DAZ aktuell

Die Modellapotheke

Gerhard Schulze

Grundsätzlich ja, aber eigentlich doch nicht: Die skeptische Haltung der Bayerischen Ärztekammer zum ABDA-KBV-Modell zeigt einmal mehr, wie kritisch selbst eine minimale Aufwertung des Apothekerberufs im Rahmen des Medikationsmanagements beäugt wird. Nach unendlich zähen Verhandlungen soll das Modell nun in Thüringen und Sachsen in die Pilotphase gehen. Daneben wird innerhalb der Apothekerschaft noch die patientenorientierte Pharmazie diskutiert, die in den USA so erfolgreich ist. Sie führt zu einer verbesserten Compliance, reduziert Einnahmefehler und spart Kosten. Mit ihr ist der Beruf des Pharmazeuten in den USA wieder attraktiv geworden, zahlreiche gut dotierte Arbeitsplätze sind entstanden.

Das US-Modell der patientenorientierten Pharmazie kann man zwar nicht eins zu eins auf Deutschland übertragen, die Leitidee aber schon. Als ich mich in den 1980er Jahren erstmals mit soziologischen Themen im Umfeld der Pharmazie beschäftigte, kursierte ein Witz über die US-amerikanischen Pharmaziestudenten: Sie müssten bei der Abschlussprüfung eigentlich nur wissen, wie man ein Clubsandwich zubereitet. Solche Ironie würde heute angesichts der neuen Berufsrolle der Apotheker etwa in Florida oder Minnesota zum Eigentor geraten. Von wegen Clubsandwich: Pharmazeuten in Kliniken und öffentlichen Apotheken werden dort wegen ihres Beitrags im Gesundheitssystem respektiert und honoriert wie noch nie.

Wie könnte die patientenorientierte Pharmazie bei uns auch nur eine einzige Apotheke wirtschaftlich erhalten? Die Krankenkassen mauern, die Politik schläft und die Ärzte führen sich auf, als wolle man ihnen etwas wegnehmen, statt zu verstehen, dass die Ergänzung ihres oft nur spärlichen pharmazeutischen Wissens ein Must have ist und kein überflüssiges Nice to have.

Wenn man einmal erkannt hat, dass der Aufgabenbereich der Pharmazie nicht dann endet, wenn der Patient seine Pille hinuntergespült, seine Tropfen geschluckt, seine Spritze gesetzt hat, ist es an der Zeit, zu handeln. Ich möchte darum einen Vorschlag machen. Die ABDA – und hier könnte sie etwas Sinnvolles tun, statt das Geld der Apotheker mit sinnlosen Imagekampagnen zu vergeuden – die ABDA legt eine Summe von jährlich rund 1 Million Euro auf die Seite. Damit bezuschusst sie fünf bis zehn Modellapotheken, gleichmäßig über Deutschland verteilt. Sie bewegt sich dabei im Rahmen der bestehenden Gesetze und hat es nicht nötig, ihr Vorgehen mit anderen abzustimmen. Der Erfolg könnte ihr später einmal Recht geben.

Die ausgewählten Modellapotheken sollen das Anliegen möglichst nobel verkörpern. Sie werden für zwei Jahre von der ABDA unterstützt – mit Verlängerungsmöglichkeit. Sie sind ökonomisch in keiner Weise eingeschränkt, werden jedoch ermuntert, sich einen möglichst drogeriemarkt-fernen Anstrich zu geben. Die in diesen Apotheken angestellten Mitarbeiter verfügen idealerweise über Spezialkenntnisse in den Bereichen Toxikologie, Pharmakokinetik, Klinische Pharmazie, Humangenetik und Pharmaziegeschichte.

In jeder Modellapotheke gibt es ein Wartezimmer. Dort liegen Arzneimittelinformationen aus, aber auch Lesenswertes über Phytotherapie, Nahrungsergänzungsmittel und Gesundheitsthemen: Wann genügt Selbstmedikation, wann sollte man einen Arzt aufsuchen? Warum ist Händewaschen wichtig? Wodurch unterscheiden sich Grippe und grippaler Effekt? Sind Heiltees aus Bärentraubenblättern krebserregend?

Das ausgelegte Informationsmaterial ist gegen ein geringes Entgelt erhältlich und verfolgt keine werblichen Zwecke. Die Texte sind anspruchsvoll, aber verständlich geschrieben. Zum Aufbau eines seriösen apothekereigenen Informationsdienstes stellt die ABDA eine Gruppe von Redakteuren auf Werksvertragsbasis ein. Sie begleiten das Projekt informationell, stellen den Modellapotheken Texte zur Verfügung und geben Pressemitteilungen über den Fortgang des Projekts heraus.

In jeder Modellapotheke gibt es ein Sprechzimmer. Dort berät der Apotheker seine Kunden. Für gesetzlich und privat Versicherte übernimmt die ABDA zwei Jahre lang das Beratungshonorar; es beträgt 60 Euro. Bei Selbstmedikation zahlen die Kunden aus eigener Tasche. In den Beratungsgesprächen zwischen Patient und Apotheker geht es um die Übersetzung compliance-feindlicher Arzneimittelinformationen, um Wechselwirkungen, um medikationsbezogene Ernährungshinweise, um die Analyse von Medikationsplänen für multimorbide und chronisch kranke Patienten sowie das pharmazeutische Monitoring dieser Patientengruppen. So sollen die Einnahmedisziplin gefördert und unerwünschte Arzneimittelwirkungen nach Möglichkeit verhindert werden. Die sich ergebenden Patientendaten werden anonymisiert erfasst. Zur Auswertung der Daten stellt die ABDA geeignete Fachleute zur Verfügung. Sie ermitteln, ob und wie pharmazeutische Betreuung wirkt und was die Modellapotheken erreichen konnten.

Grundsätzlich ja, aber so nicht: Die Kooperation von Apothekern und Ärzten ist wünschenswert, aber es geht auch ohne. Wenn sich im Modellversuch zeigt, was pharmazeutische Betreuung leistet, dann treten die Apotheker gegenüber ihrem Hauptverhandlungspartner, den Krankenkassen, anders auf. Eine qualitativ anspruchsvolle pharmazeutische Betreuung wäre keine leere Floskel mehr. Alle hätten etwas davon: Die Patienten, die Krankenkassen und letztlich auch die Ärzte. Sie haben es nur noch nicht begriffen.


Gerhard Schulze

Gerhard Schulze, geb. 1944, ist Professor für Soziologie an der Universität Bamberg. Seine Arbeiten untersuchen den kulturellen Wandel der Gegenwart.

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