Arzneimittel und Therapie

Erste Head-to-Head-Studie zu kardiovaskulärem Risiko

Die randomisierte italienische Studie TOSCA.IT soll prüfen, welche Auswirkungen die Zugabe von Pioglitazon oder einem Sulfonylharnstoff zu einer Metformin-Behandlung auf das kardiovaskuläre Risiko von Typ-2-Diabetikern besitzt. Es wird der erste Head-to-Head-Vergleich mit harten Endpunkten sein, dessen Ergebnisse nach Ansicht von Experten auch die Diabetestherapie in Deutschland verändern könnten.

Alle in der Studie zu prüfenden Wirkstoffe finden in der Therapie des Typ-2-Diabetes breite Anwendung. Das Biguanid Metformin (z. B. Glucophage®) ist in der Erst-Linien-Therapie – in Kombination mit nicht-pharmakologischen Maßnahmen wie Schulung, Ernährungstherapie und Steigerung der körperlichen Aktivität – zurzeit der bevorzugte Wirkstoff. Das Thiazolidindion (Glitazon) Pioglitazon kann als Monotherapie (Actos®) verordnet werden, wenn Metformin nicht vertragen wird oder kontraindiziert ist. Es wird zusätzlich zu Metformin (z. B. als Competact®) eingesetzt, wenn mit Metformin allein keine ausreichende Blutzuckerkontrolle möglich ist.

Auch Sulfonylharnstoffe können als Monotherapie bei Typ-2-Diabetikern angewendet werden. Zurzeit sind Glibenclamid (z. B. Maninil®), Glimepirid (z. B. Glimepirid AL®), Gliquidon (Glurenorm®) und Gliclazid (Diamicron® uno) verfügbar. Bei unzureichender Blutzuckereinstellung ist eine Kombination mit anderen oralen Antidiabetika, darunter Metformin, oder mit Insulin indiziert.

Kardiovaskuläre Risiken unklar

Auch Diabetes-Leitlinien anderer Länder geben Metformin bei guter Verträglichkeit in der Erst-Linien-Therapie den Vorzug. Uneinigkeit herrscht dagegen bei der Frage, welches die beste therapeutische Option ist, wenn der Wirkstoff den Blutzucker nicht ausreichend kontrolliert. Insbesondere mögliche kardiovaskuläre Risiken der potenziellen Kombinationspartner geraten dabei immer wieder in den Fokus der Diskussionen.

So zeigte beispielsweise eine Reihe von Beobachtungsstudien eine erhöhte Gesamt- und kardiovaskuläre Mortalität bei Sulfonylharnstoff- versus Metformin-Monotherapie. Als mögliche Ursache wird diskutiert, dass Sulfonylharnstoffe nicht nur an ATP-abhängige Kaliumkanäle in den Betazellen des Pankreas, sondern auch an solche in Herzmuskelzellen binden. Wie die Deutsche Diabetes Gesellschaft in einer aktuellen Pressemeldung mitteilte, ereigneten sich in einer kürzlich veröffentlichten US-amerikanischen Studie unter der Therapie mit Glibenclamid und Glipizid (in Deutschland nicht zugelassen) 21% mehr Todesfälle oder Krankenhausbehandlungen wegen Herzinfarkt oder Schlaganfall als unter Metformin. Andere Studien dagegen konnten keine Hinweise auf Risiken von Sulfonylharnstoffen für das kardiovaskuläre Outcome finden oder berichteten sogar über eine Risikoverminderung bei bestimmten kardiovaskulären Endpunkten. Auch das Nutzen-Risiko-Verhältnis der Kombinationstherapie eines Sulfonylharnstoffs mit Metformin bezüglich der kardiovaskulären Endpunkte ist noch unklar.

Pioglitazon scheint Untersuchungen zufolge einen gewissen kardioprotektiven Effekt zu besitzen. So verbesserten sich unter der Behandlung mit dem Glitazon beispielsweise das Lipidprofil und der Blutdruck der Patienten, die Intima-media-Dicke verringerte sich. Andererseits erhöhte sich unter Pioglitazon das Risiko für eine Herzinsuffizienz, da sich infolge Ödembildung die Vorlast des Herzens erhöhte.

Studie soll Klarheit bringen

In der Studie TOSCA.IT (The Thiazolidinediones Or Sulphonylureas and Cardiovascular Accidents Intervention Trial) soll geprüft werden, welche Auswirkungen die Zugabe von Pioglitazon oder einem Sulfonylharnstoff zu einer Metformin-Behandlung auf das kardiovaskuläre Risiko der Typ-2-Diabetiker hat. Es handelt sich um eine auf 48 Monate angelegte multizentrische, randomisierte, Open-label-Parallelgruppenstudie mit mehr als 3300 Patienten. Eingeschlossen werden männliche und weibliche Typ-2-Diabetiker zwischen 50 und 75 Jahren mit mindestens zwei Jahren Erkrankungsdauer und einem BMI zwischen 20 und 45 kg/m2. Sie sollten zu Studienbeginn mindestens zwei Monate auf eine Metformin-Monotherapie mit 2 g/d eingestellt sein, ihr HbA1c sollte zwischen sieben und neun Prozent liegen.

