Arzneimittel und Therapie

G-BA unterzieht sechs Wirkstoffgruppen der Prüfung

Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) hat beschlossen, nach welchen Kriterien er Arzneimittel des Bestandsmarkts zur Nutzenbewertung aufruft. Zugleich hat er die ersten Präparate bestimmt, deren Zusatznutzen in den nächsten Monaten unter die Lupe genommen wird. Den Anfang macht das gegen starke chronische Schmerzen eingesetzte Tapentadol (Palexia®, Grünenthal). Josef Hecken, unparteiischer Vorsitzender des G-BA und Vorsitzender des Unterausschusses Arzneimittel, zeigte sich erfreut: Man habe ein "willkürfreies" und "nicht bauchgesteuertes" Modell für den Bestandsmarktaufruf vorgelegt.

Der Gesetzgeber hat im Arzneimittelmarkt-Neuordnungsgesetz (AMNOG) nicht nur die frühe Nutzenbewertung neuer Arzneimittel eingeführt. Auch für bereits zugelassene und im Verkehr befindliche Arzneimittel kann der G-BA eine Nutzenbewertung veranlassen. Vorrangig sind dabei laut Gesetz Arzneimittel zu bewerten, "die für die Versorgung von Bedeutung sind" oder mit Arzneimitteln im Wettbewerb stehen, für die bereits ein Beschluss zur frühen Nutzenbewertung vorliegt. Schon vor einiger Zeit hatte der G-BA als erste Arzneimittelgruppe die Gliptine aufgerufen, die beide Bedingungen erfüllen: Sie sind wirtschaftlich von erheblicher Bedeutung – und mit Linagliptin haben sie jedenfalls theoretisch einen Wettbewerber mit durchlaufener früher Nutzenbewertung. Allerdings hat der Hersteller Linagliptin in Deutschland nicht auf den Markt gebracht.

Kriterien für den Bestandsmarktaufruf

Nun macht sich der G-BA an die Arzneimittel "von Bedeutung". Um diese Bedeutung zu ermitteln, hat man Prognosen angestellt: Wie werden sich Umsatz und Verordnungszahl für einen patentgeschützten Wirkstoff bis zum Ende seines Unterlagenschutzes voraussichtlich entwickeln? Dafür wurden zunächst Umsatz- und Mengenentwicklung der vergangenen zwölf Monate ermittelt – und darauf aufbauend für die Zukunft gerechnet. Für diese Prognosen stützte man sich auf typisierte Umsatz- und Verordnungsentwicklungen, die der Arzneiverordnungsreport 2012 für die Produktlebenszyklen von 188 Wirkstoffen untersucht hatte. Bei der Berechnung wurde der Umsatz als Ausdruck der wirtschaftlichen Bedeutung eines Präparats mit 80% gewichtet, die Zahl der verordneten Arzneimittelpackungen mit 20%. Da auch im Umsatz bereits eine Mengenkomponente enthalten sei, komme man auf diese Weise zu einer ausgewogenen Gewichtung beider Komponenten, erläuterte Hecken.

Aus diesen Berechnungen hat der G-BA sodann eine Rangfolge für Umsatz und Verordnungen gebildet und die Reihenfolge der Wirkstoffe festgelegt, die im Sinne der gesetzlichen Regelung für die Versorgung von Bedeutung sind. Zunächst wurde für sechs Wirkstoffgruppen unter Anwendung dieser Kriterien eine Nutzenbewertung beschlossen:

1. Tapentadol (Anwendungsgebiet: starke chronische Schmerzen),

2. Denosumab, Ranelicsäure/Distrontiumsalz, Parathyroidhormon/rekombiniert, Teriparatid (gemeinsames Anwendungsgebiet: Osteoporose),

3. Rivaroxaban, Dabigatran (gemeinsame Anwendungsgebiete: Vorhofflimmern, Prophylaxe Schlaganfall und kardioembolischer Erkrankungen, tiefe Venenthrombose),

