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Wettbewerbsfreie Zonen

Dr. Benjamin Wessinger, Chefredakteur der DAZ

Die gesetzliche Krankenversicherung in Form ihres Spitzenverbandes scheint sich immer weiter von einem partnerschaftlichen Miteinander im Gesundheitswesen zu verabschieden. Erst weigert sie sich, die per Schiedsurteil festgelegten 1,75 Euro als Ausgangsbasis (!) für die Verhandlungen über den Kassenabschlag zu akzeptieren – auch gegen den erklärten Willen der Politik bis hin zum Bundesgesundheitsminister. Dann erklärt sie plötzlich und einseitig, die vertraglichen Regelungen zum Erstattungsbetrag nicht mehr befolgen zu wollen, da sie ihre Meinung geändert habe. Um anschließend Politik und Apothekerschaft zu brüskieren, weil sie die geforderte Liste zur Nichtaustauschbarkeit blockiert.

Aber dem Fass wirklich den Boden ausgeschlagen hat nun der Vorsitzende des Verwaltungsrats des GKV-Spitzenverbandes, Volker Hansen. Es sei eine zentrale Forderung des Verbandes an die nächste Bundesregierung, für eine "Marktbereinigung" und mehr Effizienz zu sorgen. Leider hat Hansen dabei nicht selbstkritisch den Markt der gesetzlichen Krankenkassen im Auge gehabt. Er richtet den Zeigefinger lieber auf die Leistungserbringer, in diesem Fall die Apotheker.

Deutlicher kann der GKV-Spitzenverband nicht zeigen, dass er an einem partnerschaftlichen Miteinander mit den Apothekern nicht mehr interessiert ist. Das ist ein schlechtes Signal für die Selbstverwaltung im Gesundheitswesen, die schon durch die oben genannten "Aktionen" der Kassen bei der Gesundheitspolitik arg in Misskredit gebracht wurde.

Den Apothekern muss dabei vor allem der von Hansen verwendete Ausdruck der "wettbewerbsfreien Zone" wie Hohn vorkommen. Seit 2004 gibt es einen teilweise ruinösen Preiswettbewerb unter Apotheken, die Zahl der Apotheken sinkt, die Filialisierung nimmt zu, der Marktanteil der Versandapotheken ebenfalls. Zugegeben: All das hat erst einmal kaum Auswirkungen für die GKV, denn es betrifft vorwiegend den OTC-Bereich, den die gesetzlichen Kassen ja nicht mehr erstatten. (Das wäre doch ein Thema, bei dem sich Kassenfunktionäre profilieren könnten: Die sichersten und kostengünstigsten Arzneimittel sind von der Erstattung ausgeschlossen – das ist ein Skandal!)

Bei den gesetzlichen Krankenkassen dagegen sieht die Wettbewerbssituation anders aus: Sie bieten weitgehend gleiche Leistungen zum gleichen Beitrag – selbst gesetzlich vorgesehene Prämien müssen trotz Rekordüberschüssen vom Gesundheitsminister erzwungen werden, sie haben einen Großteil der Bevölkerung als Zwangsmitglieder, ein Wettbewerb mit privaten Versicherungen findet so gut wie nicht statt, mit ausländischen Anbietern überhaupt nicht.

Keine Sorge, das soll kein Plädoyer für einen ungezügelten Wettbewerb auf dem Markt der Krankenversicherung werden. Im Gegenteil: Das Gesundheitswesen eignet sich aus vielerlei Gründen nicht für ein rein marktwirtschaftliches System. Der in meinen Augen entscheidende Grund: Die "Kunden" haben im Gesundheitswesen in vielen Fällen nicht die Option, auf den "Kauf" zu verzichten, wenn ihnen ein Angebot nicht zusagt. Schon diese Zwangslage alleine rechtfertigt weitgehende gesetzliche Regelungen, die das freie Walten von Marktkräften einschränken – bei den Apotheken wie bei der Krankenversicherung.

In anderen Bereichen hat sich diese Erkenntnis schon durchgesetzt. Bei der Wasserversorgung beispielsweise. Auch auf Wasser kann niemand verzichten, was privaten Anbietern ein großes Druckpotenzial verschafft, wenn sie erst einmal die Wasserversorgung für eine Stadt übernommen haben – Berlin kann ein Klagelied davon singen. Das hat auch die EU eingesehen (1,5 Millionen Unterschriften der ersten europaweiten Petition haben sicher auch geholfen …), die nun die Wasserversorgung von der EU-Konzessionsrichtlinie explizit ausnimmt.

Deshalb ist es so verstörend, Rufe nach "Liberalisierung" (die meist nur eine Deregulierung meint) und "mehr Wettbewerb" (der meist nur den Preis und nicht die Qualität meint) gerade von Vertretern der gesetzlichen Kassen zu hören. Denn eigentlich sollten GKV- und Apothekenfunktionäre zusammen (mit den anderen Leistungserbringern!) gegen weitergehende "Liberalisierungen" und gegen mehr Wettbewerb im Gesundheitswesen kämpfen. Aus wohlverstandenem Eigeninteresse – und weil es der Bevölkerung, den Versicherten und den Patienten nutzt.


Benjamin Wessinger

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