 2011 Ibuprofen (422,4 Mio. DDD) und Diclofenac (419,8 Mio. DDD) [1]. Mit großem Abstand folgten Naproxen (15,9 Mio. DDD), Meloxicam (13,9 Mio. DDD) und Indometacin (11,8 Mio. DDD). Die beiden verfügbaren selektiven COX-2-Hemmer (Coxibe) Etoricoxib und Celecoxib wurden mit 65,1 bzw. 25,1 Mio. DDD verordnet.

Risiken von NSAR: aktuelle Daten

Das von der Europäischen Kommission geförderte SOS-Projekt (Safety Of non-Steroidal anti-inflammatory drugs) soll die kardiovaskulären und gastrointestinalen Risiken der einzelnen NSAR bewerten und vergleichen [2]. Wir stellen Ergebnisse einer Metaanalyse von Beobachtungsstudien aus diesem Projekt vor sowie eine Metaanalyse von randomisierten Studien zu kardiovaskulären und gastrointestinalen Risiken von NSAR [3].

NSAR und Komplikationen im oberen Gastrointestinaltrakt

Nach bisherigem Kenntnisstand führen NSAR zu einer drei- bis fünffachen Erhöhung des Risikos für Komplikationen im oberen Gastrointestinaltrakt (GI) [4, 5]. Bekannte Risikofaktoren sind unter anderem höheres Lebensalter und eine Ulcusanamnese [5]. Anhand einer Metaanalyse von Beobachtungsstudien aus den Jahren 1980 bis 2011 wurde jetzt das relative Risiko für diese GI-Komplikationen (obere GI-Blutung, Perforation, Ulcus) unter einzelnen NSAR einschließlich Coxiben im Vergleich zu keiner Einnahme von NSAR untersucht [6]. Die gepoolten relativen Risiken der NSAR liegen zwischen 1,43 und 7,43 (Tabelle 1).

Dosisabhängigkeit: Die Einnahme einer hohen Dosis des jeweiligen NSAR (z.B. > 1200 mg Ibuprofen oder > 100 mg Diclofenac) führte zu einer zwei- bis dreifachen Erhöhung des relativen Risikos gegenüber niedrigen Dosierungen. Ausnahme war Celecoxib, für das keine Dosisabhängigkeit des relativen Risikos festgestellt werden konnte. Ibuprofen und Diclofenac unterschieden sich bei Anwendung der hohen Dosierungen nicht mehr.

Gastroprotektive Substanzen: Nur in einer eingeschlossenen Studie wurde der Einfluss von gastroprotektiven Substanzen untersucht [7]. In dieser Studie war kein erhöhtes Risiko für Komplikationen im oberen GI-Trakt nachweisbar, wenn gleichzeitig Protonenpumpenhemmer oder Misoprostol eingenommen wurden. Dies galt für alle NSAR außer für Diclofenac, bei dem sich ein erhöhtes Risiko auch unter protektiver Begleitmedikation zeigte. Die Autoren weisen in der Diskussion jedoch darauf hin, dass es sich dabei auch um eine zufällige Beobachtung handeln könnte. Die Metaanalyse von randomisierten Studien [3] zeigte für alle untersuchten NSAR eine Erhöhung des relativen Risikos für obere GI-Komplikationen gegenüber Placebo, wobei sich für Ibuprofen ein etwas ungünstigerer Wert ergab als bei den nicht randomisierten Studien (siehe Tabelle 1): Coxibe 1,81 (95%-Konfidenzintervall [KI] 1,17 bis 2,81), Diclofenac 1,89 (1,16 bis 3,09), Ibuprofen 3,97 (2,22 bis 7,10) und Naproxen 4,22 (2,71 bis 6,56). Eine Erklärung für diese Diskrepanz lässt sich nicht ableiten.

NSAR und Myokardinfarkt

Die Metaanalyse von Beobachtungsstudien [8], die auf 18 unabhängigen Studienpopulationen mit insgesamt etwa 100.000 akuten Myokardinfarkten (acute myocardial infarction, AMI) und etwa 64.000 AMI in den Subgruppenanalysen beruht, bestätigt ein grenzgradig bis leicht erhöhtes Risiko für einen AMI bei Einnahme verschiedener NSAR gegenüber keiner Einnahme von NSAR (siehe Tabelle 2).

