Fettstoffwechselstörungen

Starre Grenzwerte bei der Therapie der Dyslipidämie sind Vergangenheit

Von Olaf Rose | 18,8 Millionen Lipidsenker-Verordnungen im Jahre 2011 allein zulasten der GKV sprechen eine deutliche Sprache: Dyslipidämien sind weit verbreitet. Lipidsenker liegen auf Platz elf der verordnungsstärksten Arzneimittelgruppen. Davon entfallen fast 15 Millionen Verordnungen und die Hälfte der Kosten auf den CSE-Hemmer Simvastatin. Schon deshalb sollte jede Apothekerin und jeder Apotheker Ursachen, Zielwerte und die aktuellen Behandlungsmöglichkeiten kennen. Viele Apotheken bieten darüber hinaus auch Cholesterinmessungen an und müssen die jüngsten Empfehlungen in der Beratung berücksichtigen. Ein Update der Volkskrankheit Dyslipidämie.

Bereits der Ötztalmann, bekannt als Ötzi, litt trotz reichlich Bewegung und mühsam in der Natur beschaffter Nahrung schon vor über 5000 Jahren an Dyslipidämie und Atherosklerose [1, 2]. Er ist somit wohl der älteste bekannte Patient mit sicher diagnostizierter, genetisch bedingter, primärer Dyslipidämie. Ansonsten gelten Hyperlipidämien eher als Zivilisationskrankheiten. Symptome bestimmter erblicher homozygoter Formen treten schon im jugendlichen Alter auf und führen zu einem fulminanten Krankheitsverlauf. Bei der familiären Hypercholesterinämie finden sich Defekte im Bereich der LDL-Rezeptoren. Eine weitere erbliche Form ist der familiäre Apolipoprotein-B100-Defekt, bei dem durch die veränderte Struktur des lipidtragenden Apolipoproteins die LDL-Partikel kleiner und stark Arteriosklerose-fördernd sind.

Demgegenüber stehen die sekundären Dyslipidämien, die durch den Lebensstil begünstigt werden.

Sie können bedingt sein durch:

  • modernen Lebensstil mit wenig Bewegung und falscher Ernährung,
  • bestimmte Medikamente oder Alkohol,
  • andere Krankheiten wie ein schlecht eingestellter Diabetes mellitus, Hypothyreose, Lupus erythematodes, Niereninsuffizienz oder Hepatome.

Bei einer durch Medikamente induzierten Dyslipidämie kann auch der Apotheker möglicherweise schon direkt zur Aufklärung beitragen. Typische Medikamente mit Einfluss auf die Lipidwerte zeigt Tabelle 1.

Tab. 1: Medikamente mit Einfluss auf den Lipidspiegel

Wirkstoff
LDL-C
HDL-C
Triglyceride
Amiodaron
Betablocker
leicht ↓
leicht ↑
Ciclosporin
Estrogen
Glucocorticoide
Protease-Hemmer
Testosteron
Thiazide &
Schleifendiuretika
leicht ↑
leicht ↑

In Deutschland geht man davon aus, dass über 11% der Bevölkerung eine behandlungsbedürftige Dyslipidämie haben [6]. Das Risiko für die Entwicklung einer Dyslipidämie steigt in allen Fällen mit dem Alter. Die Versorgung der Patienten ist ausgesprochen schlecht. Das dürfte auch daran liegen, dass die Erkrankung über einen langen Zeitraum asymptomatisch verläuft. Die DETECT-Studie (Diabetes Cardiovascular Risk-Evaluation: Targets and Essential Data for Commitment of Treatment) untersuchte Patienten in deutschen Arztpraxen und kam zu dem Ergebnis, dass jeder zweite Patient in Deutschland eine Dyslipidämie hat, jedoch nur bei 50% dieser Patienten, trotz eindeutiger Laborwerte, diese Diagnose gestellt wurde. Nur 10% aller Patienten befanden sich mit ihrer Therapie im empfohlenen Zielbereich [7]. Auch Krankenkassendaten weisen darauf hin, dass nur ein Drittel der Patienten mit einem lipidsenkenden Medikament behandelt wird [6].

