Betreuung

Welche Informationen wünschen chronisch kranke Patienten?

Von Fred Harms und Dorothee Gänshirt | Chronisch kranke Patienten sind zunehmend Experten ihrer Erkrankung und stellen hohe Anforderungen an das Niveau von Gesundheitsinformationen. Sie erwarten, dass die Informationen ihnen bei der Bewältigung der Erkrankung helfen – psychisch oder physisch. Patienten können ihre Fähigkeit zum Selbstmanagement durch die Informationen, die sie erhalten und verstehen, verbessern. Vor allem Patienten mit einem hohen Leidensdruck ändern aufgrund von solchen Gesundheitsinformationen dauerhaft ihr Gesundheitsverhalten, wenn sie dabei eine kontinuierliche Unterstützung z. B. durch einen Arzt oder Apotheker erhalten.

Der Umgang mit chronisch kranken Menschen erfordert eine hohe Kommunikationsfähigkeit. Kommunikation bedeutet nicht, halbherzig auf potenzielle – und häufig marginale – Vorteile eines Medikamentes hinzuweisen in der Hoffnung, dass der Patient freudig zugreift. Vielmehr sollte der Heilberufler mit Empathie auf die wirklichen alltäglichen Probleme eingehen, um den Patienten zu helfen.

Neben dem Arzt und Apotheker ist der chronisch kranke Patient selbst die Person, die den größten Einfluss auf den Behandlungserfolg hat. Viele Patienten haben dies bereits erkannt und fordern daher das gleiche Mitspracherecht bei therapeutischen Entscheidungen wie ihre Ärzte und Apotheker. Dieses Patienten-Empowerment wird zwar theoretisch weitgehend akzeptiert und gewünscht, aber häufig noch nicht wirklich umgesetzt. Ärzte und Apotheker sind somit aufgefordert, ihren Patienten auf gleicher Augenhöhe zu begegnen. Sie müssen erkennen, dass eine hierarchische Beziehung bei chronischen Erkrankungen einem besseren Therapieerfolg im Wege steht.


Empowerment


Die Europäische Stiftung für Gesundheit (European Health Care Foundation; EUHCF) ist eine gemeinnützige Stiftung mit Sitz in der Schweiz, deren Ziel die Verbesserung der Versorgung chronisch kranker Menschen in Europa ist. Der Fokus liegt hierbei auf der Entwicklung von Konzepten zur Patientenkommunikation und -edukation bzw. zur Verbesserung des Selbstmanagements chronischer Erkrankungen. In diesem Sinne hat sie bereits vor zehn Jahren die Philosophie des Empowerments aufgegriffen.

Die EUHCF hat ein E-Learning- bzw. Blended-Learning-Konzept entwickelt, über welches Ärzte und Apotheker in der Selbstmanagementbetreuung von Patienten mit chronischen Erkrankungen ausgebildet werden (www.euhcf.org). Darüber hinaus unterhält sie ein Patientenportal (www.patientenfuchs.de).

COPE-Studie

Die COPE-Studie (Cooperation with Patients in Europe) wurde in zwei Phasen in Deutschland bzw. in der Schweiz durchgeführt.

COPE 1. In der ersten Phase, COPE 1, wurden chronisch kranke Patienten mit Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Krebs in Deutschland seit dem Jahre 2008 zu ihren Informationsbedürfnissen sowie zur Vertrauenswürdigkeit der Informationen verschiedener Gruppen gefragt. Die Patienten füllten dabei Fragebögen in Arztpraxen – bei Diabetologen, Internisten und Onkologen – , bei Patientenveranstaltungen und bei Patientenorganisationen aus. Der Fragebogen enthielt Multiple-Choice-Tests, Bewertungsfragen und offene Fragen.