Die Metaanalyse von randomisierten Studien [3] zeigt auch für Ibuprofen eine Erhöhung des Risikos für koronare Ereignisse (Rate Ratio 2,22; 95%-KI 1,10 bis 4,48), das deutlich höher liegt als bei Auswertung der nicht randomisierten Studien, aber ebenfalls nicht für Naproxen. Außer für Rofecoxib und Diclofenac war das Herzinfarktrisiko auch unter Meloxicam, Indometacin und Etoricoxib erhöht (in der Tabelle nicht aufgeführt). Eine ähnliche Erhöhung des relativen Risikos für einen akuten Myokardinfarkt zeigte sich, wenn jeweils nur Erstanwender des jeweiligen NSAR in die Analyse einbezogen wurden. Es zeigte sich ein tendenziell höheres Herzinfarktrisiko, wenn höhere Dosierungen von NSAR eingenommen wurden (jedoch nicht bei Naproxen). Bei Dic-lofenac war sowohl die niedrige als auch die hohe Dosis mit einem erhöhten Risiko für einen akuten Myokardinfarkt verbunden.

NSAR und Schlaganfall

In einer dritten Metaanalyse von Beobachtungsstudien aus dem SOS-Projekt wurde das Schlaganfallrisiko unter NSAR-Anwendung untersucht [9]. Während sich in dieser Untersuchung ein erhöhtes Risiko zeigte bei aktueller Einnahme von Rofecoxib (RR 1,64; 95%-KI 1,15 bis 2,33) sowie von Diclofenac (RR 1,27; 95%-KI 1,08 bis 1,48), konnte in der Metaanalyse von randomisierten Studien ein erhöhtes Schlaganfallrisiko unter NSAR nicht nachgewiesen werden [3].

Fazit und Empfehlung der AkdÄ

Die Einnahme von NSAR geht mit einem deutlichen Risiko für Komplikationen im oberen Gastrointestinaltrakt sowie mit einem geringeren Risiko für Herzinfarkt einher. Dies gilt sowohl für die „klassischen“ NSAR als auch für die COX-2-Hemmer (Coxibe). Die aktuellen Metaanalysen legen den Schluss nahe, dass sich die jeweiligen Risiken für einzelne NSAR zum Teil unterscheiden. Obwohl eine direkte Übertragung der Ergebnisse in klinische Handlungsempfehlungen problematisch ist, können einige Aspekte bei der Auswahl eines NSAR nützlich sein. Für das in Deutschland eher selten verordnete Naproxen zeigte sich ein erhöhtes Risiko für obere gastrointestinale Komplikationen, jedoch kein erhöhtes Risiko für akuten Myokardinfarkt.

