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„Marktabschottungsregelungen sind zu hinterfragen“

DAZ-Interview mit Johann-Magnus von Stackelberg

BERLIN (ks/lk). Der GKV-Spitzenverband ist die zentrale Interessenvertretung der gesetzlichen Kranken- und Pflegekassen in Deutschland – und wohl der mächtigste Verband im Gesundheitswesen. Er ist unter anderem gefragt, wenn es darum geht, vertragliche Angelegenheiten zu regeln, die für alle gesetzlichen Krankenkassen gelten. So verhandelt der Deutsche Apothekerverband (DAV) mit dem GKV-Spitzenverband den Rahmenvertrag über die Arzneimittelversorgung sowie den regelmäßig anzupassenden Apothekenabschlag. Das läuft nicht immer spannungsfrei. Die DAZ sprach mit Johann-Magnus von Stackelberg, dem stellvertretenden Vorstandsvorsitzenden des GKV-Spitzenverbandes, über das Geschäft der Selbstverwaltung im Allgemeinen und das Verhältnis zu den Apotheken im Besonderen.

Foto: GKV-Spitzenverband
Versteht nicht, warum ein Apotheker zwar vier Apotheken besitzen darf, aber nicht zehn oder zwanzig: Johann-Magnus von Stackelberg.

DAZ: Die Verhandlungen mit dem DAV zur Vereinbarung einer Liste von Arzneimitteln, die nicht im Sinne der Aut-idem-Regelung austauschbar sind, sind gescheitert. Der DAV hat die Schiedsstelle angerufen. Werden sich nun auch die anderen beabsichtigten Änderungen im Rahmenvertrag zur Retaxation verzögern?

v. Stackelberg: Das hängt eher davon ab, inwieweit wir die Entscheidung des Bundessozialgerichts zur Nullretaxation bei der Nicht-Abgabe von Rabattarzneimitteln noch einarbeiten können. In diesem Punkt herrscht ja jetzt Klarheit: Die Retaxation auf Null ist zulässig, wenn ohne Grund ein anderes als das Rabattarzneimittel abgegeben wurde. Insofern muss der Paragraf zur Nullretaxation im Rahmenvertrag umfassend angepasst werden. Die Begründung des Gerichts liegt zwar noch nicht vor. Der Weg ist jedoch vorgezeichnet. Eine Verzögerung der Regelung zur Retaxation ist solange hinzunehmen, wie das Gericht jetzt für die Begründung braucht. Ich bin optimistisch, dass die bereits konsentierten Regelungen zur Retaxation bald verabschiedet werden können. Wir haben uns mit dem DAV ohnehin auf regelmäßige Updates des Rahmenvertrags verständigt. Es wäre allerdings nicht richtig, im Wissen um das Urteil vom 2. Juli 2013 nun bereits falsche Retax-Regelungen zu verabschieden.

 

DAZ: Glauben Sie, dass mit den neuen Regelungen zu Retaxationen im Rahmenvertrag die bisherigen Probleme ausgeräumt werden?

v. Stackelberg: Das wird man sehen. Aber ich denke, dass wir eine gute Lösung gefunden haben. Wir haben auch Klauseln vorgesehen, dass die Regelungen weiterentwickelt werden können, ohne sie in ihrer Gesamtheit infrage zu stellen.

 

DAZ: Verschiedene Politiker haben in letzter Zeit kritisiert, dass die Selbstverwaltung nicht richtig vorankomme. Beispiele sind die genannte Substitutions-Ausschlussliste und die zähen Verhandlungen zum Kassenabschlag. Gesundheitsminister Daniel Bahr denkt darüber nach, die Macht des GKV-Spitzenverbandes zu beschneiden, indem einige Aufgaben wieder auf die Kassenartverbände übertragen werden. Was meinen Sie dazu?

v. Stackelberg: Ich bin sehr gespannt, was der Bundesgesundheitsminister damit gemeint hat. Es ist ja nicht so, dass sich der GKV-Spitzenverband nach zusätzlichen Aufgaben gedrängt hat. Ganz im Gegenteil stellen wir fest, dass uns der Gesetzgeber neue Verantwortungen überträgt. So sollen wir seit diesem Jahr beispielsweise auch für europäische Fragen zuständig sein. Wir haben uns keinesfalls ungebührlich selbst Aufgaben gesucht.

