Toxikologie

Ein lang bekanntes Herbizid in den aktuellen Schlagzeilen

Von Ralf Stahlmann | Glyphosat ist ein Analogon des Phosphoenolpyruvats. Es hemmt ein Schlüsselenzym der Synthese von aromatischen Aminosäuren in Pflanzen (5-Enolpyruvyl-shikimat-3‑phosphat-Synthase, EPSPS) und kann daher als unselektives Herbizid verwendet werden. Beim Anbau transgener, Glyphosat-resistenter Nutzpflanzen vernichtet es selektiv die nicht-transgenen Pflanzen. Dieses Konzept war in den vergangenen Jahren kommerziell sehr erfolgreich: Weltweit hat der Glyphosatverbrauch deutlich zugenommen. Zugleich gewinnen die Fragen nach möglichen toxischen Gefahren für den Menschen an Bedeutung. Die akute Toxizität von Glyphosat für den Menschen ist sehr gering. Auch zahlreiche, behördlich geforderte Studien mit chronischer Verabreichung der Verbindung bestätigten ihre geringe Toxizität. Im vergangenen Jahr wurden jedoch reproduktionstoxische Effekte beschrieben, die durch eine Beeinflussung des hormonellen Systems erklärt wurden; außerdem wurde eine kanzerogene Wirkung postuliert. Die zugrunde liegenden Studien weisen allerdings große Mängel auf und fanden unter Toxikologen viel Widerspruch.

Glyphosat ist als "Jahrhundert-Herbizid" ("once-in-a-century herbicide") bezeichnet worden – eine Substanz, die den idealen Vorstellungen über ein Herbizid sehr nahe kommt, weil es spezifisch in den Pflanzenstoffwechsel eingreift [5]. Seit einigen Jahren ist jedoch ein heftiger Streit auf wissenschaftlicher Ebene über seine möglichen toxikologischen Risiken entbrannt, über den auch in den Medien berichtet wurde. Glyphosat-haltige Produkte seien reproduktionstoxisch und kanzerogen und für den Menschen eine Gefahr, wird von einigen Wissenschaftlern postuliert; andere sehen hier eine Fehlinterpretation von tierexperimentellen Daten. Trotz der Kontroversen wird im Folgenden versucht, ein sachliches Urteil über den Nutzen und die Risiken der Chemikalie mit der chemischen Bezeichnung N-(Phosphonomethyl)-glycin zu geben.

Wirkungsweise von Glyphosat in Pflanzenzellen

Bereits 1970 haben Wissenschaftler der Firma Monsanto die herbizide Wirkung von Glyphosat erkannt. Es wirkt als Analogon von Phosphoenolpyruvat hemmend auf ein Schlüsselenzym der Aminosäurensynthese, die 5-Enolpyruvyl-shikimat-3‑phosphat-Synthase (EPSPS). Dieses Enzym katalysiert in Pflanzen die Umwandlung von Shikimat-3‑phosphat in Chorismat, eine Vorstufe der aromatischen Aminosäuren Phenylalanin, Tyrosin und Tryptophan (Abb. 1). Folglich kommt es sowohl zu einem Mangel dieser Aminosäuren als auch zu einer Anreicherung des Shikimats. Beides wird für die herbizide Wirkung verantwortlich gemacht, eine genaue Klärung steht noch aus. Die "Umleitung" des verfügbaren Kohlenstoffs in den Shikimisäureweg, die zu einem Mangel an verfügbarem Kohlenstoff in anderen essenziellen Synthesevorgängen der Pflanzenzelle führt, scheint jedoch von erheblicher Bedeutung zu sein.

Abb. 1: Glyphosat – Abbau im Boden (links) und Hemmung der Aminosäurensynthese in der Pflanzenzelle. Die aromatischen Aminosäuren Phenylalanin, Tyrosin und Tryptophan werden von Pflanzen synthetisiert, menschliche Zellen sind dazu nicht fähig. Ausgangspunkt der Synthese ist die Kondensation von Phosphoenolpyruvat und Erythrose-4-phosphat. Über mehrere Zwischenschritte entsteht Shikimat-3-phosphat, das mit einem zweiten Molekül Phosphoenolpyruvat durch die 5-Enolpyruvyl-shikimat-3-phosphat-Synthase (EPSPS) zum 5‑Enolpyruvyl-shikimat-3-phosphat umgewandelt wird. Glyphosat hemmt die EPSPS und somit die Synthese. In der Folge kommt es zu einem Mangel an aromatischen Aminosäuren und anderen Veränderungen, die zum Absterben der Pflanze führen. Gentechnisch veränderte Pflanzen besitzen eine Glyphosat-resistente Form der EPSPS und werden durch Glyphosat nicht beeinträchtigt.

