Feuilleton

Apothekergarten als Magnet

Der "Hexenkessel" auf der igs in Hamburg

An diesem sonnigen Frühsommertag ist eher wenig los auf der Internationalen Gartenschau (igs) in Hamburg. Doch Andrang herrscht zumindest an einer Stelle: beim "Hexenkessel", dem informativen Apothekergarten. Das Geheimnis dieses Erfolges ist einfach zu erklären. Denn im Gegensatz zu den meisten anderen Sehenswürdigkeiten der Gartenschau erhalten die Besucher hier persönlich fachkundige Informationen zu den ausgestellten Pflanzen und finden Gelegenheit für interessante Gespräche mit einer Initiatorin des Hexenkessels und einer Apothekerin.
"Wasserwelten" , eine der großen Themenlandschaften der Gartenschau.
Fotos: DAZ/tmb

Wilhelmsburger Inselpark

Doch zunächst ein Blick auf die Gartenschau insgesamt: Hamburg-Wilhelmsburg dürfte eher als Problemviertel mit hohem Migrantenanteil bekannt sein, verfügt als größte bewohnte Flussinsel Europas (zwischen Norder- und Süderelbe) aber auch über vielfältige Grünflächen, die durch die Nähe zum Wasser geprägt sind. Hier entstand der etwa 100 Hektar große Wilhelmsburger Inselpark, den sich die Besucher über ein 15 km langes Wegenetz – davon 6 km Hauptwege – erschließen können.

Über 2000 Bäume wurden neu angepflanzt, außerdem stehen etwa 170.000 Stauden auf dem Gelände. Der 2000 m2 große Rosenboulevard besteht aus über 8000 Rosen in etwa 200 Sorten. Anfang Juni blühen die Rosen naturgemäß noch nicht, und auch anderswo ist ein wogendes Blütenmeer nicht zu finden, aber das ändert sich wahrscheinlich im Laufe des Sommers noch.

In die Anlage der igs wurden über 200 Kleingartenparzellen integriert, in denen die Kleingärtner ihrem Alltag nachgehen, wodurch die inszenierte Schau mit dem normalen Leben verknüpft wird.

Die Gartenschau öffnete am 26. April und wird noch bis zum 13. Oktober dauern. In dieser Zeit erwarten die Organisatoren etwa 2,5 Millionen Besucher. Danach soll die Anlage neue Impulse für die Freizeitgestaltung, den Tourismus und die Entwicklung der Natur auf der Elbinsel Wilhelmsburg geben. Die Stadtautobahn, die "Wilhelmsburger Reichsstraße", die das Gartenschaugelände teilt und die von einer Fußgängerbrücke überquert wird, soll an die Bahngleise verlegt werden, sodass ein größeres zusammenhängendes Grüngebiet entsteht.

Algen in Aquakulturen – auch das findet man in der Gartenschau.

In 80 Gärten um die Welt

Die igs steht unter dem Motto "In 80 Gärten um die Welt".

Die 80 "offiziellen" Gärten sind inhaltlich klar festgelegt, so geht es beispielsweise um die Flora einer bestimmten Region. Mehrere Gärten bilden jeweils eine größere Themenwelt, z. B. die "Welt der Kontinente", die Pflanzen anderer Erdteile zeigt, "Naturwelten", zu denen auch eine Anlage mit Algen zählt, "Wasserwelten", "lebendige Kulturlandschaften" oder die "Welt der Religionen", in der auch Friedhofsanlagen gezeigt werden. Dort wurde die bestehende Wilhelmsburger Kapelle in die Anlage integriert. Die "Welt der Bewegung" bietet Möglichkeiten zu körperlicher Betätigung. Auf den "neuen Hamburger Terrassen" können Sonnenhungrige entspannen.

Daneben gibt es abgeschiedene und schattige Ecken, an denen die Besucher die Gartenlandschaft in Ruhe auf sich wirken lassen können. Wer müde von den langen Wegen auf dem weitläufigen Gelände ist, kann sich gegen zusätzliches Entgelt von einer futuristischen Einschienenbahn auf einem 3,4 km langen Rundkurs durch – oder besser über – das Gelände fahren lassen und es aus erhöhter Perspektive genießen.

