Interpharm 2013

Wirkstoffe zur Lipidsenkung, gegen Hepatitis C und Lungenkrebs

(cb). Prof. Dr. Manfred Schubert-Zsilavecz und Prof. Dr. Dieter Steinhilber stellten in ihrem Vortrag neue Arzneistoffe gegen wichtige Erkrankungen vor, die gerade zugelassen wurden bzw. deren Zulassung bevorsteht.
Prof. Dr. Manfred Schubert-Zsilavecz gab Antwort auf die Frage: Nur neu oder auch innovativ? Zumindest das Antisense-Oligonukleotid Mipomersen wurde als Sprunginnovation bezeichnet.

Von den Wirkstoffen zur Behandlung von Fettstoffwechselstörungen, die sich derzeit in der Pipeline befinden, sind PCSK9-Antikörper sowie das m-RNA-Antisense-Oligonukleotid Mipomersen, das in den USA bereits zugelassen ist, besonders vielversprechend. In der Indikation NSCLC (non-small cell lung carcinoma) steht mit dem Tyrosinkinase-Inhibitor Afatinib ein innovativer Wirkstoff kurz vor der Zulassung. Für die Behandlung der chronischen Hepatitis c werden wahrscheinlich in wenigen Jahren Interferon-freie Regime zur Verfügung stehen, erste vielversprechende Wirkstoffe befinden sich derzeit in den Phasen II und III der klinischen Prüfung.

Verhinderung des LDL-Rezeptor-Abbaus

Kardiovaskuläre Erkrankungen gehören nach wie vor zu den häufigsten Todesursachen, daher besteht noch immer ein hoher Bedarf an neuen Therapien. Wegen des engen Zusammenhanges zwischen dem kardiovaskulärem Risiko und erhöhten LDL-Cholesterol-Blutspiegeln sind Wirkstoffe zu deren Senkung von besonderem Interesse. Die bereits in der Therapie bewährten Statine senken die Cholesterol-Blutspiegel durch Blockade der HMG-CoA-Reduktase, was eine verstärkte Bildung von LDL-Rezeptoren in den Leberzellen nach sich zieht. Die LDL-Konzentrationen und das Gesamtcholesterol nehmen ab, doch gleichzeitig findet eine Gegenregulation statt, an der unter anderem das Regulationsprotein PCSK9 (Proprotein-Convertase-Subtilisin-Kexin 9) beteiligt ist. Es bindet an LDL-Rezeptoren und baut diese ab, was die LDL-Konzentration im Blut wieder ansteigen lässt. PCSK9-Antikörper bieten einen innovativen Ansatz, dem entgegenzuwirken.

Starker additiver Effekt zu Statinen

Zu den PCSK9-Antikörpern, die derzeit klinisch untersucht werden, zählt der humane monoklonale Antikörper SAR236553/REGN727. Er wird 14-tägig subkutan verabreicht. In einer Phase-II-Studie mit Patienten mit erhöhten LDL-Cholesterolspiegeln wurde bei denen, die den Antikörper zusätzlich zu 80 mg Atorvastatin erhielten, eine LDL-Cholesterol-Senkung um 73% beobachtet, im Vergleich zu 17% unter Atorvastatin 80 mg allein (p < 0,001). Zusätzlich kam es zu einer leichten Erhöhung des HDL-Cholesterols. Der Antikörper war gut verträglich, ernsthafte Nebenwirkungen wurden nicht berichtet. Zurzeit sind noch keine Aussagen zur Auswirkung der Antikörpertherapie auf kardiovaskuläre Endpunkte möglich, dazu wären langfristig angelegte Studien mit großen Patientenzahlen notwendig.

Prof. Dr. Dieter Steinhilber zeigte mit dem Regulationsprotein PCSK9 einen interessanten Ansatz, erhöhte LDL-Cholesterol-Blutspiegel zu senken.

Mipomersen bei familiärer Hypercholesterolämie

Damit Cholesterol im Blut transportiert werden kann, muss es an Trägerproteine wie beispielsweise Apolipoprotein B gebunden werden. Die mRNA dieses Protein ist das Target für Mipomersen, ein AntisenseOligonukleotid der zweiten Generation, das einmal wöchentlich subkutan verabreicht wird. Der Komplex aus Mipomersen und der Apolipoprotein-B-100-mRNA wird durch die RNAse H abgebaut. Steht weniger Apolipoprotein B 100 zur Verfügung, gelangt entsprechend weniger Cholesterol aus der Leber in den Blutkreislauf, die Cholesterol-Konzentration in der Peripherie sinkt. Mipomersen wurde im Januar dieses Jahres von der amerikanischen Zulassungsbehörde FDA für Patienten mit familiärer Hypercholesterolämie als Orphan Drug zugelassen (Handelsname Kynamro®). Die europäische Zulassungsbehörde EMA dagegen hat das Nutzen-Risiko-Verhältnis des Antisense-Oligonukleotids als ungünstig bewertet, daher wurde für den europäischen Markt zunächst keine Zulassung empfohlen.