Für Apotheker ergibt sich somit die Aufgabe, durch Information, Aufklärung und Screening zusätzlich zur Volksgesundheit beizutragen. Allerdings sind dafür einige Vorkenntnisse nötig, da es nicht mehr nur "den einen" Cholesterin-Grenzwert gibt.

Oft symptomlos

Dyslipidämien bleiben lange unerkannt. Xanthome und Xanthelasmen sind ein mögliches äußeres Zeichen (s. Abb. 1). Sie sind einerseits ein kosmetisches Problem, andererseits aber auch ein eigenständiger kardiovaskulärer Risikofaktor [8]. Ähnlich wie in der Haut kommt es auch zu Ablagerungen in der Leber, Milz und Bauchspeicheldrüse. Pankreatitis und Abdominalschmerzen resultieren aus diesen Ablagerungen und werden häufig bei Triglyceridwerten über 1000 mg/dl gesehen, manchmal aber auch schon bei Werten über 500 mg/dl. Eine Pankreatitis ist eine ernstzunehmende Komplikation. Sie wird vermutlich durch freie Fettsäuren induziert, die bei der Spaltung der Triglyceride durch Pankreaslipasen übermäßig frei werden. Oft verläuft die Krankheit aber unbemerkt und es werden erst die Folgekrankheiten diagnostiziert, allen voran die koronare Herzkrankheit, aber auch Karotisstenosen oder gar Herzinfarkte oder Schlaganfälle.

Abb. 1: Xanthelasmen sind ein mögliches äußeres Zeichen für Dyslipidämien.
Foto: Klaus D. Peter – Wikipedia.de

Diagnose und Therapieziel

Obwohl die Behandlung von Patienten mit Dyslipidämien in der Apotheke eine große Rolle spielt, werden die zeitgemäßen Zielwerte den Patienten kaum vermittelt. Zur Diagnose werden die Lipidwerte des Patienten mit seinen individuellen Zielwerten verglichen. Die Lipidwerte müssen hierzu – auch bei der Messung in der Apotheke, etwa mit einem Cholestech-Gerät, unbedingt nüchtern gemessen werden. Gemäß aktueller Leitlinien der European Society of Cardiology (ESC) wird das Therapieziel mittels SCORE-Chart (Abb. 2) ermittelt [14]. Der Umgang mit dem SCORE-Chart ist also für Apotheker unerlässlich, will man dem Patienten seine Zielwerte mitteilen, erläutern oder gar ein Medikationsmanagement für den Arzt erstellen. Abbildung 2 zeigt das generelle SCORE-Chart für Niedrigrisikoregionen, zu denen auch Deutschland gerechnet wird. In der ins Deutsche übersetzten "ESC-Pocket Guideline Dyslipidemia" der deutschen Gesellschaft für Kardiologie finden sich noch detailliertere SCORE-Charts unter Berücksichtigung des HDL-Wertes [38].

Abb. 2: Score-Chart für Bevölkerungen mit niedrigem kardiovaskulärem Risiko Zur Umrechnung des Risikos einer tödlichen kardiovaskulären Erkrankung in das kardiovaskuläre Gesamtrisiko (tödlich und nicht tödlich) muss bei Männern mit 3 und bei Frauen mit 4 multipliziert werden. [ESC Pocket Guidelines Dyslipidämie]

Aktuelle Dyslipidämie-Leitlinie


Die deutsche Gesellschaft für Kardiologie-Herz- und Kreislaufforschung (DGK) adaptiert und übersetzt die Dyslipidämie-Leitlinie der European Society of Cardiology (ESC) und European Atherosclerosis Society (EAS). Die Leitlinie ist als sehr informative Kurzversion einsehbar unter http://leitlinien.dgk.org/pocketleitlinie.