Wer die igs besucht, bemerkt bald den Unterschied zwischen einer Gartenschau und einem botanischen Garten. Es geht hier um die Gestaltung und Inszenierung von Gartenanlagen. Pflanzen sind dafür ein bedeutsames Mittel, aber sie sind nicht der Zweck. Die Gärten spielen die Hauptrolle, sie sollen mit ihrer Konzeption inspirieren, erstaunen oder unterhalten. Die Information über die Pflanzen selbst ist dagegen ein Nebenaspekt.

Eine Einschienenbahn wurde geschickt in die Parklandschaft integriert und bietet einen interessanten Rundkurs.

Die Informationstafeln zu den 80 "offiziellen" Gärten sind oft eher spärlich. Manchmal sind Flyer zur Erläuterung verfügbar, aber tendenziell werden die Besucher eher mit den Gärten allein gelassen. Deutlich mehr Information gibt es auf den zahlreichen "Wettbewerbsflächen", die insgesamt 17.000 m2 umfassen und die zwanglos in die Themenwelten integriert sind. Dort präsentieren sich die unterschiedlichsten Anbieter wie die Lüneburger Heide als Tourismusregion, die Obstbauern aus dem Alten Land und die Friedhofsgärtner, aber auch nicht kommerzielle Organisationen wie das Deutsche Baumschulmuseum und eine Vereinigung der Kleingärtner. Einer dieser Gärten ist der Hexenkessel als Beitrag der Apotheker.

In diesen Anlagen wird den Besuchern meist deutlich mehr Information geboten als in den 80 "offiziellen" Gärten, denn die externen Betreiber wollen jeweils eine Botschaft vermitteln.

Dieser Weg führt zum Hexenkessel beim zweiten Haus links, von dem nur ein Teil des Daches zu sehen ist.

Hexenkessel – der Beitrag der Apotheker

Der Hexenkessel ist leider nicht im offiziellen igs-Lageplan zu finden. Er zählt bei flächenmäßiger Betrachtung zwar zu den vergleichsweise kleinen Einrichtungen der igs, hätte aber angesichts des offensichtlich großen Besucherinteresses durchaus eine eigene Beschilderung verdient. Der Apothekergarten befindet sich ganz im Süden des igs-Geländes in der Themenwelt "lebendige Kulturlandschaften", östlich vom Hauptweg, unmittelbar neben der Fläche der Lüneburger Heide, die im Plan verzeichnet ist. Der Name Hexenkessel leitet sich von einem überdimensionalen dampfenden Kupfertopf ab, der daran erinnert, wie wohl in früheren Zeiten manches heilende oder auch tödliche Gebräu aus Pflanzen hergestellt wurde. Dieser Kessel ist ein Anziehungspunkt für das Publikum und macht viele Besucher auf den Garten aufmerksam, berichtet Ulrike Rodowski. Sie betreut diesen Garten auf der igs gemeinsam mit Ehler Schümann.

Ulrike Rodowski am kupfernen Hexenkessel in Aktion.

Die beiden Gärtner haben die Anlage gestaltet, informieren die Besucher über die gärtnerischen Aspekte, kümmern sich um die Pflanzen und sorgen dafür, dass die jeweils blühenden Pflanzen während der Ausstellungszeit richtig in Szene gesetzt werden. Schümann ist ehrenamtlicher Landesbundfachberater beim Landesverband Schleswig-Holstein der Gartenfreunde, einer Kleingärtnervereinigung. Er hat bereits Anlagen für mehrere Landes- und Bundesgartenschauen konzipiert, und von ihm stammt auch das Konzept eines Giftpflanzengartens. Rodowski berichtet von seinem Ideenreichtum: Auf der Schleswig-Holsteinischen Landesgartenschau 2008 in Schleswig hatte Schümann die abgetragenen Schuhe von Landtagsabgeordneten an einer Wäschespinne aufgehängt und damit bei Presseterminen und Politikerbesuchen stets die Aufmerksamkeit auf die Anlage der Kleingärtner gerichtet. Denn jeder Politiker wollte selbstverständlich seine Schuhe dort sehen.

In einem hölzernen Wagenrad werden Arzneipflanzen, geordnet nach ihren Indikationen, präsentiert.