Das hydrophile Glyphosat liegt in den kommerziellen Formulierungen zusammen mit Detergenzien vor, die als Netzmittel ein Eindringen des Wirkstoffs in die Blätter der Pflanzen ermöglichen. In dem Produkt Roundup™ kommen polyethoxylierte Alkylamine (POEA, "Tallowamine") zum Einsatz.

Im Boden wird Glyphosat zunächst entweder zu Aminomethylphosphonsäure (AMPA) und Glyoxylat oder zu Sarcosin und Phosphat abgebaut, die darauf in Methylamin, Formaldehyd und Kohlendioxid zerfallen.

Geringe akute Toxizität für Säugetiere

Da im Säugetierorganismus das Enzym EPSPS nicht vorhanden ist und keine aromatischen Aminosäuren synthetisiert werden, besteht eine hohe Selektivität der toxischen Wirkung von Glyphosat für alle höheren Pflanzen. Säugetierzellen tolerieren hohe Konzentrationen. Die akute Toxizität der Verbindung ist daher gering. Erst im Bereich von 5 g pro kg Körpergewicht wirkt Glyphosat z. B. bei Ratten nach oraler Gabe tödlich, nach intraperitonealer Verabreichung ist jedoch bereits etwa ein Zehntel dieser Dosen mit dem Leben nicht mehr vereinbar. Dies ist ein Hinweis auf die geringe Bioverfügbarkeit der Substanz, die je nach Dosierung bei etwa 15 bis 35 Prozent liegt.

Zusatzstoffe erhöhen die Toxizität

Allerdings ist die Toxizität von Glyphosat in den Präparaten, die im Pflanzenschutz zur Anwendung kommen, höher. Glyphosat ist eine Carbonsäure, die als Natrium-, Kalium-, Ammoniumsalz oder in Form anderer Verbindungen vorliegt. In den kommerziellen Formulierungen sind neben dem Wirkstoff weitere Zusätze vorhanden. So enthält Roundup™, ein weit verbreitetes Produkt, das Isopropylaminsalz von Glyphosat und polyethoxylierte Alkylamine (POEA, Tallowamine). Es ist bekannt, dass diese Zusatzstoffe die Toxizität des Wirkstoffs wesentlich erhöhen können. Dies ist einer der Gründe für die kontroverse wissenschaftliche Debatte, denn es stellt sich die Frage: Müssen die toxikologischen Studien mit dem Wirkstoff oder mit den kommerziellen Zubereitungen durchgeführt werden?

Planung toxikologischer Studien

Die Antwort lautet: Hinweise mit allgemeingültiger, direkter Relevanz auf eine mögliche Gefährdung des Menschen lassen sich weder durch Untersuchungen mit dem Wirkstoff allein noch durch Experimente mit den Zubereitungen gewinnen. Im letzteren Fall ist zu berücksichtigen, dass sich die einzelnen Komponenten der Zubereitungen in der Umwelt unterschiedlich verhalten und nicht in derselben Zusammensetzung auf den Menschen einwirken, in der sie in den Zubereitungen vorhanden sind. Vor allem muss vor den Experimenten geklärt werden, welche Art der Exposition nachgestellt werden soll: Geht es um die Risiken bei einer Umweltexposition, etwa über das Trinkwasser, oder wird nach den Risiken bei gewerblicher Exposition, z. B. von Landwirten, gefragt?

Eine weitere, völlig andere Fragestellung zielt auf eine mögliche Gesundheitsgefährdung bei oraler Zufuhr größerer Mengen, etwa in suizidaler Absicht oder als Folge eines Irrtums. In diesen Fällen steht die lokale Schädigung des oberen Gastrointestinaltraktes im Vordergrund, aber auch die Resorption spielt eine Rolle, denn es sind Glyphosatkonzentrationen über 1000 mg/l im Plasma dieser Patienten gemessen worden [1].