Bei Patienten mit Indikation für einen NSAR und einem kardiovaskulären Risikoprofil kommt daher die Verordnung von Naproxen in Verbindung mit einem gastroprotektiven Medikament in Betracht. Allerdings sollte bedacht werden, dass Naproxen das kardiovaskuläre Risiko vermutlich deshalb nicht beeinflusst, weil es über eine Hemmung der Cyclooxygenase 1 die Thrombozytenaggregation in ähnlicher Weise hemmt wie Acetylsalicylsäure. Dieser Effekt tritt jedoch möglicherweise nur bei höhen Dosierungen (1000 mg pro Tag) auf und nicht bei den niedrigen, nicht rezeptpflichtigen Dosierungen [10]. Für Ibuprofen, das in Deutschland am häufigsten verordnete NSAR, ist die Datenlage nicht eindeutig. Während die Beobachtungsstudien ein gepooltes Risiko für obere gastrointestinale Komplikationen zeigen, das bei den hohen Dosierungen dem von Diclofenac ähnelt, spricht die Metaanalyse der randomisierten Studien für ein höheres Risiko unter Ibuprofen als unter Diclofenac. Das Risiko für einen Myokardinfarkt wird in den Beobachtungsstudien durch Ibuprofen nicht beeinflusst. Dagegen zeigen die randomisierten Studien eine Erhöhung des Risikos, das jedoch – auch wegen der Interaktion mit Acetylsalicylsäure – weiterer Untersuchungen bedarf. Die AkdÄ hält bei der derzeitigen Datenlage eine Dosierung eher am unteren Ende des Dosisbereichs für angezeigt, um die Risiken zu verringern. Diclofenac zeigt neben dem bekannten Risiko für obere gastrointestinale Komplikationen ein kardiovaskuläres Risiko, das in etwa dem der Coxibe entspricht, insbesondere wenn längerfristig hohe Dosen (150 mg pro Tag) eingesetzt werden. Die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) hat daher kürzlich empfohlen, dass Patienten mit schweren kardiovaskulären Erkrankungen (z.B. Herzinsuffizienz, Herzinfarkt oder Schlaganfall in der Vorgeschichte) Diclofenac nicht anwenden sollen. Bei Patienten mit kardiovaskulären Risikofaktoren (z.B. arterielle Hypertonie, Hypercholesterinämie, Diabetes mellitus oder Rauchen) soll es nur nach sorgfältiger Abwägung eingesetzt werden [11]. 

Quelle

[1] Schwabe U, Paffrath D (Hrsg.): Arzneiverordnungs-Report 2012. Berlin, Heidelberg: Springer Medizin Verlag, 2012.

[2] The Safety Of non-Steroidal anti-inflammatory drugs (SOS) project: www.sos-nsaids-project.org. Zuletzt geprüft: 28. Mai 2013.

[3] Coxib and traditional NSAID Trialists’ (CNT) Collaboration: Vascular and upper gastrointestinal effects of NSAIDs: meta-analyses of individual participant data from randomised trials. Lancet 2013; 30 May: Epub ahead of print.

[4] Henry D, McGettigan P: Epidemiology overview of gastrointestinal and renal toxicity of NSAIDs. Int J Clin Pract Suppl 2003; 43-49.

[5] Hernandez-Diaz S, Rodriguez LA: Association between NSAIDs and upper gastrointestinal tract bleeding/perforation: an overview of epidemiologic studies published in the 1990s. Arch Intern Med 2000; 160: 2093-2099.

[6] Castellsague J, Riera-Guardia N, Calingaert B et al. Individual NSAIDs and upper gastrointestinal complications: a systematic review and meta-analysis of observational studies (the SOS project). Drug Saf 2012; 35: 1127-1146.

[7] Hippisley-Cox J, Coupland C, Logan R. Risk of adverse gastrointestinal outcomes in patients taking cyclo-oxygenase-2 inhibitors or conventional NSAIDs: population based nested case-control analysis. BMJ 2005; 331: 1310–1316.

[8] Varas-Lorenzo C, Riera-Guardia N, Calingaert B et al. Myocardial infarction and individual NSAIDs meta-analysis of observational studies. Pharmacoepidemiol Drug Saf 2013; 22: 559-570.

[9] Varas-Lorenzo C, Riera-Guardia N, Calingaert B et al. Stroke risk and NSAIDs: a systematic review of observational studies. Pharmacoepidemiol Drug Saf 2011; 20: 1225-1236.

[10] Capone ML, Tacconelli S, Sciulli MG et al. Human pharmacology of naproxen sodium. J Pharmacol Exp Ther 2007; 322: 453-460.

[11] EMA: PRAC recommends the same cardiovascular precautions for diclofenac as for selective COX-2 inhibitors: www.ema.europa.eu/docs/en_GB/document_library/Press_release/2013/06/WC500144451.pdf. Press Release, Doc.-No. EMA/ 353084/2013, 14 June 2013. Zuletzt geprüft: 18. Juni 2013.

 

Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft, www.akdae.de

Nachdruck aus dem Deutschen Ärzteblatt (2013) Jg. 110; Heft 29-30; 22. Juli 2013 A 1447 mit freundlicher Genehmigung des Deutschen Ärzteblatts und der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft.

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