 

DAZ: Gibt es Aufgaben, von denen Sie sich vorstellen könnten, sie an andere Kassenverbände abzugeben?

v. Stackelberg: Das ist eine ordnungspolitische Diskussion, die man führen kann – wir sehen dafür aber im Moment keinen Anlass.

 

DAZ: Die Kritik an der Selbstverwaltung halten Sie also für ungerechtfertigt?

v. Stackelberg: Ja. Wir haben kürzlich eine Liste über die Entscheidungen der Selbstverwaltung unter Beteiligung des GKV-Spitzenverbandes zusammengestellt. Dabei zeigte sich, dass die meisten Entscheidungen konsensual getroffen wurden. Es gab eine gewisse Aufregung über die Verhandlungen mit den Ärzten im vergangenen Jahr, wo wir uns ziemlich verhakt hatten. Doch am Ende einigten wir uns – das ist normales Vertragsgeschäft.

Ein Großteil der Arbeit der gemeinsamen Selbstverwaltung findet im Übrigen im Gemeinsamen Bundesausschuss statt. Infolge verschiedener gesetzlicher Regelungen ist dieser nicht das schnellste Gremium. Wenn man etwa Anhörungsvorschriften ständig nachbessert, geht das eben zulasten der Schnelligkeit. Dies dem Gemeinsamen Bundesausschuss zum Vorwurf zu machen, halte ich für ungerecht. Auch in diesem Gremium wird viel im Konsens entschieden. Und: Wer sollte die Entscheidungen denn sonst treffen, wenn nicht der Gemeinsame Bundesausschuss? Wäre der Ersatz etwa Staatsmedizin? Das kann nicht die Lösung sein!

 

DAZ: Wie ist denn speziell die Stimmungslage mit den Apothekern? Sind sie bockiger als andere Leistungserbringer?

v. Stackelberg: Sie sind wie sie sind. Aber man sieht ja etwa gerade beim Kassenabschlag, dass wir auch mit Apothekern nach langen Verhandlungen zu einer Lösung kommen können. Wir sind dem Schiedsamtsvorsitzenden Rainer Hess – der seine Rolle wie erwartet gut ausgefüllt hat – sehr dankbar, dass wir uns mit seiner Hilfe verständigt haben. Das ist für mich ein Zeichen funktionierender Selbstverwaltung. Probleme gibt es bei allen Verhandlungen gelegentlich. Apotheker sind mir gleich lieb wie andere Leistungserbringer.

 

DAZ: Angesichts des jüngsten GKV-Positionspapiers für die nächste Legislaturperiode verstehen die Apotheker dies möglicherweise anders. Darin fordern Sie etwa Apothekenketten – warum?

v. Stackelberg: Wir nehmen Wettbewerb ernst. Gerade deshalb sind alte Standesregelungen wie das Fremd- und Mehrbesitzverbot zu hinterfragen – vorausgesetzt die Arzneimittelsicherheit ist gewährleistet. Wir sehen in Europa, dass man Arzneimittelversorgung auch anders strukturieren kann als wir das in Deutschland tun. Ist die Beschränkung auf die inhabergeführte Einzelapotheke also wirklich noch zu rechtfertigen? Es geht uns nicht darum, den Apotheker als Beruf abzuschaffen – aber warum darf er nur vier Apotheken besitzen, warum nicht zehn oder zwanzig? Es gibt die verschiedensten Handelsformen. Warum soll man diesen Mix nicht nutzen? Wir haben keine Angst vor Handelsketten. Dass eine solche Strukturänderung Zeit braucht, kenne ich aus dem ärztlichen Bereich. Hier hat es auch sehr lange gedauert, bis man sich eingestanden hat, dass Medizinische Versorgungszentren neben der Einzelpraxis sinnvoll sind und eine ordnungspolitische Berechtigung haben. Eine derartige Entwicklung würden wir auch gerne bei der Arzneimittelversorgung einleiten.