Umwelttoxizität

Glyphosat verdunstet nicht, eine Kontamination der Luft findet also nicht statt. Es bindet nach der Anwendung relativ fest an Bestandteile des Bodens, der Übergang ins Grundwasser ist gering. Es wird von Mikroorganismen im Boden rasch abgebaut. Das Hauptabbauprodukt, die Aminomethylphosphonsäure (AMPA), besitzt eine höhere Mobilität im Boden.

Differenzierte Wirkung auf Pflanzen

Aufgrund der hohen Bindung an Bodenbestandteile wird Glyphosat nicht über die Wurzeln der Pflanze aufgenommen. Die herbizide Wirkung beruht auf der Aufnahme über die Blätter; die Präparate können daher erst angewandt werden, wenn bereits Blätter vorhanden sind. Nach der Aufnahme wird der Stoff rasch und effektiv in der Pflanze verbreitet und erreicht die Wachstumszonen. Weil dann alle Pflanzen im Wachstum gehemmt werden, besteht ohne weitere Maßnahmen keine selektive Wirkung auf bestimmte Pflanzenarten: Nutzpflanzen und "Unkräuter" werden gleichermaßen geschädigt.

Eine typische Art der Anwendung besteht in der Beseitigung unerwünschter Pflanzen vor der Aussaat von Weizen oder von anderen Nutzpflanzen. Verbreitet ist auch die Anwendung im Weinbau oder in Baumplantagen, wo gezielt die basalen Pflanzen beseitigt werden können. Hier können die Produkte mehrmals im Laufe eines Jahres angewandt werden. Interessanterweise wurden gerade in diesen Bereichen erstmals Pflanzen mit einer erworbenen Resistenz gegen Glyphosat beschrieben.

Es gibt Unterschiede in der Empfindlichkeit verschiedener Pflanzenarten gegen Glyphosat. Hundszahngras (Cynodon dactylon , engl. Bermuda Grass) und einige andere Spezies zeigen eine gewisse natürliche Resistenz. Eine erworbene Resistenz war jedoch in den ersten Jahrzehnten der Verwendung des Stoffes im Pflanzenschutz nicht beobachtet worden.

Anbau von transgenen, Glyphosat-resistenten Pflanzen

Durch die Entwicklung von transgenen Pflanzen, die gezielt resistent gegen Glyphosat gemacht wurden, entstehen völlig neue Anwendungsmöglichkeiten für das Herbizid. Ein wichtiger Schritt in dieser Entwicklung war die Entdeckung des CP4 -Gens in Agrobacterium in den 1990er Jahren. Die Integration dieses Gens in das Genom von Nutzpflanzen bewirkt eine ausgeprägte Glyphosatresistenz. Andere erfolgreiche genetische Manipulationen in den folgenden Jahren haben heute eine große Bedeutung beim Anbau von Soja, Baumwolle, Mais und anderen Pflanzen und sind in einigen Gebieten zum Standardverfahren geworden. Nicht zuletzt durch diese beeindruckende Entwicklung ist Glyphosat z. B. in den USA im vergangenen Jahrzehnt zu dem am häufigsten angewandten Herbizid geworden. Das Auslaufen des Patentschutzes im Jahr 2000 und die damit verbundene Preisreduktion haben weiterhin zu der heutigen Dominanz dieses Herbizids vor allem in den USA, Kanada, Argentinien und Brasilien beigetragen. Primär selektiv wirksame Herbizide, die nur bestimmte Pflanzen beseitigen und die Nutzpflanzen nicht schädigen, haben als Konsequenz dieser Entwicklung an Bedeutung verloren. Der Anbau transgener Pflanzen und die zunehmende Exposition des Menschen durch Glyphosat hängen also unmittelbar zusammen.

Der Anbau transgener Pflanzen ist bekanntlich umstritten. Diese Aspekte können hier ebenso wenig dargestellt werden wie die direkten Effekte von Glyphosat auf das Bodenleben. Es ist bekannt, dass der Abbau bzw. die Persistenz des Herbizids im Boden u. a. von den klimatischen Bedingungen und vom Phosphatgehalt der Böden abhängig ist; zudem beeinflusst Glyphosat die Mikroflora [2, 6].

Verursacht Glyphosat kindliche Fehlbildungen?

