Arzneimittel und Therapie

Fördert kardiovaskuläre ASS-Prophylaxe die Makuladegeneration?

Zwei Studien berichten über eine mäßige Erhöhung des Risikos, an einer späten feuchten altersbedingten Makuladegeneration (AMD) zu erkranken, wenn über Jahre niedrig dosierte ASS eingenommen wurde. Jedoch gibt es keine Korrelation mit der Einnahmedauer, der Dosis und anderen Formen der frühen und späten AMD. Patienten mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen haben per se ein erhöhtes Risiko, eine neovaskularisierende AMD zu entwickeln, die eine multifaktorielle Erkrankung ist. Der kardiale Nutzen einer ASS-Einnahme übersteigt den möglichen Schaden bei weitem.

Die AMD ist noch vor der diabetischen Retinopathie und dem Glaukom die häufigste Ursache für eine Erblindung im Alter. Zwei aktuelle Kohortenstudien deuten auf einen schwachen Zusammenhang einer langjährigen Einnahme von niedrig dosierter Acetylsalicylsäure (ASS) zur Kardioprotektion und einer erhöhten Inzidenz einer feuchten altersbedingten Makuladegeneration (AMD) hin.

  • De Jong et al. (2012) werteten Daten der European Eye Study mit 4600 älteren Patienten (> 65 Jahre) aus. Bei jedem Dritten wurde eine trockene, bei jedem 30. eine späte feuchte AMD diagnostiziert. Die Patienten mit der späten selteneren AMD gaben mehr als doppelt so häufig an, ASS einzunehmen.

  • Klein et al. publizierten im Dezember 2012 ihre Daten aus der Beaver Dam Eye Study. Ungefähr 5000 Teilnehmer aus der amerikanischen Stadt Beaver Dam in Wisconsin, die zu Beginn der Untersuchung noch keine Hinweise auf eine AMD hatten, wurden für 15 Jahre nachverfolgt. Hier erkrankten 4,5 mal so viele Teilnehmer an der trockenen wie an der feuchten AMD. Wie in der European Eye Study war die Einnahme von ASS mit einer erhöhten Inzidenz der späten feuchten AMD korreliert, nicht aber mit anderen Formen der frühen oder späten AMD. Nach mehr als zehnjähriger Einnahme war das relative Risiko mehr als verdoppelt (OR 2,20), ähnlich wie bei de Jong (2012).

Datenanalyse

Wie ernst ist dieser mögliche Zusammenhang zu nehmen? Zunächst muss klargestellt werden, dass die Inzidenzzunahme nur die seltene späte feuchte altersbedingte Makuladegeneration betrifft. Die fünf- bis zehnmal häufigere trockene altersbedingte Makuladegeneration und andere späte Formen der AMD bleiben von einer langjährigen Einnahme von Acetylsalicylsäure unbeeinflusst.

Der genaue Blick auf die publizierten Daten relativiert das ohnehin nur geringe zusätzliche Risiko. In der größeren, aussagekräftigeren Studie von B. Klein et al. erhöhte nur die Einnahme über mehr als zehn Jahre signifikant das Risiko, während eine Einnahme über fünf Jahre die Inzidenz nicht-signifikant senkte. Ebenso ohne Einfluss war der Zeitpunkt der kontinuierlichen Einnahme versus Zeitpunkt einer ersten ASS-Einnahme mit unregelmäßiger ASS-Einnahme.

Für die frühe AMD ergab sich unter Acetylsalicylsäure eine nicht-signifikante Abnahme. Die Zahl der ASS-Nutzer, die davon profitieren, entspricht ungefähr der Zahl, die unter ASS zusätzlich eine späte feuchte AMD entwickelt.

In der European Eye Study gab es eine Korrelation mit der Einnahmefrequenz, nur die tägliche Einnahme führte zu einer Inzidenzsteigerung.

In beiden Studien wurde nicht festgestellt, mit welcher Indikation (Sekundär- oder nicht wirksame Primärprophylaxe) Acetylsalicylsäure genommen wurde. Jedoch wurde bei der Beaver Dam Study die Einnahme mit der Vorgeschichte von Herz-Kreislauf-Erkrankungen sowie Arthritis und mit der Inzidenz aller AMD-Formen korreliert, auch hier ergab sich kein statistischer Zusammenhang. Ebenso gab es keine Korrelation mit der Leukozytenzahl und dem CRP-Spiegel.

Insgesamt war die absolute Zahl der späten AMD niedrig, im Schnitt ein Fall von 100 ASS-Exponierten. Gegen eine substanzielle Kausalität sprechen nicht nur der inkonsistente zeitliche Zusammenhang, sondern eine fehlende Dosis-Wirkungs-Beziehung.