COPE 2. In der zweiten Phase, COPE 2, wurden Patienten mit Rheuma oder chronischem Schmerz in der Schweiz bei Patientenveranstaltungen zu ihren Erfahrungen mit Gesundheitsinformationen befragt. Auch dieser Fragebogen enthielt Multiple-Choice-Tests, Bewertungsfragen und offene Fragen.

Primäres Studienziel war, Folgendes über die Patienten zu erfahren:

  • ihre Wüsche und Bedürfnisse, Ängste und Grenzen in Bezug auf Gesundheitsinformationen;
  • ihre Einstellung zu Gesundheitsinformationen aus verschiedenen Quellen;
  • der Einfluss von Gesundheitsinformationen auf ihr Gesundheitsverhalten.

Sekundäre Studienziele waren,

  • das Bewusstsein für die Wünsche und Bedürfnisse der Patienten zu erhöhen;
  • eine Basis zur Implementierung eines Kommunikationskonzeptes für chronisch kranke Patienten zu legen.

COPE 1

Insgesamt nahmen 780 Patienten an der Befragung teil. Mehr als die Hälfte (57%) waren über 60 Jahre alt, 58% waren Männer; die meisten Teilnehmer waren deutsche Staatsbürger (97%), verheiratet (66%) und lebten in einem Zwei-Personen-Haushalt (61,3%). Fast die Hälfte der Patienten (46%) hatte einen Hauptschulabschluss. Die Mehrheit der Teilnehmer war entweder pensioniert (56%) oder angestellt (32,4%); 81% waren gesetzlich krankenversichert.

52% der Patienten litten, was die Erstindikation betrifft, unter Diabetes, 34% hatten eine Herz-Kreislauf-Erkrankung, und 14% waren Krebspatienten. Die Mehrheit der Patienten mit mehr als einer Erkrankung litt an Diabetes und einer Herz-Kreislauf-Erkrankung (24,6%). Jeweils 30% der Patienten mit Diabetes oder einer Herz-Kreislauf-Erkrankung waren vor fünf bis zehn Jahren oder vor mehr als zehn Jahren diagnostiziert worden, während die Mehrheit der Krebspatienten (64,8%) innerhalb der letzten fünf Jahre diagnostiziert worden war. Was die Wahrnehmung ihrer Erkrankung betrifft, so empfanden 95% der Krebspatienten, 75% der Herz-Kreislauf-Patienten und 65% der Diabetespatienten ihre Erkrankung als gefährlich oder sehr gefährlich.

Bedürfnis nach Information und Unterstützung bei chronischen Erkrankungen

Die Patienten wurden gefragt, wie viel Vertrauen sie zu Gesundheitsinformationen aus verschiedenen Quellen haben und wie gut ihnen diese Informationen bei der Bewältigung ihrer Erkrankung helfen (Abb. 1). Das meiste Vertrauen bringen sie ihren Ärzten entgegen (Hausärzte 72%, Fachärzte 91%), gefolgt von Apothekern (48%), Familie, Freunden und Bekannten (45%), Selbsthilfegruppen und Krankenkassen (je 35%).

Abb. 1: Antworten auf die Frage: „Wie groß ist das Vertrauen in die folgenden Gruppen, wenn sie Fragen zu Ihrer ­Erkrankung haben?” (COPE 1; n = 723)

20% der Patienten sind der Meinung, dass das Internet eine relevante Unterstützung leistet. Die meisten Patienten finden diese Informationen im Allgemeinen zu oberflächlich, da sie nur in Ausnahmefällen konkrete Fragen patientenrelevant beantworten (94%). Sie wünschen sich vor allem richtige und verständliche Gesundheitsinformationen (97%). Darüber hinaus betonen die Patienten, dass nur solche Informationen hilfreich sind, die den täglichen Umgang mit der Erkrankung erleichtern (93%). Außerdem meinen sie, dass Patienten-Informationen durch eine unabhängige Organisation – wie z. B. eine Stiftung oder Universität – kontrolliert sein sollten (93%).