Insbesondere reproduktionstoxische und kanzerogene Wirkungen sind häufig strittig, wenn die Gefährlichkeit von chemischen Stoffen diskutiert wird. Wie in kaum einem anderen Bereich der Toxikologie sind solche Daten oft widersprüchlich und schwierig zu interpretieren. Es überrascht daher nicht, dass es bei Glyphosat ebenso ist wie bei anderen Stoffen, die immer wieder im Fokus der Öffentlichkeit stehen. Es soll nur erinnert werden an die Diskussionen über "Dioxine", Bisphenol A oder die Phthalate. Auch für Glyphosat ist ein teratogenes Risiko postuliert worden.

Die Routinestudien mit Glyphosat, die bei den Behörden eingereicht wurden, brachten jedoch keine Hinweise auf ein embryo-fetotoxisches Potenzial. In insgesamt sechs validen Studien bei trächtigen Kaninchen wurde Glyphosat in Dosierungen von bis zu 500 mg/kg Körpergewicht untersucht. Ab einer Dosierung von etwa 150 mg/kg verursacht die Substanz bei diesen Tieren allgemein toxische Wirkungen ("Maternaltoxizität"). Fehlbildungen des Herzens wie erweiterte Ventrikel oder Ventrikelseptumdefekte wurden vereinzelt beobachtet, sie kommen allerdings auch bei den Kontrollfeten vor. Eine Dosisabhängigkeit war nicht zu erkennen. Insgesamt wurden in den Studien etwa 2700 Kaninchenfeten untersucht, weitere Untersuchungen werden keine neuen Erkenntnisse bringen. Auch bei Studien an trächtigen Ratten in Dosierungen bis zu 3500 mg/kg zeigte sich keine teratogene Wirkung von Glyphosat [8].

Greift Glyphosat in das Hormonsystem von Säugetieren ein?

Zur reproduktionstoxikologischen Prüfung von Chemikalien gehören neben der Untersuchung auf mögliche teratogene Wirkungen auch Untersuchungen zur Fertilität und zur postnatalen Entwicklung. Zahlreiche Routinestudien gaben keine relevanten Hinweise auf solche Wirkungen von Glyphosat. Im vergangenen Jahr wurden jedoch Daten veröffentlicht, die diesen Ergebnissen widersprechen: Wissenschaftler aus São Paulo, Brasilien, beschrieben deutliche Effekte einer Glyphosat-haltigen Zubereitung auf das sexuelle Verhalten und die Sexualhormonkonzentrationen im Serum von Ratten, die perinatal vom Tag 18 der Gestation bis zum Tag 5 postnatal – also im Uterus oder über die Milch – exponiert gewesen waren (50 mg/kg Körpergewicht) [9].

Die Daten dieser Studie sind nicht überzeugend. So wurden Verhaltensuntersuchungen zur sexuellen Orientierung der Ratten durchgeführt, die bekannterweise sehr störanfällig sind. Der ermittelte, etwa vierfach erhöhte "sexual partner preference score" ist in seiner Bedeutung zweifelhaft und wird von den Autoren in Verbindung mit erhöhten Testosteronspiegeln diskutiert. Bedenklich ist die Tatsache, dass mehrere Kontrollwerte in dieser Arbeit nicht gut übereinstimmen mit Werten von Kontrollratten, die zwei Jahre früher von der gleichen Arbeitsgruppe veröffentlicht wurden. Dies ist zum Beispiel der Fall für die Testosteronspiegel. Die innerhalb von zwei Jahren publizierten Kontrollwerte unterscheiden sich untereinander deutlicher als die Werte zwischen den Roundup-exponierten Ratten und den Kontrollen [4].

Hintergrund dieser Studie waren Befunde aus In-vitro-Studien, die Glyphosat als "endocrine disruptor" einstufen. Hier wurden aber teilweise Konzentrationen bis zu 200 mg pro Liter Medium untersucht – also Konzentrationen, die ohne jeden Zusammenhang mit einer Exposition des Menschen bei beruflichem Umgang mit Glyphosat-haltigen Herbiziden oder mit einer möglichen Umweltkontamination stehen. Die Hemmung der Aromatase, die von einigen Autoren als Ursache für die Veränderungen genannt wird, könnte durch die oberflächenaktiven Substanzen aus den Zubereitungen hervorgerufen worden sein. Es ist bekannt, dass Rückstände von Detergenzien in Glaswaren, die bei den biochemischen Analysen verwendet werden, zu Fehlbestimmungen führen können. Mikrosomen regagieren sehr empfindlich auf Spuren solcher Verbindungen [4].

