Medizin

Mehr als nur ein "Durchgangssyndrom"

Von Clemens Bilharz | Ein Delir ist ein akuter, reversibler Verwirrtheitszustand, der zu den häufigsten Komplikationen hospitalisierter älterer Patienten zählt. Es tritt keineswegs nur beim Alkoholentzug auf und darf auch nicht als reine Begleiterscheinung einer Demenz missverstanden werden, sondern kann verschiedene Ursachen haben. Vor allem die hypoaktive Form wird oft nicht als Delir erkannt. Die Therapie ist multimodal. Ebenso wichtig wie die Gabe von Neuroleptika sind die Behandlung auslösender Ursachen und nichtpharmakologische, vor allem pflegerische Maßnahmen.

Früher in unserem Sprachgebrauch gerne als "Durchgangssyndrom" bezeichnet und als eher lästige passagere Begleiterscheinung anderer Krankheitsbilder bewertet, hat das Delir heute eine eigenständige medizinische Bedeutung. Mit den Begriffen Delir oder akuter Verwirrtheit wird ein ätiologisch unspezifischer Zustand beschrieben, der als gemeinsame Endstrecke für eine Vielzahl von Noxen und Einflussfaktoren verstanden werden kann und sich in einer in der Regel diffusen Hirnfunktionsstörung äußert. In Einzelfällen kann das Delir sogar ein Symptom anderer Erkrankungen sein, beispielsweise einer Sepsis.

Delirante Syndrome sind unter älteren Patienten sehr häufig. Je nach untersuchter Population entwickeln bis zu 40% der in Allgemeinkrankenhäusern aufgenommenen älteren Menschen ein Delir; bei sehr alten Patienten sind es bis zu 56%. Als erstes Zeichen einer schweren Erkrankung, etwa eines Myokardinfarkts, kann ein Delir auch den primären Grund für eine stationäre Einweisung darstellen. Von den über 65-Jährigen weisen etwa 20% bei der Krankenhausaufnahme ein Delir auf.

Fluktuation der Defizite typisch

Gemäß den klinisch-diagnostischen Leitlinien nach ICD-10 (s. Tab. 1) handelt es sich beim Delir um eine schwerwiegende, akute psychische Störung, die durch fluktuierende Bewusstseins- und Aufmerksamkeitsdefizite sowie durch ein gestörtes Orientierungs- und Denkvermögen charakterisiert ist. Die Sprache ist typischerweise inkohärent und verwaschen. Zur Symptomatik gehören ein gestörter Schlaf-Wach-Rhythmus sowie psychomotorisch entweder hyperaktive Unruhezustände oder generelle Verlangsamung bis zur Apathie, nicht selten im Wechsel. Auch Halluzinationen und Wahnsymptome sind möglich, oft begleitet von vegetativen Symptomen wie Tachykardie, Schwitzen, Zittern und Harninkontinenz.


Tab. 1: Klinisch-diagnostische Kriterien gemäß ICD-10. Für eine endgültige Diagnose müssen leichte oder schwere Symptome aus allen fünf Bereichen vorhanden sein.

Störung des Bewusstseins und der Aufmerksamkeit
  • Defizit auf einem Kontinuum zwischen leichter Bewusstseinsminderung und Koma
  • Reduzierte Fähigkeit, die Aufmerksamkeit auszurichten, zu fokussieren, aufrechtzuerhalten und umzustellen
Globale Störungen der Kognition sowie Wahrnehmungsstörungen
  • Beeinträchtigung des abstrakten Denkens und der Auffassung, mit oder ohne flüchtige Wahnideen, aber typischerweise mit einem gewissen Grad an Inkohärenz
  • Beeinträchtigung des Sofort- und Kurzzeitgedächtnisses, aber mit relativ intaktem Langzeitgedächtnis
  • Zeitliche Desorientiertheit, in schweren Fällen auch zu Ort und Person
  • Verzerrungen der Wahrnehmung, Illusionen und meist optische Halluzinationen
Psychomotorische Störungen
  • Hypo- oder Hyperaktivität und nicht vorhersehbarer Wechsel zwischen beiden Mustern
  • Verlängerte Reaktionszeit, aber verstärkte Schreckreaktion
  • Vermehrter oder verminderter Redefluss
Störung des Schlaf-Wach-Rhythmus
  • Schlafstörungen, in schweren Fällen völlige Schlaflosigkeit oder Umkehr des Schlaf-Wach-Rhythmus
  • Nächtliche Verschlimmerung der Symptomatik
  • Unangenehme Träume oder Alpträume, die nach dem Erwachen als Halluzinationen weiterbestehen können
Affektive Störungen
  • Depression
  • Angst oder Furcht
  • Reizbarkeit
  • Euphorie
  • Apathie
  • Staunende Ratlosigkeit