4. Liraglutid, Exenatid (gemeinsames Anwendungsgebiet: Diabetes mellitus Typ 2),

5. Agomelatin, Duloxetin (gemeinsames Anwendungsgebiet: Depression),

6. Tocilizumab, Golimumab, Certolizumab pegol (gemeinsames Anwendungsgebiet: rheumatoide Arthritis).

Tapentadol macht den Anfang. Es ist die einzige "Gruppe" mit nur einem Wirkstoff – schlicht, weil es in diesem Indikationsgebiet keine weiteren patentgeschützten Arzneimittel gibt. Der Hersteller Grünenthal hat sein Dossier bis zum 15. Oktober 2013 vorzulegen. Die übrigen Wirkstoffgruppen folgen im Vier-Wochen-Rhythmus.

Schnelle Einsparungen Fehlanzeige

Laut Hecken haben diese sechs Gruppen bis zum Ende ihres Unterlagenschutzes ein Umsatz-Gesamtvolumen von rund fünf Milliarden Euro. Dass die jetzt noch spürbaren Einsparungen des 2013 auslaufenden erhöhten Herstellerzwangsrabatts bereits im kommenden Jahr infolge dieser Nutzenbewertungen und ihrer anschließenden Preisverhandlungen kompensiert werden könnten, hält Hecken allerdings für illusorisch. Es sei gar nicht absehbar, wie die Nutzenbewertungen ausgehen – schließlich habe man die Wirkstoffgruppen gerade nicht aus dem Bauch heraus bestimmt. Es könne sich erweisen, dass diese Präparate tatsächlich einen Zusatznutzen haben. Auch Blockbuster gibt es in der Liste nicht. Bei diesen handele es sich zumeist schon um den Therapiestandard, sodass es gar nicht möglich wäre, eine zweckmäßige Vergleichstherapie zu bestimmen.

Hecken betonte, dass der Beschluss für anstehende Bewertungen "eine nachvollziehbare und belastbare Grundlage" biete. "Pharmazeutische Unternehmen können damit nachvollziehen, ob und wann ihre Präparate einer Nutzenbewertung unterzogen werden". Die rechnerisch ermittelte Rangfolge der Wirkstoffe sorge für Transparenz und ökonomische Planungssicherheit.

Hersteller fühlen sich ausgeschlossen

Die Herstellerverbände der Pharma-Industrie BAH, BPI, Pro Generika und vfa sehen dies allerdings nicht ganz so. Sie reagierten überrascht und wenig verständig auf den G-BA-Beschluss. In einer gemeinsamen Mitteilung verweisen sie darauf, dass der G-BA ihnen einen fachlichen Dialog in Aussicht gestellt hatte: Methodik und Prozedere sollten schon im Vorfeld des konkreten Aufrufes zum Bestandsmarkt diskutiert werden. "Entgegen dieser Zusage ist die Industrie bei der Entwicklung des Konzeptes zum Bestandsmarktaufruf bislang an keiner Stelle beteiligt gewesen", klagen nun die Verbände. Das Vorgehen des G-BA stehe "im Widerspruch zu einem von Partnerschaftlichkeit und Kooperation geprägten Verständnis, das es für eine Weiterentwicklung unseres Gesundheitssystems braucht". Auch sei die Eile hinsichtlich des Bestandsmarktaufrufes nicht notwendig gewesen: Ein Monat Beratung mit den betroffenen Herstellerverbänden hätte die Bestandsmarktsbewertung nicht wesentlich verzögert, argumentieren die Verbände. Den fachlichen Dialog halten sie weiterhin für unbedingt erforderlich: "Jede neue Methodik muss sich einem Praxischeck unterziehen lassen, bevor sie in der Breite umgesetzt wird. Für diesen Austausch bietet die pharmazeutische Industrie ihre Expertise an."


ks

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