Das geringste Vertrauen bringen die Patienten dem Fernsehen (16%), der pharmazeutischen Industrie (14%) und der Politik (1%) entgegen.

Die meisten Teilnehmer (77%) gaben an, dass die Zeit, die sie mit ihrem Arzt verbringen, in der Regel ausreicht, um die grundsätzlichen Fragen und Probleme zu besprechen, dennoch hätten 81% gern zusätzliche Unterstützung neben den üblichen Arztbesuchen. Den größten Unterstützungsbedarf sehen die Patienten in den Bereichen Ernährung und Bewegung sowie Anwendung, Wirkung und Nebenwirkung von Arzneimitteln (s. Textkasten). Bezüglich ihrer Einstellung zu Arzneimitteln gaben die meisten Patienten an, dass Medikamente lebensrettend sein können (88,2%). Nur wenige Patienten (20%) sind der Meinung, dass Medikamente eher schaden als nützen.


Wunsch nach Gesundheitsinformationen


Patienten wünschen laut COPE 1-Studie mehr Informationen über die Nebenwirkungen von Medikamenten (75%), die Risiken dieser Nebenwirkungen (72%) und alternative Behandlungsmethoden (75%) sowie zu den Themen Ernährung und Bewegung.


Auf die Frage "Wie wichtig ist es Ihnen, dass Sie genauso viel über Ihre Medikamente erfahren wie Ihr Arzt oder Apotheker” antworteten 91% der Patienten mit "wichtig" oder "sehr wichtig". Auch halten es 94% für wichtig oder sehr wichtig, dass sie die Therapieentscheidungen gleichberechtigt mit ihrem Arzt oder Apotheker treffen (Abb. 2).

Abb. 2: Antworten auf die Frage: „Wie wichtig ist es, dass Sie und Ihr Arzt/Apotheker gleichberechtigt über Ihre Behandlung entscheiden können?” (COPE 1; n = 723)

Was erwarten Patienten von Ärzten und Apothekern?

86% der Patienten wünschen sich, dass Ärzte und Apotheker gelernt haben, Patientengespräche richtig zu führen, und 84% sind der Meinung, dass Ärzte und Apotheker dem Patienten dabei helfen sollten, informierte Entscheidungen im Hinblick auf die eigene Erkrankung zu treffen. 90% der Patienten vertreten die Meinung, dass Ärzte und Apotheker gemeinsam mit dem Patienten eine Lösung in Bezug auf den Umgang mit der Erkrankung finden müssen. Dieses steht im Widerspruch zur Realität. Denn nur die Hälfte vertritt die Ansicht, dass Ärzte und Apotheker auf ihre Wünsche entsprechend eingehen (Abb. 3).

Abb. 3: Ansichten der Patienten zur Rolle von Ärzten und Apothekern bei der Therapie (COPE 1; n = 723)

COPE 2

Insgesamt wurden 206 Patienten befragt. Das mittlere Alter der Patienten betrug 66,7 Jahre, 63% der Patienten waren über 60 Jahre alt. 70% waren weiblich, 58% verheiratet und 96% schweizerische Staatsbürger. Etwa die Hälfte lebte in einem Zwei-Personen-Haushalt. Die meisten Patienten (86%) hatten niedrige Schulabschlüsse und waren entweder pensioniert (50%) oder berufstätig (40%). 87% der Patienten litten unter Rheuma, 96% unter chronischen Schmerzen. Bei 42% der Patienten bestand die Krankheit bereits mehr als zehn Jahre, bei 24% fünf bis zehn Jahre und bei 2% zwei bis fünf Jahre. 66% der Patienten gaben an, dass die Erkrankung ihre Lebensqualität stark bis sehr stark beeinträchtigt.