Hypoaktive Delirform häufiger

Dem Ausmaß der psychomotorischen Aktivität entsprechend unterscheidet man drei Delirsubtypen:

  • die hyperaktive Form mit in der Regel sichtlich erhöhter psychomotorischer Aktivität, gekennzeichnet durch Unruhezustände, teils aggressive Reaktionen sowie vegetativen Entgleisungen. Sie geht nicht nur mit einem erhöhten Sturzrisiko einher, sondern grundsätzlich mit einer erhöhten Selbst- und Fremdgefährdung (Weglauftendenz, Therapie- und Nahrungsverweigerung);

  • das hypoaktive Delir mit reduzierter Motorik, genereller Verlangsamung und ruhigem bis apathischem, vermeintlich "friedlichem" Erscheinungsbild;

  • eine gemischte Form mit wechselndem Verlauf aus hyperaktiven und hypoaktiven Anteilen.

Häufig wird – vor allem von Angehörigen – nur die hyperaktive Form mit dem Begriff des Delirs gleichgesetzt. Tatsächlich kommen sowohl die Mischform als auch das hypoaktive Delir häufiger vor (Abb. 1), sodass aufgrund der eingeschränkten Kommunikationsfähigkeit der Patienten gerade hier eine erhöhte Wachsamkeit geboten ist.


Abb. 1: Häufigkeit der Delirsubtypen, nach [2]. Mischtypen kommen mit fast 50% am häufigsten vor, gefolgt vom hypoaktiven Delir mit 25 bis 30%. Überraschenderweise steht die hyperaktive Form, die oft primär mit der Diagnose Delir assoziiert wird, mit 15 bis 25% erst an dritter Stelle.

Aus verschiedenen Untersuchungen geht jedoch hervor, dass wahrscheinlich 30 bis 60% der Delirien nicht erfasst werden. Erschwert wird das frühzeitige Erkennen eines Delirs durch die starke sowohl intra- als auch interindividuelle Variation der Symptomatik. Beide Prägnanztypen – Hyperaktivität und Hypoaktivität – können sich in nicht vorhersehbarer Weise abwechseln, und generell ist ein Fluktuieren der Delirsymptomatik mit luziden Intervallen charakteristisch. Auch ist die Symptomatik in vielen Fällen tagsüber eher wenig prominent. Erst in der Nacht potenzieren Dunkelheit, Geräuschwahrnehmungen, Angst und das Gefühl der Hilflosigkeit die oft schon vorhandenen Orientierungsdefizite.

Für den Betroffenen, aber auch für Angehörige, Ärzte und Pflegepersonal bedeutet ein Delir eine zusätzliche Belastung. Rekonvaleszenz und Rehabilitation erfahren eine deutliche Einschränkung, die Komplikationsrate nimmt zu, beispielsweise durch Dekubiti, Infektionen, Stürze oder Nahrungsverweigerung. Die Daten verschiedener Untersuchungen sprechen dafür, dass das Delir nicht nur mit einer längeren Hospitalisierung assoziiert ist, sondern auch mit einer erhöhten Morbidität und Mortalität.

Prädisponierende und auslösende Faktoren

Die Diagnose eines Delirs erfolgt primär klinisch anhand der vorherrschenden Symptomatik mit akutem Beginn und fluktuierendem Verlauf. In der (Fremd-)Anamnese sollten Fragen zu Alkoholkonsum, Medikamenteneinnahme, kognitiven Einbußen, Vorerkrankungen, sensorischen Defiziten und ggf. früheren Delirepisoden geklärt werden. Im Rahmen der differenzialdiagnostischen Überlegungen sind nicht nur Komorbiditäten zu berücksichtigen, sondern auch zahlreiche andere Risikofaktoren für die Entstehung eines Delirs. Hierbei unterscheidet man prädisponierende von auslösenden Faktoren (Tab. 2). Da das Delir nicht selten das einzige Symptom einer akuten Erkrankung oder gefährlichen Komplikation ist, sollte neben der kardiopulmonalen Basisdiagnostik (Auskultation, EKG, Röntgenthorax) auch eine Labordiagnostik durchgeführt werden: Blutbild, CRP, Elektrolyte inklusive Calcium, Leberparameter, Kreatinin, Glucose, TSH, Urinstatus. Zusatzuntersuchungen wie EEG, Lumbalpunktion oder (zerebrale) Bildgebung ergeben sich aus den entsprechenden Verdachtsmomenten.