Fazit: Bisher sind keine Wirkungen von Glyphosat oder seinen Zubereitungen auf die Reproduktionsvorgänge bei Säugetieren, aus denen ein Risiko für den Menschen abgeleitet werden könnte, wissenschaftlich unstrittig nachgewiesen worden.

Wirkt Glyphosat auf die Dauer kanzerogen?

In zahlreichen Langzeitstudien wurde Glyphosat auf eine mögliche kanzerogene Wirkung hin untersucht. In keiner Studie wurden entsprechende Wirkungen gesehen [12]. Als Hinweis auf ein kanzerogenes Potenzial einer Chemikalie gelten positive Daten aus Untersuchungen zur Genotoxizität. Auch diese, überwiegend in vitro durchgeführten Untersuchungen auf Genotoxizität von Glyphosat waren negativ, sowohl mit der Chemikalie als auch mit verschiedenen Zubereitungen. Nur bei sehr hohen Konzentrationen, die mit einer möglichen Exposition des Menschen nichts zu tun haben, gab es aufgrund zytotoxischer Effekte positive Befunde [7].

Im September 2012 haben Wissenschaftler aus Frankreich jedoch eine tierexperimentelle Studie veröffentlicht, in der sie ein kanzerogenes Potenzial der Glyphosat-haltigen Formulierung Roundup postuliert haben [10]. Über einen Zeitraum von zwei Jahren erhielten männliche und weibliche Sprague-Dawley-Ratten Futter mit jeweils 11, 22 oder 33 Prozent gentechnisch verändertem Glyphosat-tolerantem Mais, der beim Anbau entweder mit dem Herbizid behandelt worden war oder nicht. Als Kontrollen dienten Ratten, die ein Futter mit 33 Prozent Mais erhielten, der nicht gentechnisch verändert worden war. Drei weitere Gruppen erhielten Trinkwasser, das bis zu 0,5 Prozent des Herbizids Roundup enthielt (entsprechend 2,25 mg/l Glyphosat). Das Ergebnis dieser aufwendigen Studie fand große Aufmerksamkeit, weil die behandelten Tiere im Laufe der zweijährigen Untersuchung früher starben als die Kontrolltiere. Die Studie wurde jedoch von kompetenten Wissenschaftlern aus vielen Ländern als mängelbehaftet und nicht aussagekräftig eingestuft und veranlasste das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) in Berlin, umgehend eine ausführliche Stellungnahme abzugeben [3].

Ein wesentlicher Kritikpunkt besteht darin, dass mit Sprague-Dawley-Ratten ein Stamm verwendet wurde, der für eine hohe Spontantumorrate bekannt ist. Bereits in den 1970er Jahren wurde berichtet, dass die männlichen Tiere innerhalb von 18 Monaten zu 45 Prozent Tumoren entwickeln und bei weiblichen Sprague-Dawley-Ratten noch höhere Raten an Spontantumoren typisch sind. Die Autoren der französischen Studie berichten nun davon, dass 30 Prozent der männlichen Kontrollratten und 50 Prozent der Ratten, die gentechnisch veränderten Mais erhielten, vorzeitig verstarben. Allerdings waren in jeder Gruppe nur zehn Ratten, sodass es sich um drei bzw. fünf vorzeitig verstorbene Tiere handelte. Die prozentualen Angaben suggerieren zwar einen deutlichen Unterschied, aber bei Betrachtung der absoluten Zahlen hängt die ganze Aussage an der Zugehörigkeit einer einzigen Ratte zu der einen oder anderen Gruppe. Da die Anzahl der untersuchten Tiere für solch eine Studie viel zu klein ist, lassen sich leider keinerlei fundierte Aussagen machen, und man muss eher von Zufallsergebnissen ausgehen.