Medien und Gesundheitsinformationen

Die Patienten wurden gefragt, wie viel Vertrauen sie zu Gesundheitsinformationen verschiedener Institutionen haben und wie gut ihnen diese Informationen bei der Bewältigung ihrer Erkrankung helfen. Beide Aspekte betreffend sind die Patienten am zufriedensten mit Veranstaltungen von unabhängigen Institutionen wie Stiftungen oder Universitäten ("gut" und "sehr gut", zusammen 65%). Fast das gleiche Vertrauen bringen sie Fernsehsondersendungen zu speziellen Gesundheitsthemen (63%), Sonderausgaben von Zeitschriften (60%) und Veranstaltungen von Patientenorganisationen (58%) entgegen. Deutlich dahinter rangieren die Angebote von Ärzten und Apothekern. Gerade einmal die Hälfte der Patienten (48%) vertritt die Meinung, dass diese Angebote dabei helfen, den täglichen Umgang mit der Erkrankung zu erleichtern. Die Informationsangebote der pharmazeutischen Industrie werden überwiegend als ungenügend angesehen, nur 15% der Patienten sehen hier eine Unterstützung. Ähnliches gilt für das Internet. Dieses wird zwar als sinnvoll erachtet, wenn es darum geht sich einen allgemeinen Überblick zu verschaffen (73%). Bei individuellen Fragen, besonders in Zeiten eines hohen Leidensdrucks, versagt dieses Instrument jedoch, zumal spezielle Patientenportale in der Regel nicht zur Verfügung stehen (Abb. 4).

Abb. 4: Antworten auf die Frage: „Wie gut haben Ihnen folgende Informationen geholfen?” (COPE 2; n = 160)

Im Hinblick auf die Printmedien meinten 22% der Teilnehmer, dass deren Informationen nur oberflächlich recherchiert sind. 16% waren der Auffassung, dass die Auflagenhöhe wichtiger sei als die Unterstützung der Patienten. 8% der befragten Patienten bezweifelten, dass die Informationen der Wahrheit entsprechen. In Bezug auf die Werbung für freiverkäufliche Arzneimittel oder andere Gesundheitsprodukte fragen 21% der Patienten ihren Arzt nach seiner Meinung. Zwar gaben 17% an, dass sie durch Werbung mehr über Medikamente erfahren, allerdings vertraten 16% die Ansicht, dass der Nutzen beworbener Medikamente schwer einzuschätzen ist und ggf. zu unnötiger Nachfrage führt.

Gesundheitsinformation und Selbstmanagement

81,5% der Patienten hatten bereits einmal ihr Gesundheitsverhalten aufgrund einer patientenrelevanten Information geändert. In den meisten Fällen betraf dies eine Ernährungsumstellung (27%) oder mehr Bewegung (27%). 20% der Patienten haben zu Hause einen Gesundheitstipp umgesetzt, 19% suchten z. B. wegen einer bestimmten Information ihren Arzt oder Apotheker auf, und 6% haben das Rauchen aufgegeben. Bei der Mehrheit der Patienten (65,4%) lag die jeweilige Aktion mehr als ein Jahr zurück. Dennoch haben 75% das veränderte Gesundheitsverhalten bis zum Tage der Umfrage beibehalten (Abb. 5).

Abb. 5: Antworten auf die Frage: „War das eine ein­malige Aktion, oder haben Sie langfristig etwas an Ihrem Gesundheitsverhalten geändert?“ (COPE 2; n = 161)


Autoren

Prof. Dr. Dr. Fred Harms ist stellvertretender Präsident der Europäischen Stiftung für Gesundheit (EUHCF) und Professor für Versorgungsforschung an der Sigmund Freud Privat Universität in Wien. European Health Care Foundation, Grabenstr. 8a, CH-6300 Zug, fharms@euhcf.org
Prof. Dr. Dorothee Gänshirt ist Präsidentin der Europäischen Stiftung für Gesundheit (EUHCF) und Professorin für Gesundheitskommunikation an der Sigmund Freud Privat Universität in Wien. European Health Care Foundation, Grabenstr. 8a, CH-6300 Zug, dgaenshirt@euhcf.org

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