DAZ aktuell

Gefälschte Kapseln in Apotheken aufgetaucht

Packungen zurückgerufen – keine Gesundheitsgefahr

STUTTGART (du/wes). Wahrscheinlich erinnern sich nur sehr wenige Apotheker an den Rückruf von Omeprazol-ratiopharm NT 20 mg 100 Stück mit der Chargenbezeichnung E 008 von Mitte Januar diesen Jahres wegen fehlerhafter Angaben im Beipackzettel. Genauso wie an den vorsorglichen Rückruf von Omeprazol-ratiopharm NT 40 mg 100 Stück magensaftresistente Hartkapseln mit der Chargenbezeichnung E 018 wegen "möglicherweise geringfügiger Gehaltsabweichungen von der Spezifikation" am 21. Februar 2013.
Die Staatsanwaltschaft ermittelt "gegen Unbekannt", weil "gefälschtes Omeprazol" von Ratiopharm über Großhändler in Apotheken gelangt sein soll.
Foto: DAZ/Sket

Die Apotheken haben ihre Bestände kontrolliert, bei Vorhandensein von Packungen der betroffenen Chargen die Produkte zurückgeschickt und sich weiter nichts dabei gedacht. Dass das bei dem Rückruf von Omeprazol-ratiopharm NT 20 mg mit der Chargenbezeichnung G003, der diese Woche veröffentlicht wurde, ebenso sein wird, ist dagegen eher unwahrscheinlich.

Staatsanwaltschaft ermittelt

Denn in der Zwischenzeit wurde bekannt, dass die Staatsanwaltschaft Stuttgart gegen Unbekannt ermittelt, weil "gefälschtes Omeprazol" von Ratiopharm über Großhändler in Apotheken gelangt ist. Niederlassungen verschiedener Pharmagroßhandlungen wurden durchsucht, unter anderem mehrere Niederlassungen des Stuttgarter Großhändlers Gehe.

Chargen zurückgerufen

Die drei betroffenen Chargen wurden zurückgerufen, Ratiopharm und die Staatsanwaltschaft Stuttgart betonen unisono, dass zu keiner Zeit eine Gefahr für die Patienten bestanden habe, weil die Fälschungen "von mit dem Original vergleichbarer und sehr guter industrieller Qualität" gewesen sein sollen, wie es von Ratiopharm heißt. Ein Unternehmenssprecher bestätigte, dass der Wirkstoffgehalt der gefälschten Kapseln dem Original entspricht. Die Rückrufe durch Ratiopharm erfolgten eigenverantwortlich, ohne dass eine Gefährdung der Bevölkerung vorlag.

Viele offene Fragen

Noch unklar ist, welche Ausmaße der Fall hat und ob weitere Chargen betroffen sind. Auch die Frage, wo die Omeprazol-Packungen herkommen und wie sie in die Vertriebskette gelangten, ist noch offen.

Gerade Generika-Hersteller nutzen für die Herstellung ihrer Produkte in großem Ausmaß sogenannte Lohnhersteller. Diese produzieren Arzneimittel im Auftrag anderer pharmazeutischer Unternehmen. Und häufig produziert ein und derselbe Lohnhersteller Arzneimittel mit dem selben Wirkstoff für verschiedene pharmazeutische Unternehmen. Zum Beispiel Omeprazol-Kapseln. Nach den Informationen eines Insiders einer großen deutschen Generika-Firma lassen etliche Pharmafirmen ihre Omeprazol-Kapseln beim selben Lohnhersteller in Spanien produzieren. Zu den der DAZ vorliegenden Hinweisen, dass auch die gefälschten Präparate aus diesem Betrieb kommen, wollten weder Ratiopharm noch die Staatsanwaltschaft Stellung nehmen.

Bulk-Ware in nachgemachte Packungen verpackt

Nach Recherchen der DAZ sollen Omeprazol-Kapseln als lose Bulk-Ware an einen dritten Betrieb geliefert worden sein. Dort sollen die Kapseln in nachgemachte entsprechend etikettierte Kunststoffbehältnisse und Umkartons verpackt und mit gefälschten Beipackzetteln versehen worden sein und als "Omeprazol-ratiopharm NT magensaftresistente Hartkapseln" über den Großhandel in die Apotheken gelangt sein.

Fehlerhafter Beipackzettel

Der Beipackzettel brachte den Stein ins Rollen. Einer Apotheke war aufgefallen, dass er fehlerhaft war; daraufhin wandte sie sich an Ratiopharm. Da die Beipackzettel der Rückstellmuster des Ulmer Unternehmens fehlerfrei waren, keimte der Verdacht der Fälschung auf. Polizei und Staatsanwaltschaft wurden eingeschaltet und die entsprechenden Chargen am 17. Januar, 21. Februar und in dieser Woche zurückgerufen. Die zurückgesandten Packungen werden den Apotheken vollständig ersetzt.

