Ernährung aktuell

Niedrig-glykämisch, proteinreich oder Hochfett-Diät?

Übergewicht und Adipositas zählen zu den größten Diabetes-Risikofaktoren. Der Gedanke liegt nahe, dass durch eine bewusste und gezielte Ernährung die Erkrankung verhindert oder wenigstens gut kontrolliert werden könnte. Die ideale "Ernährungsformel" für Diabetiker ist jedoch noch nicht gefunden. Extreme wie die Hochfett-Diät oder eine sehr niedrige Kohlenhydratzufuhr scheinen jedenfalls auch nicht der richtige Weg zu sein. Entsprechend breit ist deshalb der "Empfehlungskorridor". Eine Individualisierung der Empfehlungen sowie großangelegte Untersuchungen zur Klärung offener Fragen scheinen der Ausweg aus dieser unbefriedigenden Situation zu sein.

Obwohl sich die Studienlage zu verschiedenen Ernährungsformen bei Diabetes mellitus in den letzten Jahren verbessert hat, gibt es noch längst nicht genügend evidenzbasierte Studien, sagte Prof. Dr. Hans Hauner, Inhaber des Lehrstuhls für Ernährungsmedizin am Else Kröner-Fresenius-Zentrum für Ernährungsmedizin der Technischen Universität München, in einem Symposium auf der 47. Jahrestagung der Deutschen Diabetes-Gesellschaft (DDG) in Leipzig. Unbestritten sei jedoch nach wie vor, dass in der Frühphase des Diabetes mellitus Lebensstilinterventionen, zu denen die Ernährungsumstellung zählt, die wichtigste Maßnahme darstellen.

Niedrig-Glyx ohne Vorteil

Lebensmittel können trotz gleichen Kohlenhydratgehalts den Blutzuckerspiegel unterschiedlich schnell und stark erhöhen und damit eine unterschiedliche Insulinsekretion zur Folge haben. Eine Maßeinheit dafür ist der glykämische Index (GI), für Glukose beträgt er 100. Mathematisch wird der Wert durch Bildung des Flächenquotients unter der Blutzucker-Zeit-Kurve zwei Stunden nach dem Verzehr des entsprechenden Lebensmittels bestimmt. Ein hoher glykämischer Index liegt zwischen 70 und 100, ein mittlerer zwischen 55 und 70, ein niedriger unter 55.

Die Bedeutung des glykämischen Index wird sehr kontrovers diskutiert; denn nicht nur Süßigkeiten und Gebäck, sondern auch Kartoffeln, Nudeln und Reis, die für Diabetiker zu den empfehlenswerten Lebensmitteln zählen, besitzen einen hohen Wert. Unabhängig davon konnten auch wissenschaftliche Studien einen Vorteil des überwiegenden Verzehrs von Lebensmitteln mit niedrigem glykämischem Index bisher nicht belegen. So zeigte sich beispielsweise zwischen den im Canadian Trial of Carbohydrates in Diabetes [1] verglichenen drei Kostformen (kohlenhydratreich mit hohem glykämischem Index, kohlenhydratreich mit niedrigem glykämischem Index, kohlenhydratarm, aber reich an mehrfach ungesättigten Fettsäuren) über 52 Wochen keine signifikanten Unterschiede bezüglich Gewicht und HbA1c bei den beobachteten 162 Typ-2-Diabetikern. Ein Effekt war lediglich der um 30% niedrigere CRP-Wert (C-reaktives Protein, ein Entzündungsmarker) unter "Low-GI" verglichen mit der High-GI-Ernährungsform. Nach Hauners Ansicht könnte der Low-GI-Ansatz nur in "extremer Ausprägung" gewisse Effekte bringen, doch dann sei er möglicherweise im Alltag schwer umsetzbar.


Aktuelle Empfehlungen


Nährstoff-Zufuhrempfehlungen für Diabetiker


  • Kohlenhydrate
  • – 40 bis 60% der Gesamtenergie
  • – überwiegend komplexe Kohlenhydrate mit niedrigem glykämischem Index

  • Fette
  • – 30 bis 35% der Gesamtenergie
  • – gesättigte und Transfettsäuren < 8 bis 10%

  • Proteine
  • – 10 bis 20% der Gesamtenergie

  • Getränke
  • – kalorienfrei
  • – Alkohol unter 10 g (Frauen) bzw. 20 g (Männer) pro Tag

Isomaltulose: keine messbare Stoffwechselverbesserung

Vor wenigen Jahren gelangte die Isomaltulose als mögliche Alternative zu Saccharose in den Fokus des Interesses. Dieses Disaccharid wird aus Rübenzucker durch enzymatische Umlagerung der alpha-1,2-Bindung zwischen dem Glucose- und dem Fruktose-Molekül zu einer 1,6-Bindung gewonnen. Die dadurch entstehende größere Molekülstabilität bewirkt, dass Isomaltulose langsamer verstoffwechselt wird als beispielsweise Saccharose und damit den Blutzuckerspiegel langsamer ansteigen lässt. Eine vierwöchige kontrollierte Doppelblindstudie aus dem Jahre 2010 [2] hatte unter anderem gezeigt, dass der Kohlenhydratstoffwechsel der Studienteilnehmer, die Isomaltulose im Rahmen einer westlich orientierten Diät zu sich nahmen, positiv beeinflusst wurde. Weiterführende Untersuchungen brachten jedoch keinen messbaren langfristigen Stoffwechseleffekt, z. B. auf den HbA1c -Wert, berichtete Hauner.