Afatinib beim NSCLC

Dank effizienter Sequenzierungstechniken ist es heute möglich, die Gene von Tumorzellen innerhalb kürzester Zeit zu analysieren und damit herauszufinden, welche "Treibermutationen" für die Entwicklung bestimmter Tumoren verantwortlich sind. Beim nichtkleinzelligen Lungenkarzinom (NSCLC), der häufigsten Lungenkrebsart, hat man auf diese Weise herausgefunden, dass die Gene bestimmter epidermaler Wachstumsfaktor-Rezeptoren (epidermal growth facor receptor, EGFR) aufgrund von Mutationen überaktiviert sind. So führt beispielsweise die häufige L858R-Mutation zu einem "Anschalten" des Rezeptors, die Lungenkrebszellen wachsen daraufhin unkontrolliert und unabhängig von der Umgebung. Tyrosinkinaseinhibitoren (TKI), die diese Rezeptoren blockieren, stellen daher eine Therapieoption beim NSCLC dar. Patienten, die zunächst gut auf eine zielgerichtete Therapie mit reversiblen EGFR-TKI (z. B. Erlotinib) ansprechen, entwickeln jedoch häufig Resistenzen aufgrund sekundärer Mutationen. Bei Afatinib handelt es sich um den ersten irreversiblen Inhibitor der Rezeptorfamilie, der sich durch eine lange Halbswertszeit und eine hohe Bioverfügbarkeit (ca. 90%) auszeichnet. In den Phase-III-Studien zeigte sich ein signifikant verlängertes progressionsfreies Überleben. Im September vergangenen Jahres wurde die Zulassung für die Indikation NSCLC bei Patienten mit positivem EGFR-Mutationsstatus beantragt (vorgesehener Handelsname Tomtovok®).

Wandel in der Hepatitis-C-Therapie

Mit etwa 150 Millionen Infizierten weltweit und jährlich zwischen 5000 und 6000 Neuinfektionen in Deutschland ist die Hepatitis C noch immer eine bedrohliche Infektionskrankheit und zählt zu den Hauptursachen von Leberzirrhose und Leberkrebs. Bei dem in Europa am meisten verbreiteten HCV-Genotyp 1 liegt die Heilungschance mit einer Kombinationstherapie aus Ribavirin und pegyliertem Interferon zwischen 40 und 50%. Auf der Basis des besseren molekularen Verständnisses der Hepatitis-C-Viren wurden analog zu HIV-Therapeutika virale Protease-Inhibitoren entwickelt, die den Zusammenbau funktionsfähiger HC-Viruspartikel behindern. 2011 wurden mit Boceprevir und Telaprevir zwei Inhibitoren der NS3/4A-Protease in die Therapie eingeführt, die höhere Heilungsraten (bis zu 75%) erwarten lassen. Bereits kurz nach der Markteinführung wurden die Leitlinien zur Behandlung der chronischen Hepatitis C-Infektion aktualisiert, sodass heute die Tripeltherapie (pegyliertes Interferon, Ribavirin und Telaprevir bzw. Boceprevir) die neue Standardtherapie für Patienten mit HCV-Genotyp I darstellt. Für die Beratung in der Apotheke ist der Hinweis wichtig, dass die neuen Proteasehemmer nach genauem Einnahmeschema sowie mit einer fettreichen Mahlzeit eingenommen werden müssen, um die Bioverfügbarkeit zu gewährleisten. Für die Zukunft wird erwartet, dass die Hepatitis-C-Therapie komplett interferonfrei gestaltet werden kann. Zahlreiche viel versprechende Substanzen befinden sich derzeit in Phase II bzw. III der klinischen Prüfung (siehe Tabelle). Beispielsweise der NS5A-Polymerase-Hemmer Daclatasvir und der NS3-Polymerasehemmer Asunaprevir, deren Kombination – ohne Zusatz von pegyliertem Interferon und Ribavirin – in einer kürzlich veröffentlichten Phase-II-Studie zu einer dramatischen Senkung der Viruslast führte.

DAAs (direct antiviral agents) in klinischer Entwicklung bei Hepatitis C

Phase II
Phase III
Zulassung 2011
NS3/4A-Protease-Inhibitoren
Danoprevir
Simeprevir
Boceprevir (Victrelis®)
Sovaprevir
Faldaprevir
Telaprevir (Incivo®)
Vaniprevir
Asunaprevir
NS5B-Protease-Inhibitoren
Mericitabin
Sofosbuvir
Setrobuvir
BI207127
NS5A-Inhibitoren
ABT-267
Daclatasvir
[Quelle: Vortrag Prof. Steinhilber/Prof. Schubert-Zsilavecz]



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"Interpharm 2013 – Eine Patienten-orientierte Interpharm"



DAZ 2013, Nr. 13, S. 70

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