Das SCORE-Chart berücksichtigt Geschlecht, Alter, Raucherstatus, Gesamtcholesterin und den systolischen Blutdruck und ermittelt so das 10-Jahres- Risiko für das Auftreten eines tödlichen kardiovaskulären Ereignisses. Zur Ermittlung des kardiovaskulären Gesamtrisikos, also für tödliche und nicht-tödliche Ereignisse, muss der ermittelte Wert bei Frauen mit vier und bei Männern mit drei multipliziert werden. Das SCORE-Chart ist nicht für Personen mit klinisch manifester kardiovaskulärer

Erkrankung, Diabetes, chronischer Nierenerkrankung oder sehr hohen Werten eines individuellen Risikofaktors gedacht, da solche Personen bereits ein hohes Risiko besitzen und eine intensive Beratung bezüglich der Risikofaktoren benötigen [38].

Das Übungsbeispiel in Abbildung 3 zeigt den SCORE-Wert für

  • eine Frau,
  • Raucherin,
  • 60 Jahre alt,
  • systolischer Blutdruck von 160 mmHg
  • Gesamtcholesterin-Wert von 7 mmol/l (entsprechend 271 mg/dl), LDL-Cholesterin-Wert 160 mg/dl.
Abb. 3: Anwendung des Score-Chart am Beispiel einer 60-jährigen Patientin.

Alle Werte sind in der Chart entsprechend der Schritte eins bis fünf ablesbar. Für die Cholesterinumrechnung in mmol/L ist eine Skala aufgeführt. Im Beispiel ermittelt man für diese Patientin ein fünfprozentiges Risiko für das Auftreten eines tödlichen kardiovaskulären Ereignisses in den nächsten zehn Jahren. Dieser Wert multipliziert mit vier ergibt das kardiovaskuläre Gesamtrisiko, in diesem Fall 20%. Mit diesem Risikowert sucht man dann in Abb. 4 das entsprechende Feld und findet dort in der Zeile Risiko "> 10% oder sehr hohes Risiko" zum passenden LDL-Wert die richtige Maßnahme. Nur wenn dort "keine Lipidtherapie" steht, hat man seinen Zielwert bereits erreicht. Im Patientenbeispiel wäre dann bei einem LDL-Cholesterin von 160 mg/dl "Lebensstiländerung und unmittelbare medikamentöse Intervention" die empfohlene Maßnahme. Zu den jeweiligen Maßnahmen sind jeweils Empfehlungs- und Evidenzgrade angegeben.

Abb. 4: Anhand des Gesamtrisikos für kardiovaskuläre Ereignisse (ermittelt mit der SCORE-Chart) und dem LDL-Cholesterin-Wert lässt sich die Interventionsstrategie patientenindividuell ermitteln [ESC Pocket Guidelines Dyslipidämie].

Empfehlungsgrade

  • I Evidenz und/oder allgemeine Übereinkunft, dass eine Therapieform oder eine diagnostische Maßnahme effektiv, nützlich oder heilsam ist.

  • II Widersprüchliche Evidenz und/oder unterschiedliche Meinungen über den Nutzen/Effektivität einer Therapieform oder einer diagnostischen Maßnahme.

  • II a Evidenzen/Meinungen favorisieren den Nutzen bzw. die Effektivität einer Maßnahme.

  • II b Nutzen/Effektivität einer Maßnahme ist weniger gut durch Evidenzen/Meinungen belegt.

  • III Evidenz und/oder allgemeine Übereinkunft, dass eine Therapieform oder eine diagnostische Maßnahme nicht effektiv, nicht nützlich oder nicht heilsam ist und im Einzelfall schädlich sein kann.


Evidenzgrade

  • A Daten aus mehreren, randomisierten klinischen Studien oder Meta-Analysen.

  • B Daten aus einer randomisierten Studie oder mehreren großen nicht randomisierten Studien.

  • C Konsensusmeinung von Experten und/oder kleinen Studien, retrospektiven Studien oder Registern.


Andere Risikofaktoren werden hier zunächst nicht berücksichtigt. Gerade in Grenzfällen kann und sollte man noch weitere Risikofaktoren mit einfließen lassen. Dies sind laut Leitlinie eine positive Familienanamnese bezüglich des Auftretens einer koronaren Herzkrankheit in jungen Jahren, abdominelle Adipositas, das körperliche Aktivitätsverhalten, die soziale Schicht und die Laborwerte: HDL-Cholesterin, Triglyceride, hochsensitives CRP, Lipoprotein a, Fibrinogen, Homocystein und Apolipoprotein B [38].