Nach Auskunft der Staatsanwaltschaft Stuttgart sind bisher nur die genannten Chargen der Firma Ratiopharm betroffen. Gegen die Stuttgarter Großhandlung Gehe werde nicht ermittelt, weitere Auskünfte wollte die Staatsanwaltschaft aus Rücksicht auf die noch laufenden Ermittlungen der Polizei nicht geben.

Ob weitere Firmen und weitere Wirkstoffe betroffen sind, bleibt abzuwarten.


Dr. Doris Uhl

Kommentar

Ein beunruhigendes Gefühl


Medikamente zu fälschen ist ein lukratives Geschäft und in Entwicklungs- und Drittländern wie China schon lange ein großes Problem. Jetzt scheinen erstmals mit Omeprazol-ratiopharm-Kapseln in beachtenswertem Ausmaß Fälschungen in unsere Apotheken gelangt zu sein. Zwar soll zu keiner Zeit eine Gefahr für die Patienten bestanden haben, weil die "Fälschungen" von mit dem Original vergleichbarer und sehr guter industrieller Qualität gewesen sein sollen, doch diese Aussage beruhigt nicht wirklich.

Denn wie kann so etwas überhaupt passieren, wo doch ständig beteuert wird, dass die Vertriebswege bei uns sicher sind, dass Arzneimittelfälschungen für die öffentliche Apotheke kein Problem sind?

Wir alle wissen, dass gerade Generikafirmen für die Herstellung ihrer Produkte Lohnhersteller in Anspruch nehmen und es ist ein offenes Geheimnis, dass oftmals der gleiche Lohnhersteller gleich für mehrere Firmen produziert.

Und hier beginnt wohl die Geschichte des gefälschten Omeprazols. So wie sich die Situation im Moment darstellt, werden Omeprazol-Kapseln für nahezu alle Generika-Hersteller von einem Lohnhersteller in Spanien produziert. Er scheint für einen Dritten die Ratiopharm-Kapseln hergestellt und als Bulk geliefert zu haben. Dieser Dritte hat dann die gefälschte Verpackung organisiert und die Ware – über Großhändler – in den Markt eingeschleust.

Fieberhaft wird jetzt nach den Verantwortlichen gesucht und es ist eine der spannendsten Fragen, über welche Wege die gefälschte Ware zum Großhandel gelangt ist.

Was aber jetzt schon klar wird: Durch Rabattverträge und Kostendruck sind oligopolartige Strukturen in der Herstellung und Verpackung entstanden, die dem Einschleusen solcher kaum zu erkennenden Fälschungen Tür und Tor öffnen. Besonders zynisch wird es, wenn man sich vor diesem Hintergrund die Erklärung der AOK und des Wissenschaftlichen Instituts der Ortskrankenkassen vom 7. März diesen Jahres anschaut: Hier werden die Rabattverträge als ein effektives Instrument gegen Oligopole und zur Förderung einer wettbewerbsorientierten Marktstruktur gepriesen. Und als Beispiel wird Omeprazol aufgeführt, für das es im Jahr 2006 noch 25 Anbieter, im Jahr 2012 bereits 37 Anbieter gab. Keine Rede davon, dass alles mehr oder weniger aus einem Topf stammt.

Bislang wissen wir nur, dass einwandfreie Ware in den Handel gelangt ist und nicht Kapseln, die ohne oder mit zu wenig Wirkstoff oder gar gefährdenden Wirkstoffen in irgendeiner Waschküche hergestellt worden sind. Anhaltspunkte für eine Patientengefährdung haben wir nicht. Doch können wir wirklich sicher sein? Was wir nicht wissen ist, seit wann die gefälschten Omeprazol-Kapseln in deutsche Apotheken geschleust worden sind. Wir wissen auch nicht, ob nur der Hersteller Ratiopharm der Geschädigte ist oder weitere Firmen betroffen sind und wir wissen auch nicht, ob andere Arzneimittel mit anderen Wirkstoffen oder ohne Wirkstoffe über solche Wege in unsere Apotheken gelangt und an Patienten abgegeben worden sind. Ausschließen lässt sich das nach allem, was bislang durchgesickert ist, nicht. Ein beunruhigendes Gefühl!


Dr. Doris Uhl, Chefredakteurin der DAZ



DAZ 2013, Nr. 11, S. 14

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