Mittelmeerkost: gute Option

Auch zur Mittelmeer-Diät, einer Ernährungsform mit reichlich Olivenöl und Walnüssen sowie unter anderem einem geringen Anteil an Wurst und Milchprodukten, wurden Studien mit Typ-2-Diabetikern durchgeführt. In einer Studie [3] mit 215 neu diagnostizierten, übergewichtigen Typ-2-Diabetikern (HbA1c < 11%), die noch keine Medikamente erhalten hatten, zeigte sich ein positiver Effekt dieser Ernährungsform auf die Erkrankung. Im Vergleich zu den Studienteilnehmern, die eine fettreduzierte Kost zu sich genommen hatten, benötige nach vier Jahren ein signifikant geringerer Anteil von ihnen eine Behandlung mit oralen Antidiabetika (Hazard Ratio 0,63, 95% KI 0,51 bis 0,86, p = 0,001). "Auch die Mittelmeerkost wäre eine gute Option zur Ernährungstherapie bei Typ-2-Diabetes", resümierte Hauner.

Gestationsdiabetes – ein wachsendes Problem

Die Gestationsdiabetes-Rate in Deutschland wird auf 10% geschätzt, wobei nicht nur übergewichtige und adipöse, sondern auch schlanke Schwangere betroffen sind. Durch Lebensstil-Intervention kann bei 80 bis 90% der Patientinnen eine gute Stoffwechseleinstellung erreicht werden. Allerdings konnte, so Hauner, bisher noch keine Kostform mit einem speziellen Nutzen für Schwangere mit Gestationsdiabetes identifiziert werden, auch nicht in einer kürzlich veröffentlichten Cochrane-Analyse [4], die neun Ernährungsstudien mit insgesamt 429 Teilnehmerinnen ausgewertet hatte. Bis weitere Erkenntnisse vorliegen, wäre es nach Hauners Ansicht ein empfehlenswerter Weg, in der Schwangerschaft eine Gewichtszunahme im Normalbereich anzustreben, was leider häufig nicht gelingt.

Hochfettdiät – die Lösung?

Fettreiche und kohlenhydratarme Ernährungsformen wie die Atkins-Diät wurden in zahlreichen Studien mit Diabetes-Patienten mit dem Ziel einer Stoffwechselverbesserung erprobt. Wie Prof. Dr. med. Andreas F. H. Pfeiffer vom Deutschen Institut für Ernährungsforschung (DIfE) Potsdam-Rehbrücke auf der DDG-Tagung erläuterte, ist das Hauptproblem dieser Ansätze, dass eine Erhöhung des Fettanteils meist rasch eine Gewichtszunahme nach sich zieht. Zudem wurde in vielen Studien beobachtet, dass die Reaktionen auf eine fettreiche Ernährungsumstellung sehr individuell ausfallen können; so gebe es Menschen, die mit einer günstigen Veränderung ihrer Blutfette reagieren, wenn sie viel Butter und Sahne essen (der LDL-Wert sinkt, der HDL-Wert steigt). Verschiedene Untersuchungen zeigten, dass die basalen Spiegel für HDL- und LDL-Cholesterin stark genetisch bedingt sind. Auch müsse bei den Fetten zwischen solchen mit hohem Anteil gesättigter bzw. ungesättigter Fettsäuren unterschieden werden. Obwohl die Studiendaten hierzu nicht eindeutig sind, wird doch gegenwärtig überwiegend die Auffassung vertreten, dass ein hoher Anteil gesättigter Fettsäuren in der Nahrung das Inflammationsrisiko, das heißt die Bildung proinflammatorischer Zytokine wie IL 1, IL 6, TNF alpha erhöht. Eine an mehrfach ungesättigten Fettsäuren bzw. pflanzlichen Fetten reiche Ernährung erscheint gegenüber einer solchen mit gesättigten Fettsäuren daher vorteilhaft [5].


"In der wirklichen Welt brauchen wir eine Individualisierung der Empfehlungen, die neben den persönlichen Präferenzen das Körpergewicht berücksichtigen muss."