 

DAZ: Eine andere Frage ist die der Vergütung.

v. Stackelberg: Soweit ich weiß, ist die Apothekerschaft da mittlerweile zum gleichen Ergebnis gekommen wie wir. Beim Apothekenabschlag geht es um Fragen, wie die wirtschaftliche Entwicklung einzuschätzen ist. Das ist grundsätzlich vernünftig. Aber nach dem bisherigen Verfahren wird unser Großkundenrabatt immer kleiner, möglicherweise irgendwann sogar zum Zuschlag werden. Anders übrigens als bei der privaten Krankenversicherung – hier wird die wirtschaftliche Entwicklung beim Apothekenhonorar gar nicht berücksichtigt. Und das kann so nicht sein. Wir treten daher schon länger dafür ein, dass sich die wirtschaftliche Entwicklung in der Arzneimittelpreisverordnung abbildet. Das halten wir auf Dauer für den besseren Weg. Auch hier könnte sich die Selbstverwaltung einbringen. Denkbar ist etwa, dass die zuständigen Ministerien die Arzneimittelpreisverordnung auf einen gemeinsamen Vorschlag der Selbstverwaltung hin ändern. Ich würde mir jedenfalls sehr wünschen, dass wir in der nächsten Legislaturperiode einen Vorschlag zur Änderung der Gesetzeslage erarbeiten – vielleicht gelingt dies Apothekern und GKV-Spitzenverband ja gemeinsam.

 

DAZ: Sie wollen auch den prozentualen Zuschlag der Apotheken begrenzen.

v. Stackelberg: Ja, wir wollen den dreiprozentigen Zuschlag deckeln. Bei sehr hochpreisigen Medikamenten kann er doch sehr hoch werden. Dies ist zwar kein zentraler Punkt für uns, aber doch ein wichtiger.

 

DAZ: Sind für Sie in anderen Strukturen auch andere Honorarsysteme denkbar?

v. Stackelberg: Es gibt viele Möglichkeiten der Preisgestaltung. Die jetzige – die Kombination von Fix- und prozentualem Zuschlag – halten wir grundsätzlich für richtig. Aber sie muss nicht auf Dauer so bleiben.

 

DAZ: Sie wollen auch Versandapotheken stärken. Halten Sie diese für die besseren Apotheken? Denken Sie, dass sie angesichts größerer Strukturen besser auf die Arzneimittelsicherheit achten?

v. Stackelberg: Ich würde einfach gerne eine normale wirtschaftliche Konkurrenz ermöglichen. Die Patienten sollen wählen können: Haus- oder Versandapotheke. Eine Arzneimitteldokumentation kann schließlich hier wie dort erfolgen.

 

DAZ: Es ist auch kein Geheimnis, dass der GKV-Spitzenverband meint, es gebe zu viele Apotheken. Welchen Vorteil versprechen Sie sich von einer Marktbereinigung? Und: Wie viele Apotheken dürfen es denn sein?

v. Stackelberg: Seit einiger Zeit sinkt die Apothekenzahl minimal, bleibt jedoch nach wie vor relativ hoch. Eine ideale Apothekenzahl haben wir nicht vor Augen – das soll der Markt entscheiden. Aber Marktabschottungsregelungen sind auf jeden Fall zu hinterfragen. Wir wollen auf diese Weise natürlich Wirtschaftlichkeitsreserven erschließen. Ich bin sicher, es sind noch Rationalisierungspotenziale vorhanden – etwa, wenn man an die Betriebskosten denkt. Man muss natürlich zwischen den Apotheken in der Stadt und auf dem Lande differenzieren. Wir haben ein großes Interesse, die gute Versorgung auf dem Lande beizubehalten.