Für die Landesgartenschau 2011 in Norderstedt hatte Schümann die Idee, Gift- und Arzneipflanzen zu präsentieren, und wandte sich damit an Dr. Thomas Friedrich, den Geschäftsführer des Apothekerverbandes Schleswig-Holstein. So entstand gemeinsam mit dem Apothekerverband der Hexenkessel als Beitrag der Apotheker auf der Schleswig-holsteinischen Landesgartenschau 2011. Das große Interesse des Publikums und die positive Imagewirkung für die Apotheken gaben den Anlass für eine Wiederholung. Daher präsentieren die Hamburger und Schleswig-Holsteiner Apothekerorganisationen und die beiden Initiatoren nun den Hexenkessel als gemeinsamen Beitrag, der zudem von einigen Sponsoren aus der Pharmaindustrie unterstützt wird.

Gegenüber 2011 wurde der Hexenkessel weiterentwickelt. Neu ist ein bepflanztes altes hölzernes Wagenrad, in dem zwischen zwei Speichen jeweils Pflanzen für eine Indikation zu finden sind. Damit liegt ein stärkeres Augenmerk auf bekannten Heilpflanzen im Vergleich zu den zuvor dominierenden Pflanzen mit toxischen Inhaltsstoffen. Außer den Pflanzen finden die Besucher hier einen Pavillon, in dem theoretische Hintergründe zu den wirksamen Pflanzenteilen bzw. ‑inhaltsstoffen und ihrer Heilwirkung anhand von Schautafeln und anderen Ausstellungsstücken erklärt werden. Ein Schaukasten mit Labor- und Rezepturgeräten stellt einen deutlichen Bezug zur Apotheke her. Dass die Gestaltung des Gartens und das ganze Konzept gut ankommen, bestätigen viele anerkennende Eintragungen im Gästebuch.

Gift- und Heilpflanzen im Apothekergarten

Gespräche mit Laien: von Heilpflanzen zu Arzneimitteln

Besonders wichtig ist vielen Besuchern das persönliche Gespräch. Neben den Organisatoren betreuen ehrenamtlich tätige Apothekerinnen und Apotheker die Anlage und erklären fachkundig die Wirkung von Heilpflanzen und die Zusammenhänge zur modernen Pharmazie und zur Apotheke. Während des ganzen Sommerhalbjahres ständig einen kompetenten Betreuer zu finden, ist eine große Herausforderung – doch die Mühe lohnt sich offensichtlich. Bei einem etwa einstündigen Aufenthalt erlebe ich den Apothekergarten gut besucht, obwohl die Ausstellung sonst – an einem Montag – eher spärlich frequentiert ist.

Viele Besucher betrachten nicht nur die Pflanzen, sondern fragen nach. So entwickeln sich teilweise lange Gespräche. Rodowski bestätigt, dass dies heute kein Zufall ist, sondern typisch für den Apothekergarten. Die betreuende Apothekerin hat dieselbe Erfahrung gemacht. Die häufigste Reaktion der Besucher ist nach ihrer Einschätzung, dass diese über die Giftigkeit etlicher typischer Gartenpflanzen staunen. Manche überlegen, ob sie ihren Garten umgestalten sollten. Doch auch die Heilwirkung ist ein großes Thema, und bei entsprechenden Fragen führt sie das Gespräch auf Arzneimittel und Apotheken.

Die positive Imagewirkung dieses Gartens für die Apotheke ist hier ständig erlebbar. Dass die Apotheker sich auf einer solchen Ausstellung präsentieren, macht ihr gesellschaftliches Engagement deutlich. Die Pflanzen rücken die Pharmazie in einen positiv besetzten Zusammenhang mit der Natur, und im Gespräch wird die Beziehung zur Apotheke hergestellt. tmb


Besuch der igs 2013


Die igs ist bis zum 13. Oktober täglich ab 9 Uhr bis zum Einbruch der Dunkelheit geöffnet; Einlass bis 19 Uhr. Eine Tageskarte kostet 21 Euro, für Kinder und Jugendliche von 7 bis 17 Jahren 6 Euro. Weitere Einzelheiten, auch zur Anreise, unter

www.igs-hamburg.de

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