Mögliche Ursachen

Die feuchte späte AMD unterscheidet sich von der trockenen AMD durch die Bildung pathologischer Blutgefäße in der Makula mit einem rasch progredienten Sehverlust. Wie könnte Acetylsalicylsäure die Pathogenese verschärfen? Die fehlende Dosis-Wirkungs-Beziehung [Klein et al. 2012] könnte auf einen COX-1-abhängigen Prozess deuten, wenn man davon ausgeht, dass ASS überwiegend in niedriger Dosierung zur Kardioprotektion eingenommen wurde und ab 50 mg/d die COX-1 vollständig geblockt ist. ASS konnte in einem Tiermodell die Neovaskularisation verstärken. Acetylsalicylsäure könnte aber auch über ein verstärktes Blutungsrisiko eine späte AMD induzieren. Viel wahrscheinlicher sind pathogenetische Cofaktoren, die sich hinter einer (späten) AMD verbergen. Die ASS-Einnahme steht für eine Herz-Kreislauf-Erkrankung, das heißt für ein lokalisiertes Symptom einer arteriellen Gefäßkrankheit, die oft mehrere Organsysteme betrifft. So besitzt eine pAVK ein hohes Risiko für letale Herzinfarkte [Herdegen, T. PharmakoLogisch! Periphere arterielle Verschlusskrankheit. Stop and go. DAZ 2009; 49: 54 – 61]. AMD wird durch Polymorphismen und epigenetische Faktoren für sowohl anti- wie proentzündliche Proteine getriggert, die ASS oder COX-Inhibitoren ihrerseits verstärken können. Ein wichtiger AMD-provozierender Faktor ist die Sonnenexposition [Sui et al., 2012]. Dass sich Patienten mit ASS und kardiovaskulären Erkrankungen als Bewegungstherapie mehr im Freien aufhalten, ist zwar wünschenswert, dabei sollten sie aber die Augen mit einer speziellen Sonnenbrille ausreichend vor dem Sonnenlicht schützen.

Korrelation oder Kausalität?

Für eine echte Korrelation (nicht für eine Kausalität!) spricht, dass in beiden Studien die ASS-Einnahme den gleichen Subtyp einer späten feuchten neovaskularisierenden AMD betrifft. Eine Kausalität mit der ASS-Einnahme ist damit noch nicht bewiesen. Offen ist, ob auch andere Inhibitoren der Cyclooxygenasen mit einem AMD-Risiko behaftet sind.

Fazit

Die Notwendigkeit einer ASS-Einnahme ist wahrscheinlich ein Surrogat für einen pathologischen Prozess im Hintergrund, der eine Unterform der altersbedingten Makuladegeneration begünstigt. Ältere Patienten mit ASS und Risikofaktoren für AMD sollten sich regelmäßig augenärztlich untersuchen lassen. In dieser vorsorgenden Hinsicht sind die Studien die größere Aufmerksamkeit wert, die sie erfahren.


Zum Weiterlesen


Aflibercept bei AMD. Weniger Injektionen dank Status-orientierter Therapie.

DAZ 2013, Nr. 1, S. 36– 38.



Quelle

Anand A, et al. Single Nucleotide Polymorphisms in MCP-1 and Its Receptor Are Associated with the Risk of Age Related Macular Degeneration. PLoS One. 2012; 7(11): e49905.

Blasiak J, Salminen A, Kaarniranta K. Potential of epigenetic mechanisms in AMD pathology. Front Biosci (Schol Ed). 2013 Jan 1; 5: 412 – 425.

de Jong PT, et al. Associations between aspirin use and aging macula disorder: the European Eye Study. Ophthalmology. 2012; 119(1): 112 – 118. doi: 10.1016/j.ophtha.2011.06.025. Epub 2011 Sep 13.

Klein BE, et al. Long-term Use of Aspirin and Age-Related Macular Degeneration. J Am Assoc 2012 Dec 19; 308 (23): 2469 – 2478. doi: 10.1001/jama.2012.65406.

Sui GY, et al. Is sunlight exposure a risk factor for age-related macular degeneration? Br J Ophthalmol. 2012 Nov 10 [Epub ahead of print].

Synowiec E, et al. Association between polymorphism of the NQO1, NOS3 and NFE2L2 genes and AMD. Front Biosci. 2013 Jan 1; 18: 80 – 90.


Prof. Dr. med. Thomas Herdegen
Universitätsklinikum Schleswig-Holstein
Campus Kiel
Hospitalstraße 4
24105 Kiel



DAZ 2013, Nr. 3, S. 30

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