Therapieansätze

Das primäre Behandlungsziel ist der individuell ermittelte LDL-Zielwert. Das Therapieziel für Patienten mit hohem Risiko ist in den letzten Jahren, wie in Abbildung 4 ersichtlich, auf < 70 mg/dl gesenkt worden. Bei Hypertriglyceridämie gilt ein einheitliches Therapieziel von < 150 mg/dl. Medikamentös behandelt wird aber nur bei sehr hohen Triglyceridspiegeln von > 500 mg/dl zur Verhinderung einer Pankreatitis. Andernfalls wird eine Änderung des Lebensstils angeraten. Bei kombinierter Hyperlipidämie gelten entsprechend sowohl LDL-Cholesterin- als auch Triglycerid-Zielwerte. Ein allerdings nur sekundäres Therapieziel kann die HDL-Cholesterin-Erhöhung auf > 35 mg/dl und die Triglyceridsenkung auf < 200 mg/dl sein. Das Gesamtcholesterin spielt nur noch bei der Ermittlung des Risikobereiches eine Rolle und ist schon seit über einem Jahrzehnt keine Zielgröße mehr in der Therapie. Da auch Homocystein ein Risikofaktor für Arteriosklerose ist, wurden große Erwartungen in die Behandlung des Homocysteinspiegels gesetzt. Eine Senkung brachte aber zuletzt auch in der Hope-2-Studie keinen Vorteil [30], so dass keinerlei Evidenz zur Therapie mit Folsäure, Vitamin B6 und B12 besteht.

Pharmakotherapie: Statine Mittel der Wahl

Mittel der Wahl nach Lebensstilveränderungen ist die Pharmakotherapie mit Statinen. Statine haben seit über einem Jahrzehnt eine ausgezeichnete Evidenzlage [10, 11]. Eine positive Wirkung der Statine auf kardiovaskuläre Ereignisse bei Dyslipidämie gilt als gesichert. Die Studienlage zeigt aber auch, dass Senkungen des LDL-Cholesterins von 30 bis 50% herbeigeführt werden müssen, um klinische Auswirkungen festzustellen. Dann bilden sich arteriosklerotische Plaques sogar wieder zurück. Die Zielwerte von < 70 mg/dl LDL-Cholesterin bei Hochrisikopatienten basieren auf diesen Erkenntnissen [9]. Welches Statin gewählt wird, sollte einerseits von der erwünschten prozentualen LDL-Cholesterin-Senkung und dem Zielwert, bei Polymedikation aber auch von zu erwartenden CYP-Interaktionen abhängig gemacht werden. Anhaltspunkte zur Stärke der LDL-Cholesterin-Senkung und Interaktionen gibt Tabelle 2.

Tab. 2: Statine, äquivalente Dosierungen (in mg) und Interaktionsübersicht

% LDL-
Reduktion
(ca.)
Atorvastatin
Fluvastatin
Lovastatin
Pravastatin
Rosuvastatin
Simvastatin
10– 20
20
10
10
5
20– 30
40
20
20
10
30– 40
10
80
40
40
5
20
40– 45
20
80
80
5 – 10
40
46– 50
40
10 – 20
80*
50– 55
80
20
56– 60
40
CYP-450-
Metaboli-
sierung
3A4
2C9
3A4
-
2C9, 2C19 (gering)
3A4
Nahrungs-
einfluss
↓13 %
↓15 % – ↑ 25 %
↑ 50 %
↓ 30 %
↓ 20 %
Kein Einfluss
* 80-mg-Dosierung wegen erhöhtem Rhabdomyolyse-Risiko nicht länger empfohlen