Die Studienteilnehmer werden randomisiert auf eine zusätzliche Gabe von Pioglitazon (15 mg/d) oder einem Sulfonylharnstoff (Glibenclamid 5 mg/d oder Gliclazid 30 mg/d oder Glimepirid 2 mg/d). Follow-ups sind einen, drei und sechs Monate nach Randomisierung und von da an halbjährlich geplant.

Der primäre Studienendpunkt setzt sich zusammen aus Mortalität jeglicher Ursache, nichttödlichem Myokardinfarkt, nichttödlichem Schlaganfall sowie ungeplanter Revaskularisierung. Zu den sekundären Endpunkten zählen beispielsweise ein kombinierter ischämischer Endpunkt, Herzversagen jeglicher Ursache, Amputationen, verschiedene Risikofaktoren wie die Blutzuckerkontrolle und das Lipidprofil. Darüber hinaus sollen Nebenwirkungen, die Lebensqualität und die Behandlungskosten evaluiert werden. Mit dem Abschluss der Rekrutierungsphase wird im Juni 2013 gerechnet.


Quelle

Vaccaro O, et al. Addition of either pioglitazone or a sulfonylurea in type 2 diabetic patients inadequately controlled with metformin alone: impact on cardiovascular events. Nutr Metab Cardiovasc Dis (2012), 11: 997 -1006. doi: 10.1016/j.numecd.2012.09.003.

Therapie des Typ-2-Diabetes: Sulfonylharnstoffe erhöhen das Risiko für Herzinfarkt und Schlaganfall – Diabetestherapie sollte mit Metformin starten. Mitteilung der Deutschen Diabetes Gesellschaft vom 16. Januar 2013, www.deutsche-diabetes-gesellschaft.de

Matthaei S, et al. Medikamentöse antihyperglykämische Therapie des Diabetes mellitus Typ 2. Update der Evidenzbasierten Leitlinie der Deutschen Diabetes-Gesellschaft. Diabetologie 2009; 4: 32 – 64.


Apothekerin Dr. Claudia Bruhn


Prof. Dr. med. Andreas Fritsche

Kommentar

Studie kann Streit um Sulfonylharnstoff-Stellenwert klären


Ich halte diese Studie für wichtig, gerade auch für die Therapie des Typ-2-Diabetes in Deutschland. Denn in den Disease-Management-Programmen (DMP) werden für diese Patienten immer noch Sulfonylharnstoffe empfohlen, sogar als Monotherapie – obwohl sich die Hinweise häufen, dass sie zu mehr Todesfällen und kardiovaskulären Ereignissen führen. Zudem kommt es bei niereninsuffizienten Patienten zur Akkumulation, die Dosis muss daher reduziert werden. Sulfonylharnstoffe können schwere, tödlich verlaufende Hypoglykämien hervorrufen. Meiner Ansicht nach sind sie heute nur noch in Ausnahmefällen indiziert. Da sie aber sehr preiswert sind, werden sie von den Kostenträgern als Therapie der 1. Wahl empfohlen. Auch bei der Erstellung der neuen Nationalen Versorgungsleitlinie zum Typ-2-Diabetes gab es kontroverse Diskussionen. Die Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM) vertritt den Standpunkt, dass Sulfonylharnstoffe bevorzugt zum Einsatz kommen sollen, wenn Metformin nicht ausreichend wirkt. Die Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG) warnt jedoch davor.

Die PROACTIVE-Studie hat ja beispielsweise beim zusammengesetzten Endpunkt aus Mortalität jeglicher Ursache, nicht-tödlichem Herzinfarkt und Schlaganfall einen signifikanten Vorteil für Pioglitazon im Vergleich zu Placebo gezeigt, wenn es bei Typ-2-Diabetikern einer blutzuckersenkenden Therapie zugesetzt wurde. Doch auch die Anwendung von Pioglitazon kann zu Problemen führen, wie eine Metaanalyse gezeigt hat. Je höher dieser Wirkstoff dosiert und je länger er angewendet wird, umso höher ist das Blasenkrebsrisiko. Deswegen wurde Pioglitazon ja in Frankreich vom Markt genommen. Die Studie wird daher viele wichtige Erkenntnisse bringen, wir sind auf ihre Ergebnisse gespannt. Ich vermute stark, dass die Sulfonylharnstoffe darin negativ abschneiden werden.


Prof. Dr. med. Andreas Fritsche,Pressesprecher der Deutschen Diabetes Gesellschaft, Institut für Diabetesforschung und Metabolische Erkrankungen am Universitätsklinikum Tübingen, Otfried Müller Straße 10, 72076 Tübingen



DAZ 2013, Nr. 12, S. 62

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