Séralini und seine Mitarbeiter schreiben zwar, dass ihre Untersuchungen nach OECD Guidelines durchgeführt worden seien [10]; diese Leitlinien sehen aber eine Gruppengröße von 50 Ratten pro Gruppe für Studien zur Untersuchung auf kanzerogene Wirkungen vor. Kritisch anzumerken ist ebenfalls, dass keine eindeutige Dosisabhängigkeit der Effekte festgestellt wurde: Ein geringerer Anteil an genverändertem Mais oder geringere Dosen des Herbizids waren offenbar toxischer als die höchsten untersuchten Dosierungen. Auch dies dürfte auf eine zufällige Verteilung zurückzuführen sein. Wenn nur eine Kontrollgruppe mit neun Verum- Gruppen verglichen wird und die Todesrate hier zufällig niedrig ist, erscheint die Mortalität in allen Verum-Gruppen erhöht.

Die Studie von Séralini und Mitarbeitern wurde nach einem Peer-Review in der anerkannten Fachzeitschrift Food and Chemical Toxicology veröffentlicht [10]. Es ist daher nicht verwunderlich, dass der Herausgeber nach der Veröffentlichung eine Flut von wissenschaftlichen Kommentaren erhielt, die in einer der folgenden Ausgaben veröffentlicht wurden. Die Empörung richtete sich auch gegen die Tatsache, dass Fotos von Tieren mit weit fortgeschrittenen Tumoren veröffentlicht wurden, die nach üblichen ethischen Standards vorzeitig hätten getötet werden müssen. Die massive Kritik wurde zwar von Séralini und Mitarbeitern zurückgewiesen, überzeugen konnten sie in ihrer Antwort allerdings nicht [11].

Fazit: Nur eine weitere, Leitlinien-konforme Studie wird die Sachlage klären können. Bis dahin sollten die vielen Studien, in denen nur eine geringe Toxizität von Glyphosat nachgewiesen werden konnte, in der Diskussion nicht übersehen werden. <


Literatur

[1] Bradberry SM, et al. Glyphosate poisoning. Toxicol Rev 2004;23:159 – 167.

[2] Borggaard OK, Gimsing AL. Fate of glyphosate in soil and the possibility of leaching to ground and surface waters: a review. Pest Manag Sci 2008;64:441 – 456.

[3] Bundesinstitut für Risikobewertung. Veröffentlichung von Seralini et al. zu einer Fütterungsstudie an Ratten mit gentechnisch verändertem Mais NK603 sowie einer glyphosathaltigen Formulierung. Stellungnahme Nr. 037/2012, 28. September 2012. www.bfr.bund.de.

[4] DeSesso JM, Williams AL. Comment on "Glyphosate impairs male offspring reproductive development by disrupting gonadotropin expression" by Romano et al. 2012. Arch Toxicol 2012;86:1791-3; author reply 1795 – 1797.

[5] Duke SO, Powles SB. Glyphosate: a once-in-a-century herbicide. Pest Manag Sci 2008;64:319 – 25.

[6] Helander M, et al. Glyphosate in northern ecosystems. Trends Plant Sci 2012;17:569 – 574.

[7] Kier LD, Kirkland DJ. Review of genotoxicity studies of glyphosate and glyphosate-based formulations. Crit Rev Toxicol 2013;43:283 – 315.

[8] Kimmel GL, et al. Evaluation of developmental toxicity studies of glyphosate with attention to cardiovascular development. Crit Rev Toxicol 2013;43:79 – 95.

[9] Romano MA, et al. Glyphosate impairs male offspring reproductive development by disrupting gonadotropin expression. Arch Toxicol 2012;86:663 – 673.

[10] Séralini GE, et al. Long term toxicity of a Roundup herbicide and a Roundup-tolerant genetically modified maize. Food Chem Toxicol 2012;50:4221 – 4231.

[11] Séralini GE, et al. Answers to critics: Why there is a long term toxicity due to a Roundup-tolerant genetically modified maize and to a Roundup herbicide. Food Chem Toxicol 2013;53:476 – 483.

[12] Williams GM, et al. Safety evaluation and risk assessment of the herbicide Roundup and its active ingredient, glyphosate, for humans. Reg Toxicol Pharmacol 2000; 31:117 – 165.


Autor

Prof. Dr. Ralf Stahlmann, Institut für Klinische Pharmakologie und Toxikologie, Charité – Universitätsmedizin Berlin, Luisenstr. 7, 10117 Berlin

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