Prof. Dr. med. Andreas F. H. Pfeiffer

Individualisierte Empfehlungen notwendig

Die ideale "Ernährungsformel" für Diabetiker existiert derzeit nicht. Entsprechend breit ist daher der Empfehlungskorridor (s. Kasten). In Deutschland basieren die aktuellen Nährstoffzufuhrempfehlungen auf der von der Deutschen Diabetes-Gesellschaft in Abstimmung mit weiteren Fachgesellschaften vor etwa zehn Jahren erarbeiteten S2-Leitlinie [6]. Sie sehen für Menschen mit Diabetes mellitus eine kohlenhydrat- und ballaststoffreiche, fettarme ausgewogene Kost vor. Da die Patienten meist übergewichtig sind, wird der größte Nutzen von einer hypokalorischen und langfristig gewichtssenkenden Kost erwartet. Bezüglich der Proteinaufnahme wird derzeit bei Patienten ohne Anzeichen einer Nephropathie ein Anteil von 10 bis 20% an der Gesamtenergie empfohlen. Von einer höheren Proteinzufuhr raten Experten – auch im Hinblick auf die diabetische Nephropathie – ab, auch bestehe unter anderem ein erhöhtes Mortalitätsrisiko.

Aktuelle Empfehlungen amerikanischer und britischer Diabetesgesellschaften fokussieren derzeit auf eine individualisierte Ernährungsberatung. In Deutschland ist die Ernährungsberatung Teil der Schulungen für Diabetespatienten – nach Hauners Ansicht eine unbefriedigende Situation. "Für die Hilfe im Alltag reicht dies nicht ansatzweise aus – dafür wäre weit mehr als eine Beratungseinheit nötig".


Vorsicht mit Softdrinks!

Softdrinks erhöhen das Diabetes-Risiko


Wer täglich mindestens einen süßen Softdrink trinkt, erhöht sein Risiko für Typ-2-Diabetes. So das Fazit einer britischen Untersuchung, in der rund 27.000 Teilnehmer aus acht europäischen Ländern mit Fragebögen nach ihrem Konsum von Süßgetränken wie Fruchtsaft und Fruchtnektar sowie Erfrischungsgetränken mit Zucker oder Süßstoff befragt wurden. Auch die tägliche Energieaufnahme und der Körpermasseindex (BMI) als Verhältnis von Körpergewicht zu Körpergröße wurden berechnet. Das Ergebnis: Wer täglich 336 ml eines mit Zucker gesüßten Softdrinks konsumierte, hatte ein um knapp 20% höheres Risiko für Typ-2-Diabetes – unabhängig vom Körpermasseindex und der täglichen Energieaufnahme.

Bei künstlich gesüßten Softdrinks waren die Ergebnisse weniger eindeutig. Bei Fruchtsaft und Fruchtnektar war kein Zusammenhang nachweisbar. Weitere Studien sind jedoch notwendig, um die Resultate zu bestätigen. Die Autoren vermuten, dass der regelmäßige Konsum von gezuckerten Softdrinks das Risiko für Typ-2-Diabetes erhöht, da er zum einen die Gewichtszunahme begünstigt. Zum anderen werden die enthaltenen Kohlenhydrate schnell verdaut und erhöhen so in kurzer Zeit den Blutzucker- und Insulinspiegel. Das kann bei einem regelmäßigen Verzehr dazu führen, dass der Körper nicht mehr ausreichend auf das körpereigene Hormon Insulin anspricht und sich ein Typ-2-Diabetes entwickelt.


[Quelle: aid infodienst 21/13 vom 22. Mai 2013, www.aid.de]

Quelle

[1] Wolever TM et al. The Canadian Trial of Carbohydrates in Diabetes (CCD), a 1-year controlled trial of low-glycemic-index dietary carbohydrate in type 2 diabetes: no effect on glycated hemoglobin but reduction in C-reactive protein. Am J Clin Nutr 2008; 87 (1): 114 – 125.

[2] Holub I et al. Novel findings on the metabolic effects of the low glycaemic carbohydrate isomaltulose (Palatinose™), Br J Nutr 2010; 103(12): 1730 – 1737.

[3] Esposito K et al. Effects of a Mediterranean-style diet on the need for antihyperglycemic drug therapy in patients with newly diagnosed type 2 diabetes: a randomized trial. Ann Intern Med 2009; 151: 306 – 314.

[4] Han S et al. Cochrane Database Syst Rev 2013, CD009275.

[5] Pfeiffer AFH: Fettreiche Ernährung bei Diabetes mellitus. Dtsch Med Wochenschr 2013; 138: 964 – 966.

[6] S2-Leitlinie "Ernährungsempfehlungen zur Behandlung und Prävention des Diabetes mellitus", Registernummer 057-001, Stand: 1. Juni 2010, gültig bis 1. Juni 2015, www.awmf.org


Apothekerin Dr. Claudia Bruhn

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