Für die Sicherung der Diagnose Delir stehen mehrere Screening-Instrumente zur Verfügung. Im deutschsprachigen Raum wird hauptsächlich die "Confusion Assessment Method" (CAM) eingesetzt, ein in der Kurzform aus vier Kriterien bestehender Diagnosealgorithmus, der am Krankenbett ohne übermäßigen Zeitaufwand zu realisieren ist (siehe Textkasten). Die CAM besitzt eine hohe Sensitivität von 94 bis 100% und eine Spezifität von 90 bis 95%.

Ob psychometrische Tests wie der Mini-Mental-Status (MMSE) und der Uhrentest in der Delirdiagnostik von Nutzen sind, konnte wissenschaftlich bislang nicht belegt werden. Sie eignen sich jedoch zur Verlaufskontrolle.


Tab. 2: Prädisponierende und auslösende Faktoren für ein Delir, nach [4].

In der linken Spalte finden sich Faktoren, die sich aus der bisherigen Patientenanamnese ergeben.

Die in der rechten Spalte aufgeführten Faktoren resultieren aus der aktuellen klinischen Situation.

Prädisponierende Faktoren
Auslösende Faktoren
Kognitiver Status: eingeschränkte Kognition;
Demenz; stattgehabtes Delir; Depression
Alter > 65 Jahre, männliches Geschlecht
Malnutrition/Dehydratation
Alkoholabhängigkeit
Medikation: Polymedikation; Psychopharmaka
Komorbiditäten: chronische Leber- oder Niereninsuffizienz; stattgehabter Schlaganfall; neurologische Vorerkrankung; Krebserkrankung; Frakturen oder Trauma; metabolische Störung
Funktioneller Status: Obstipation; Immobilität; Gebrechlichkeit, rezidivierende Stürze; Schmerzen; Seh-/Hörstörung
Wenig soziale Kontakte
Schlafentzug
Akute Erkrankung: Infektion (Harnwegsinfekt, Pneumonie, Sepsis); Myokardinfarkt, kardiale Dekompensation;
Obstipation; Anämie; Dehydratation
Primär neurologische Erkrankungen: Schlaganfall;
intrakranielle Blutung; Meningitis, Enzephalitis; Epilepsie
Iatrogene Komplikationen
Schmerzen
Epileptisches Ereignis, nicht-konvulsiver Status
Metabolische Entgleisung: Elektrolytentgleisung, Hypo-/
Hyperglykämie, Säure-Base-Störungen; Hypo-/Hyperthyreose, Hypo-/Hyperthyreoidismus, Addison-Krise
Medikation: Alkohol-/Benzodiazepin-Entzug,
paradoxe Wirkung von Sedativa; anticholinerge oder dopaminerge Medikation; Opiate
Chirurgischer Eingriff
Umgebungsfaktoren: Blasenkatheter; Intensivstation; Stress, Fixierung

Häufige Komorbiditäten

Von allen altersassoziierten Erkrankungen dürfte die Demenz am häufigsten als Risikofaktor für ein Delir identifiziert werden. Abgesehen davon, dass die Zeichen eines Delir und einer Demenz initial nicht sicher voneinander abzugrenzen sind und dass vor allem bei Hochbetagten Mischbilder aus Delir und Demenz häufiger sind als rein delirante Zustände, bestehen doch einige klinische Unterschiede, die im weiteren Verlauf eine Differenzierung erleichtern können (s. Tab. 3).