Reicht die Senkung nicht aus, so kann eine Verdoppelung der Dosis empfohlen werden. Jede weitere Dosisverdoppelung senkt den LDL-Spiegel um circa weitere 6%. Drastische Senkungen von über 50% sind allerdings nur noch mit Atorvastatin und Rosuvastatin möglich. Muskeltoxizität, als bekanntestes Problem, tritt vermutlich nur bei bestimmten genetischen Prädispositionen, bei sehr hohen Dosierungen oder Interaktionen auf. Ernsthafte Rhabdomyolysen sind bei bestimmungsgemäßem Gebrauch sehr selten. Zwar erhöhen Statine die Wahrscheinlichkeit einen Diabetes zu entwickeln, jedoch ist die Nutzenbilanz trotzdem positiv, weil gerade auch Patienten mit Prädiabetes oder Diabetes von der Therapie mit einem Statin in größerem Maße profitieren, als sie Schaden nehmen [22]. Auch der Verdacht auf karzinogene Wirkung konnte mittlerweile entkräftet werden [23]. Obwohl Statine durch ihren Wirkmechanismus bedingt stets den Q10-Spiegel senken, ist kein unmittelbarer Nutzen für eine Q10-Gabe unter Statinen belegt worden. Auch lassen sich die myotoxischen Nebenwirkungen so vermutlich nicht beeinflussen [39]. (Zu Details der Statin-Wirkungen vergleiche auch DAZ 2013; Nr. 10, S. 38 [39]).

Oft unterschätzt: Gallensäurebinder

Oft unterschätzt werden die Gallensäurebinder. Mit diesen Anionenaustauschern erreicht man immerhin LDL-Cholesterin-Senkungen von bis zu 34%, so dass sie etwa im Rahmen eines Medikationsmanagements bei nicht erreichten LDL-Cholesterin-Zielwerten zur Kombination mit einem Statin durchaus berücksichtigt werden sollten. Sie werden nicht resorbiert und sind daher nebenwirkungsarm. Sie führen allerdings häufig zu Magen-Darm-Beschwerden und müssen deshalb einschleichend nach Verträglichkeit dosiert werden. Außerdem sind zahlreiche Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten zu beachten. Viele Wirkstoffe können zeitversetzt eine Stunde vor oder vier Stunden nach der Colestyramin-Gabe eingenommen werden. Bei Wirkstoffen, die einem enterohepatischen Kreislauf unterliegen (zum Beispiel Digoxin) löst die zeitversetzte Einnahme das Problem nicht. In diesen Fällen sollte der Einsatz des wechselwirkungsärmeren Colesevelams geprüft werden.

Fraglicher Nutzen von Ezetimib

Auch unter Gabe des Cholesterin-Resorptionshemmers Ezetimib gelangen weniger Nahrungs-fette ins Blut. Im Gegensatz zu den Gallensäurebindern wird zusätzlich der Triglycerid-Spiegel leicht gesenkt. Der LDL-Cholesterin-Spiegel wird um bis zu 20% reduziert. Ezetimib kann ebenfalls mit Statinen (und Fibraten) kombiniert werden.

Durch die ENHANCE-Studie [31] wurde allerdings gezeigt, dass sich die Intimadicke als Parameter für das Fortschreiten der Atherosklerose der betroffenen Blutgefäße unter Ezetimib plus Statin im Vergleich zur alleinigen Statin-Gabe, trotz deutlich niedrigerer LDL-Cholesterin-Werte, nicht reduzierte sondern sogar zunahm. Dies ist möglicherweise durch den Anstieg der "small-dense-LDL(sd-LDL)"-Partikel, die als zusätzlicher Risikofaktor für koronare Herzerkrankung gelten, erklärbar. Statine senken hingegen auch das sd-LDL. Diese Wirkung der Statine wird aber durch Ezetimib aufgehoben. Aufgrund dieser Erkenntnisse wird der Einsatz von Ezetimib auch in Kombination mit einem Statin zunehmend kritisch gesehen. Die Nebenwirkungen von Ezetimib betreffen, ähnlich wie bei den Gallensäurebindern, hauptsächlich den Magen-Darm-Trakt.