 

DAZ: Wie steht der GKV-Spitzenverband zum ABDA-KBV-Modell und ähnlichen Entwicklungen?

v. Stackelberg: Bevor der Gesetzgeber die rechtliche Grundlage für das ABDA-KBV-Modell geschaffen hat, waren wir sehr skeptisch. Nun steht es aber im Gesetz und es ist nicht unsere Aufgabe, es schlecht zu reden. Wir verfolgen aufmerksam erste Ansätze zur Umsetzung. Falls es tatsächlich zu Erfolgen kommt, bin ich gerne bereit, die skeptische Haltung – auch bei mir persönlich – zu korrigieren. Es ist gut, dass z.B. im sächsischen Modellprojekt auch eine Evaluation vorgesehen ist. Liegen valide Daten vor, ändern wir auch gerne unsere Meinung. Das ist das Schöne am Wettbewerb: Es gibt Versuch und Irrtum.

 

DAZ: Letztes Jahr gab es viel Ärger nach der Ausschreibung von Grippeimpfstoffen – halten Sie solche Verträge für sinnvoll?

v. Stackelberg: Auch wenn der GKV-Spitzenverband nur für Kollektivvertragliches zuständig ist: Ja, es gab Probleme, aus denen man lernen muss. Hier hat ein Pharmaunternehmen als Lieferant versagt. Die Frage ist: Wie kann man so etwas künftig abfedern? Sicher nicht durch das Verbot solcher Verträge. Es kann nicht sein, dass die mangelnde Lieferfähigkeit eines Herstellers bei den Krankenkassen abgeladen wird. Einen „Plan B“ muss es zwar geben, wenn ein Rabattpartner nicht liefern kann. Aber hier ist zunächst der Hersteller gefordert. Er hat dafür zu sorgen, seine vertragliche Lieferverpflichtung zu erfüllen. Das wird seltsamerweise überhaupt nicht diskutiert, wenn man über die Probleme mit den ausgeschriebenen Impfstoffen spricht.

 

DAZ: Eine andere Baustelle ist die Abrechnung der Erstattungsbeträge: Apotheker, Großhändler und Hersteller meinen, der ursprüngliche Listenpreis sei hierfür die richtige Basis – so wird derzeit auch abgerechnet. Der GKV-Spitzenverband hält den vereinbarten rabattierten Preis für die richtige Grundlage. Das Bundesgesundheitsministerium ist derselben Meinung. Was muss hier aus Ihrer Sicht geschehen?

v. Stackelberg: Das Bundesgesundheitsministerium gibt uns auf, ein Gesetz umzusetzen, das die Selbstverwaltungspartner in Teilen verschieden interpretieren. Unseren Verhandlungspartnern reicht die klare Rechtsmeinung des Bundesgesundheitsministeriums nicht, die das Ministerium brieflich geäußert hat. Hier brauchen wir also eine saubere gesetzliche Klarstellung. Basis der Zuschläge muss der verhandelte Erstattungspreis sein – alles andere wäre absurd.

 

DAZ: Zum Abschluss noch ein Blick in die Zukunft: Können Sie sich vorstellen, dass Apotheken künftig – zur Sicherung der medizinischen Versorgung – zu niedrigschwelligen Anlaufstellen ausgebaut werden? Oder sollten Ärzte in unterversorgten Regionen ein gewisses Dispensierrecht erhalten?

v. Stackelberg: Beim Dispensierrecht bin ich sehr skeptisch, wenn ich an Erfahrungen im Ausland denke. Aber man kann sich durchaus Gedanken machen, ob auch Apotheker auf dem Lande mehr Aufgaben übernehmen können. Wir kennen im ärztlichen Bereich die Schwester Agnes, die Patienten beispielsweise den Blutdruck misst oder Blut abnimmt. Warum sollte man in ähnlicher Weise nicht auch Apotheker sinnvoll einsetzen? Das müsste im Rahmen der integrierten Versorgung, in einem geordneten Kooperationsverbund geschehen. Da würde ich mir von Apotheken wünschen, dass sie Vorschläge machen, welche Aufgaben sie übernehmen könnten. Es wäre gut, wenn sich Apotheker bei diesen zukünftigen Fragen einbringen. Klar ist aber auch: Ein und dieselbe Leistung kann nicht doppelt vergütet werden, abrechnen kann sie also nur einer – der Arzt, die Gemeindeschwester oder der Apotheker.

 

DAZ: Herr von Stackelberg, wir danken Ihnen für das Gespräch. 

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