Tab. 3: Klinische Unterschiede zwischen Delir und Demenz

Kriterium
Delir
Demenz
Symptombeginn
akut, oft nachts
chronisch, schleichend
Symptomdauer
Stunden bis Tage bis Wochen, grundsätzlich reversibel
Monate bis Jahre, in der Regel irreversibel
Tagesverlauf
fluktuierend, mit nächtlicher Exazerbation
meist stabil
Bewusstsein
gestört (hyperalert oder lethargisch)
oft klar, wach
Sprache
inkohärent, verwaschen
verarmte Sprache, Wortfindungsstörungen, Äußerungen weitschweifig, bagatellisierend
Psychomotorik
Tremor, "nestelig" oder hypoaktiv bis kataton
meist normal
Halluzinationen
häufig
selten

Auch bei Tumorpatienten kommt es häufig zum Delir, terminal in 90% der Fälle. Nach Schmerzen und Kachexie ist das Delir das dritthäufigste Symptom bei Krebs. Ursachen sind zumeist metabolische Störungen wie Hyperkalzämie (bei Knochenmetastasen), Hypoglykämie, Dehydratation und Organversagen mit Anstieg der Retentionsparameter.

Eine ebenfalls enge Verbindung besteht im Alter zwischen Delir und Dehydratation bzw. Exsikkose. Abgesehen von mangelnder Flüssigkeitszufuhr liegt eine wesentliche Ursache hierfür in einer Diuretika-induzierten Hyponatriämie.


Test von Patienten mit Verdacht auf Delir: Confusion Assessment Method (CAM), nach [5]
Punkte
Geistiger Zustand:

  • Gibt es Hinweise für eine akute Veränderung des geistigen Zustandes und Tagesschwankungen innerhalb der qualitativen oder quantitativen Bewusstseinsstörung?
ja = 1*
Störung der Aufmerksamkeit:

  • Hat der Patient Mühe, sich zu konzentrieren? Ist er leicht ablenkbar?
ja = 1*
Denkstörungen:

  • Zeigt der Patient inkohärentes, sprunghaftes, unlogisches Denken?
ja = 1
Quantitative Bewusstseinsstörung:

  • Zeigt der Patient Zustände außer "wach", z. B. hyperalert, schläfrig, stuporös, komatös?
ja = 1
Bewertung: Die mit * bezeichneten Punkte sind für die Diagnose obligatorisch
Beurteilung: Ab 3 Punkten ist ein Delir wahrscheinlich

Störung in Transmittersystemen

Seit Langem besteht kein Zweifel, dass es sich bei der Delirentstehung um einen komplexen Vorgang handelt, der zahlreichen Einflussfaktoren unterliegt und im Detail keinesfalls sicher geklärt ist. Pathophysiologisch unterscheidet man zwischen dem Entzugsdelir (Alkohol, Benzodiazepine) und anderen Delirformen.

Regelmäßiger Alkoholkonsum beeinflusst nahezu alle Transmittersysteme des zentralen Nervensystems. Insbesondere werden Glutamatrezeptoren (N-Methyl-D-Aspartat-Rezeptoren, NMDA-Rezeptoren) gehemmt und GABAA-Rezeptoren aktiviert. Bei plötzlichem Entzug kommt es durch Wegfall der dämpfenden Alkoholwirkung zum Überwiegen exzitatorischer Mechanismen, die sich dann etwa in der psychomotorischen Hyperaktivität äußern. Ebenso geht mit der zerebralen Enthemmung eine Verstärkung der dopaminergen und noradrenergen Übertragung einher. Sowohl Halluzinationen als auch Symptome mit ausgeprägter Sympathikusaktivierung können auf diese Störung zurückgeführt werden.

Auch im Benzodiazepin-Entzug entfällt die notwendige GABA-erge Inhibition, wodurch dann der akute Verwirrtheitszustand ausgelöst wird.

Bei Delirien, die nicht als Folge eines Substanzentzugs auftreten, scheint als gemeinsame Endstrecke neben einer dopaminergen Überaktivität vor allem ein cholinerges Defizit wirksam zu sein. Die Bedeutung anderer Neurotransmitter wie Serotonin oder Noradrenalin ist hier derzeit noch nicht klar.

Zur Beantwortung der Frage, warum es überhaupt zu den genannten Veränderungen der neuronalen Transmission kommt, sind drei Hypothesen in der Diskussion:

  • Direkte Substanzwirkung: In erster Linie sind hier anticholinerge und dopaminerge Substanzen gemeint. Aber auch metabolische Störungen wie eine Hypoglykämie oder Hypoxie führen zu einer direkten Beeinträchtigung der Transmittersynthese bzw. -freisetzung, vor allem zu einer reduzierten Bildung von Acetylcholin. Bei Patienten mit Mammakarzinom zum Beispiel kann auch eine Hyperkalzämie die Ursache eines Delirs sein.