Statine und Makrolide


Ein häufiges Problem in der Apotheke ist die CYP-Interaktion zwischen Simvastatin und Clarithromycin bei einer kurzfristigen Antibiose etwa bei einer Atemwegserkrankung oder einer Helicobacter-Eradikation. Durch steigende Blutspiegel kann die Muskeltoxizität des Statins erhöht werden. In solchen Fällen sollte mit dem Arzt Rücksprache genommen werden, ob ein anderes Antibiotikum infrage kommt oder das Statin für die Dauer der Therapie abgesetzt oder niedriger dosiert werden sollte. Müssen dauerhaft Medikamente genommen werden, die zu CYP-3A4-Interaktionen führen, sollte eine Umstellung auf Fluvastatin, Rosuvastatin oder Pravastatin, die auf anderem Wege verstoffwechselt werden, in Erwägung gezogen werden.

Fibrate, Fischöl und Nicotinsäure

Fibrate werden laut Leitlinien und Wirkungsspektrum vorwiegend bei erhöhten Triglyceridwerten und kombinierter Dyslipidämie eingesetzt [14]. Sie können, obwohl dies durch den Skandal um den Lipidsenker Cerivastatin, besser bekannt als Lipobay, etwas in Verruf geraten ist, mit Statinen kombiniert werden, wenn auf Myopathien geachtet wird. Eine Kombination von Statinen mit Gemfibrozil sollte jedoch vermieden werden. Besser geeignet ist Fenofibrat, aber auch dann muss von Arzt und Apotheker auf Myopathien besonders geachtet werden. [33]. Die LDL-Cholesterin-Senkung durch Fibrate ist nur sehr gering [32]. Auch fehlt die Evidenz bei harten klinischen Endpunkten, so dass sie Sonderfällen vorbehalten werden sollten.

Fischöl (Omega-3-Fettsäuren) senkt die Triglyceride relativ deutlich um bis zu maximal 30%, das HDL-Cholesterin steigt um bis zu 10%. Zwar wurde in der JELIS-Studie ein niedrigeres Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse bei therapienaiven Patienten mit Hyperlipidämie gezeigt [36], bei bereits mit anderen Medikamenten vorbehandelten Patienten war dieser Effekt jedoch nicht wiederholbar [37]. Daher wird Fischöl bei medikamentös versorgten Patienten nicht zur Standardtherapie gerechnet. Vorbeugend könnte es einen gewissen Stellenwert haben.

Nicotinsäure wurde wegen seiner ausgeprägten Triglyceridsenkung und HDL-Cholesterin-Erhöhung in anderen Ländern häufig eingesetzt. In der HPS2-THRIVE-Studie konnte allerdings kein Nutzen einer Nicotinsäure-Gabe gefunden werden, wohl aber bisher unbekannte Nebenwirkungen wie Blutungen und ein erhöhtes Infektionsrisiko [35]. Seit 2013 wird Nicotinsäure wegen dieser enttäuschenden Ergebnisse nicht mehr in der Therapie eingesetzt.

Intensive klinische Studien und Bemühungen haben in den letzten Jahren die Therapie der Dyslipidämien deutlich verbessert und eine gute Evidenzlage geschaffen, obwohl kaum neue Wirkstoffe eingesetzt werden. Es liegt auch am Apotheker, dass diese Erkenntnisse in der Therapie zur bestmöglichen Anwendung kommen.


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Autor

Olaf Rose, Studium der Pharmazie von 1989 bis 1993 an der WWU in Münster, 1993 bis 1994 Forschungsaufenthalt bei Bayer Yakuhin, Japan, Studium zum Doctor of Pharmacy an der University of Florida, USA 2006 bis 2009. Wissenschaftliches Mitglied und Mitinitiator der WestGem-Studie (MTM und sektorübergreifende Versorgungsforschung bei multimorbiden Patienten) in Zusammenarbeit mit der Bergischen Universität Wuppertal und der KatHO-NRW. Forschungsschwerpunkt: klinisches MTM. Inhaber dreier Apotheken in Münster und Steinfurt. Apotheker Olaf Rose, Pharm.D., Münster, rose@elefantenapo.de

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