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Blamable Pauschale

Dr. Benjamin Wessinger Chefredakteur der DAZ

Die Umsetzung der versprochenen Notdienstpauschale scheint sich zu einer veritablen Blamage zu entwickeln. Über ein Vierteljahr nach der überraschenden Ankündigung ist immer noch nicht abzusehen, wo die zugesagten 120 Millionen Euro pro Jahr herkommen und wie sie verteilt werden sollen.

Offenbar plant das Gesundheitsministerium, dass die Krankenkassen die Pauschale aufbringen sollen. Das führt aber auf mehreren Ebenen zu Problemen: Da nicht nur gesetzlich Versicherte den Notdienst in Anspruch nehmen, soll sich die PKV an der Finanzierung beteiligen. Es gibt aber – anders als bei den gesetzlichen Kassen mit dem GKV-Spitzenverband – gar keinen tariffähigen Verband, der für alle privaten Versicherungen das Geld einsammeln und verteilen könnte. Außerdem gibt es neben der PKV ja auch noch die Beihilfe und die freie Heilfürsorge – was zu weiteren Problemen führt. Bereits im November letzten Jahres war bekannt geworden, dass Uneinigkeit herrsche, wie hoch der Anteil der einzelnen Versicherungsträger an der Pauschale sein soll.

Das war aber schon im Herbst verwunderlich. Da die Apotheken völlig unabhängig von der Inanspruchnahme eine ständige und flächendeckende Dienstbereitschaft gewährleisten müssen, kann doch die Bezahlung sinnvollerweise auch nur unabhängig von der tatsächlichen Inanspruchnahme geregelt werden. Dann aber ist die Berechnung der Anteile der einzelnen Träger ganz einfach: anteilig nach Zahl der Versicherten.

Aus dem Bundesjustizministerium hört man nun, es gebe auch kompetenzrechtliche Bedenken, ob der Bund solche Regelungen für die Beihilfeträger überhaupt treffen darf.

Der eigentliche Grund für das verworrene und komplizierte Verfahren ist aber doch, dass überhaupt der umständliche Weg über die Krankenversicherung gegangen wird. Da der Notdienst ja sozusagen zum Bereich der öffentlichen Daseinsvorsorge gehört, eine Gemeinwohlaufgabe darstellt, könnte er doch eigentlich ganz einfach aus Steuermitteln finanziert (beziehungsweise bezuschusst) werden.

Nicht wenige Beobachter der Berliner Gesundheitspolitik haben die Ankündigung der Notdienstpauschale im vergangenen Herbst auch genau so verstanden: Die Krankenkassen bezahlen das gestiegene Apothekenhonorar, die Allgemeinheit – sprich der Steuerzahler – finanziert die Notdienstpauschale, um die versorgungspolitisch wichtigen und unter den ständigen Notdiensten besonders leidenden Landapotheken zu unterstützen.

Die Forderungen nach der Pauschale kamen damals wie heute vor allem aus dem Unionslager. Umso erstaunlicher ist doch, dass der Finanzminister, der ja ebenfalls der Union angehört, offenbar nicht bereit ist, Steuermittel zur Finanzierung der politischen Versprechen seiner Parteifreunde locker zu machen.

Vielleicht liegt das Problem aber auch ganz woanders: Wie man aus dem Bundesjustizministerium hört, wird dort die Notdienstpauschale nicht als versorgungspolitische Maßnahme betrachtet, sondern als "Krücke", um den Apotheken – über die Anhebung des Fixhonorars hinaus – eine Erhöhung der Vergütung zu gewähren. Und dies wäre tatsächlich Aufgabe der Kassen und nicht des Steuerzahlers. Die oben genannten Argumente sprechen aber eigentlich gegen eine (vollständige) Finanzierung des Notdienstes über die Versichertengemeinschaft. Und eine Mischkalkulation bzw. Quersubventionierung über das normale Apothekenhonorar ist durch bei der teilweise dramatischen wirtschaftlichen Situation vieler Apotheken schlichtweg nicht mehr möglich.

Zu einem mindestens genauso großen Problemkomplex könnte sich die Verteilung der 120 Millionen – wenn denn endlich klar ist, wo sie herkommen – entwickeln. Es steht zu hoffen, dass sich hierfür einfachere und unkompliziertere Lösungen finden. Denn es zeichnet sich ab, dass für die Verteilung der Gelder die Apothekerkammern zuständig sein könnten. Hier würde sich im Zweifelsfall also nicht die Politik, sondern die Apothekerschaft blamieren.

Einziges Trostpflaster: Kenner der gesundheitspolitischen Szene in Berlin gehen fest davon aus, dass die Notdienstpauschale in der angekündigten Höhe von 120 Millionen Euro im Jahr tatsächlich kommt. Es könnte allerdings sein, dass sich eine eigentlich einfach klingende Maßnahme bis dahin zu einem höchst komplexen, bürokratischen Monstrum entwickelt hat. Aber das wäre ja nichts Neues im deutschen Gesundheitswesen.


Dr. Benjamin Wessinger



DAZ 2013, Nr. 3, S. 3

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