  • Inflammation: Im Rahmen einer systemischen Entzündungsreaktion – bei Trauma, Infektion oder chirurgischem Eingriff – werden verstärkt Zytokine produziert wie Interleukin-1 oder TNF‑α. Diese können durch Aktivierung der Mikrogliazellen auch im Gehirn einen Entzündungsprozess auslösen. Weiterhin können Zytokine auch direkt eine Störung der Synthese und Freisetzung von Neurotransmittern hervorrufen.

  • Stress: Stressfaktoren wirken über das sympathische Nervensystem mit Freisetzung von Noradrenalin und über die Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse mit vermehrter Freisetzung von Glucocorticoiden. Hierdurch kommt es ebenfalls zu einer Aktivierung von Gliazellen und damit zu einer neuronalen Schädigung.

Multimodales Konzept zu Therapie und Prävention

Beim Delir ist ein multimodales Therapiekonzept erforderlich. Primär sollte die zugrunde liegende Ursache behandelt werden. Hierzu zählen zum Beispiel der Ausgleich eines Flüssigkeits- oder Elektrolytdefizites, die Optimierung der Schmerztherapie, eine gezielte Antibiotikagabe, der Wechsel des Blasenkatheters und nicht zuletzt das Absetzen von Medikamenten, die die Ausbildung deliranter Symptome begünstigen können (s. Textkasten "Delirgefahr!").


Delirgefahr!


Arzneistoffe, die das Entstehen eines Delirs fördern können:

Analgetika, Antibiotika, Antiarrhythmika, Anticholinergika, Antidepressiva, Antiepileptika, Antihistaminika, Benzodiazepine, Betablocker, Calciumantagonisten, Corticosteroide, herzwirksame Glykoside, Diuretika, H2-Blocker, Lithium, Neuroleptika, Parkinson-Medikamente, Theophyllin


An zweiter Stelle stehen nichtpharmakotherapeutische Maßnahmen, die auch in der Delirprävention einen hohen Stellenwert haben (Tab. 4). Etwa 30 bis 40% aller Delirien können nichtmedikamentös behandelt bzw. vermieden werden, wenn die Risikofaktoren gezielt "ins Visier" genommen werden. Allerdings beschreibt eine aktuelle amerikanische Veröffentlichung anhand von 19 Studien, dass eine statistisch signifikante Delirprävention nur für Krankenhäuser nachgewiesen werden konnte, nicht jedoch für Palliativeinrichtungen und Langzeitpflegeheime. Außerdem schien die Effizienz der Strategie auf der Gesamtheit der durchgeführten Maßnahmen zu beruhen, weniger auf einzelnen Komponenten. In diesem Zusammenhang wird auch die Notwendigkeit einer interdisziplinären Zuständigkeit explizit betont.


Tab. 4: Nichtpharmakotherapeutische Maßnahmen zur Prävention von akuten Verwirrtheitszuständen

Regelmäßiger Tagesablauf
  • Festen Tag- und Nachtrhythmus einhalten, insbesondere fixe Essenszeiten
  • Frühmobilisation, regelmäßige Krankengymnastik
Orientierung fördern
  • Auf Station Orientierungshilfen wie große Uhr mit Datumsanzeige, gute Beleuchtungsverhältnisse
  • Vertraute Gegenstände und Fotos von Angehörigen auf dem Nachttisch
  • Falls vorhanden mit Brille und Hörgerät versorgen
  • Nach Möglichkeit Raum- und häufigen Personalwechsel vermeiden
  • Angehörige und Patient zusammenbringen
Kommunikationsregeln
  • Stets Augenkontakt halten
  • In klaren und einfachen Sätze sprechen, einer beginnenden Verwirrung nicht mit Logik begegnen
  • Direktes und vor allem "strenges" Fordern vermeiden
  • Aggressives Verhalten nicht persönlich nehmen
Reizüberflutung vermeiden
  • Lärmeinwirkung drosseln (Radio, TV, Alarm von Überwachungsgeräten)
  • Tagsüber Besucherfrequenz regeln
  • Nachts Pflegeverrichtungen minimieren
Pflege
  • Ausreichende Flüssigkeitszufuhr und Ernährung
  • Evtl. schmerzhafte venöse Zugänge oder Blasenkatheter ziehen oder neu anlegen

