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"Wer nicht forscht, wird abgehängt"

2010 war produktiv, aber nicht innovativ

BERLIN (ks). Die Innovationsbilanz der 2010 neu auf den Markt gekommenen Arzneimittel ist mehr als dürftig – zu diesem Ergebnis kommt der Innovationsreport 2013, den die Techniker Krankenkasse (TK) letzte Woche vorgelegt hat. Umso mehr schätzt die Kasse die 2011 mit dem Arzneimittelmarkt-Neuordnungsgesetz (AMNOG) ins Leben gerufene frühe Nutzenbewertung. Mit ihr könnten echte therapeutische Innovationen gefördert werden, sagt der TK-Chef Jens Baas.

Wissenschaftler der Universität Bremen um Prof. Dr. Gerd Glaeske haben die neue Studie auf Basis von Literaturrecherchen im Auftrag der TK erstellt. Beleuchtet wurden die 21 Wirkstoffe, die 2010 neu eingeführt wurden sowie Ticagrelor und Pitavastatin, die 2011 auf den Markt kamen und bereits die AMNOG-Bewertung durchlaufen haben.

Untersucht wurde, ob alternative Therapien zur Verfügung stehen, ob die Arzneimittel einen (Zusatz-)Nutzen für die Patienten haben und wie hoch die Kosten im Vergleich zu den verfügbaren Arzneimitteln ausfallen.

Glaeske: "Ökonomische Innovationen"

Die Erkenntnis: Nicht alles was neu ist, bedeutet einen medizinischen Fortschritt – in vielen Fällen aber deutlich höhere Kosten. So hatte von den 23 neuen Präparaten nur eines einen klaren Zusatznutzen, bei acht war er nur bedingt festzustellen, bei 14 gar nicht. Die meisten, so Glaeske, seien schlichte "ökonomische Innovationen". Am besten schnitt Ticagrelor (Brilique®) ab. Jedenfalls für eine bestimmte Patientengruppe habe der Gerinnungshemmer einen Zusatznutzen – so sahen es auch schon das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen und der Gemeinsame Bundesausschuss. Pitavastatin fiel hingegen hier wie dort durch. Die Konsequenz ist schon längst gezogen: Das neue Statin wurde direkt in eine Festbetragsgruppe eingeordnet.

Versorgungsforschung als Ergänzung

Die TK ihrerseits steuerte für weitere Analysen Verordnungsdaten bei. Wo werden neue Präparate besonders häufig verordnet? Und stimmt die Indikation? Insoweit gehen TK und die Uni Bremen in die Versorgungsforschung: Sie wollen die neuen Arzneimittel länger unter Beobachtung halten und sehen, wo und wie sie eingesetzt werden – und mit welchen Folgen.

Eine solche Spätbewertung ist für Glaeske unverzichtbar. Schließlich zeigt die Erfahrung, dass in den Zulassungsstudien nicht alle unerwünschten Wirkungen abgebildet werden können – schon weil die Zahl der Patienten überschaubar ist. Im Versorgungsalltag zeigen sich oft erst neue Risiken. So ging es etwa den 2010 eingeführten Arzneimitteln Denosumab und Dronedaron, für die ein bzw. zwei Jahre später Rote-Hand-Briefe mit Hinweisen zu Risiken veröffentlicht wurden.

Außerdem: Die Ärzte legen ein höchst unterschiedliches Verordnungsverhalten an den Tag. So werden in den östlichen Bundesländern deutlich mehr neue Präparate – teilweise doppelt so viele – verschrieben als im Westen. Eine Ausnahme bildet das Saarland, das dem Osten nicht nachsteht. Aber auch mit den richtigen Indikationen haben die Mediziner zuweilen offenbar ihre Mühe. So werde etwa Ticagrelor bei 30 Prozent der Patienten falsch verordnet, so Baas.

Ärzte sollen informiert werden

Daher will die TK mit ihrem Report gerade die Ärzte erreichen. Die Kasse macht ihnen keinen Vorwurf, dass sie noch allzu oft "neu" mit "besser" gleichsetzen – aber sie will ihnen unabhängige Informationen an die Hand geben. Auch Versicherten soll eine bessere Orientierung gegeben werden, wenn es um den Einsatz von Arzneimitteln mit neuen Wirkstoffen geht. So gibt es für jeden der untersuchten Wirkstoffe eine einseitige Zusammenfassung der Nutzenbewertung, die die wichtigsten Fakten zusammenstellt – einmal für Ärzte, einmal für Patienten.

Das eigentliche Ziel im Auge behalten

Der Innovationsreport, der auch weiterhin industrieunabhängig neue Arzneimittel unter Beobachtung halten will, versteht sich somit als Ergänzung zur frühen Nutzenbewertung. Er will Ärzte aufklären und dafür sorgen, dass echte Innovationen auch bei den Patienten ankommen, die von ihnen profitieren. Es gehe nicht um Kostendämpfung, betonten sowohl Baas als auch Glaeske, sondern um den patientenrelevanten Nutzen. Und dieses Ziel des AMNOG dürfe nicht verfehlt werden. Angesichts der Bilanz des Jahres 2010 sei es auch dringend erforderlich, den Bestandsmarkt zügig zu bewerten.

Die pharmazeutische Industrie, so Glaeske, stecke nicht in einer Produktivitätskrise – wohl aber mitten in einer Innovationskrise. Und er zeigte sich überzeugt, dass das AMNOG hier Abhilfe schaffen kann. Denn: "Wer nicht forscht wird abgehängt", so Glaeske. Mehr bezahlen werden die Krankenkassen künftig lediglich für die patientenrelevanten Innovationen.

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