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Grüner Irrläufer

Dr. Benjamin Wessinger, Chefredakteur der DAZ

Was hat denn Jürgen Trittin geritten? Da dachte man gerade, die Debatten über die Struktur des Apothekenmarktes seien erst einmal beendet. Selbst die Grünen, lange Zeit heftigste Verfechter einer "Liberalisierung" des Apothekenmarktes, gaben sich zahm. Das Fremd- und Mehrbesitzverbot wolle man nicht mehr aufheben, sagte Biggi Bender noch im vergangenen Herbst. Darüber denke man erst wieder nach, wenn diese Forderung von den Apothekern selbst komme.

Warum also macht das halbe grüne "Spitzenduo" (ausgerechnet!) in der Springer-Zeitung "Die Welt" dieses Fass doch wieder auf? Und dann auch noch unter der Überschrift "We are the Liberals! Freiheit für alle!"

In aller gebotenen Kürze erklärt Trittin hier, welche zehn Verbote "endlich abgeschafft gehören" in Deutschland. Mit dabei, immerhin auf Platz sieben: das Mehrbesitzverbot bei Apotheken. Platz eins übrigens das Adoptionsverbot für gleichgeschlechtliche Paare, Platz zehn das Verbot der Mitnahme von Fahrrädern im ICE.

Das Mehrbesitzverbot sei kundenfeindlich, verzerre die Preise und schütze Besitzstände, findet der Spitzen-Grüne. Was mit Apothekenketten besser werden soll, verrät Trittin nicht. Vielleicht hilft ein Blick auf die anderen Verbote, die er abschaffen will? Im zweiten Absatz ("Wettbewerbshürden im Energiemarkt") findet der geneigte Leser Hinweise darauf, was mit einem Markt passiert, den große internationale Konzerne beherrschen: Für den Energiemarkt beklagt Trittin "das Oligopol der vier großen Konzerne". Keine Angst, Herr Trittin, diese Gefahr besteht bei den Apotheken nicht. Nach allem, was man heute weiß, würde der Apothekenmarkt unter maximal drei Konzernen aufgeteilt werden!

Was wohl Biobauern und Solaranlagenbesitzer dazu sagen werden, dass die Grünen dezentrale wohnortnahe Strukturen zugunsten multinationaler Konzerne aufgeben wollen?

Aber nicht nur die Beschränkung der Zahl der Betriebsstätten missfällt dem Ober-Grünen. Die "schwarz-gelbe Überregulierung des Arzneimittelmarktes muss fallen", fordert er. Leider verrät Trittin auch hier nicht, was er genau meint.

Vielleicht meint er ja den Zwang für Apotheker, Produkte zu einem fiktiven Preis zu verkaufen, da der reale Preis geheim ist und ohne Beteiligung der Apotheker ausgehandelt wird? Kann aber eigentlich nicht sein, denn die Rabattverträge wurden von Ulla Schmidt eingeführt – die ist doch bei der SPD. Oder meint er den Zwang, eine bestimmte Quote von (re-)importierten Arzneimitteln abzugeben? Wohl eher auch nicht, diese Regelung hat ja seine Parteifreundin Andrea Fischer wieder eingeführt. Wahrscheinlich meint er die Festbetragsregelung, die ja wirklich 1989 von einer CDU-Gesundheitsministerin, nämlich Rita Süßmuth, eingeführt wurde. Höchstpreise für ganze Produktgruppen quasi-staatlich festzulegen – das muss einem wahren Liberalen wie Trittin geradezu Schmerzen bereiten. Ach ja, und das AMNOG wahrscheinlich auch. Das dehnt diesen Wahnsinn ja auch noch auf Innovationen aus – weg damit!

Besonders schön auch ein Satz, der in dem knackig kurzen Text gleich zweimal vorkommt: "Wir sind die Partei des Wettbewerbs." Naja, wichtige Dinge kann man ruhig wiederholen, heißt es ja. Nicht, dass die potenziellen Wähler dieses ur-grüne Credo übersehen …

Eigentlich kann man nur hoffen, dass die Trittin’schen Forderungen so spontan entstanden sind, wie sie sich lesen. Denn zu Ende gedacht ist die Argumentation zumindest was die Apotheken betrifft nicht. Und eigentlich war die Debatte über die Zukunft der Apotheke doch auch schon weiter. Zuletzt diskutierte man – auch mit Grünen-Politikerinnen wie Biggi Bender oder Barbara Steffens – eher über neue Dienstleistungen, neue Honorierungsmodelle oder ein neues Leitbild für den Apothekerberuf als über grundlegende strukturelle Veränderungen.

Denn das Bild, das die Gesellschaft – aber auch der Beruf selbst – von den Apothekern hat, wandelt sich. Der Berufsstand führt diese Debatte aktiv und kontrovers, wie der Beitrag "Apotheke 2020" auf Seite 26 zeigt. Wir werden diese Debatte auch weiterhin begleiten und den verschiedenen Standpunkten Raum geben. Damit in Zukunft Politiker, deren inhaltliche Kompetenz nicht unbedingt in der Gesundheitspolitik liegt, gar nicht mehr auf den Gedanken kommen, sich mit billiger Polemik gegen die Apotheker profilieren zu können.


Benjamin Wessinger

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