Medikamentöse Sedierung so kurz wie möglich

Die medikamentöse Therapie unterscheidet sich je nach Ursache des Delirs. Beim Alkoholentzugsdelir werden bevorzugt Medikamente, die das GABA-erge System stimulieren, eingesetzt. Mittel der Wahl ist nach wie vor Clomethiazol. Zwar sollte die Dosierung symptomorientiert erfolgen, aber nicht mehr als 24 Kapseln betragen (192 mg/Kapsel, initial 2 – 4 Kapseln, bei Bedarf alle 2 h weitere 2 Kapseln). Benzodiazepine können niedrigdosiert gegeben werden, beispielsweise Diazepam (5 – 10 mg), Midazolam (1– 5 mg) oder Lorazepam (0,5 – 1 mg). Da diese Substanzen selbst ein Delir und auch paradoxe Reaktionen auslösen können, ist hier Vorsicht geboten.

Die Behandlung der anderen, meist hyperaktiven Delirformen erfolgt in der Regel mit Neuroleptika. Die bis heute größte Evidenz weist hier sicher Haloperidol auf – üblicherweise in Dosen von 1 mg alle zwei bis vier Stunden, bei Bedarf bis zu einer Tagesdosis von 25 mg appliziert. Allerdings muss dann mit ausgeprägten extrapyramidalen Nebenwirkungen gerechnet werden. Nach Ansicht verschiedener Experten dient Haloperidol in erster Linie der effizienten Kontrolle psychotischer Symptome wie Angst machenden Halluzinationen, vermag aber beim psychomotorisch besonders unruhigen Patienten im normalen Dosisbereich keine sichere "Ruhigstellung" zu bewirken. Zur pharmakologischen Sedierung scheinen sich eher atypische Neuroleptika zu eignen, für neuere Substanzen wie Quetiapin (25 – 50 mg/Tag), Olanzapin (2,5 – 5 mg/Tag) und Risperidon (1– 2 mg/Tag) gibt es inzwischen gute Hinweise auf eine Wirksamkeit beim Delir. Insbesondere bei der Gabe höherer Dosen und bei alten Menschen sollte jedoch hier wie auch bei Haloperidol die QT-Zeit verlängernde Wirkung und somit die Gefahr gefährlicher Herzrhythmusstörungen – Torsades des Pointes – bedacht werden. Nach Möglichkeit sollten Neuroleptika beim Delir so kurzzeitig wie möglich eingesetzt werden.


Literatur

[1] Lorenzl S, Füsgen I, Noachtar S. Verwirrtheitszustände im Alter: Diagnostik und Therapie. Dtsch Ärztebl 2012; 109(21): 391 – 400.

[2] O‘Keeffe ST. Clinical subtypes of delirium in elderly. Dement Geriatr Cogn Disord 1999; 10: 380 – 385.

[3] Singler K, Hafner M, Sieber S. Delir – Epidemiologie und Pathophysiologie. Geriatrie Journal 2010; 2: 33 – 34.

[4] Hafner M. Delir beim älteren Patienten. Der informierte Arzt 2012; 3: 35 – 37.

[5] Inouye SK, et al. Clarifying confusion: The Confusion Method, a new method for detection of delirium. Ann Intern Med 1990; 113: 941 – 948.

[6] Breil D. Irrungen und Wirrungen im Alter – eine medikamentöse Gratwanderung. Praxis 2010; 99(18):1079 – 1088.

[7] Young J, Inouye SK. Delirium in older people. Br Med J 2007; 334: 842 – 846.

[8] Singler B. Das postoperative Delir. Geriatrie Journal 2010; 2: 41 – 42.

[9] Reston JT, Schoelles KM. In-Facility Delirium Programs as a Patient Safety Strategy. Ann Intern Med 2013; 158: 375 – 380

Autor


Clemens Bilharz ist Facharzt für Anästhesie und Intensivmedizin und zusätzlich als wissenschaftlicher Fachzeitschriftenredakteur ausgebildet. Er ist als Autor und Berater für Fachverlage und Agenturen tätig.








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