Fortbildungskongress

Sollen wir länger arbeiten? Wollen wir länger arbeiten?

Von der demografischen Bedrohung zur Chance

Der demografische Wandel wird überwiegend als Bedrohung gesehen. "Zusammenbruch der Sozialsysteme" als Zukunftsaussicht, die Diskussion über unser Gesundheitssystem wird meist unter dem Gesichtspunkt "Kostenfaktor" geführt. Doch Prof. Dr. Axel Börsch-Supan vom Max-Planck-Institut für Sozialrecht und Sozialpolitik, München, stellt eine Gegenhypothese auf: Gesunde gewonnene Jahre sind eine Ressource, die eine höhere Erwerbstätigkeit ohne größere Einbußen an Lebensqualität ermöglicht.

Diese höhere Erwerbstätigkeit kann das Bedrohungspotenzial des demografischen Wandels zu einem großen Teil abfangen, da ist sich Börsch-Supan sicher. Und er räumte auch mit vielen Vorurteilen auf:

  • Ältere Menschen sind physisch oder mental krank.
  • Ältere Menschen sind unproduktiv und ineffizient.
  • Ältere Menschen sind unmoralisch, sie nehmen Jüngeren die Jobs weg.
  • Ältere Menschen wollen ihre Freizeit genießen.
Prof. Dr. Axel Börsch-Supan Foto: DAZ/ck

Wie gut ist der Gesundheitszustand zwischen 60 und 69 wirklich? Befragt, wie sie ihren Gesundheitszustand subjektiv einschätzen, antworteten über 80%, sie fühlen sich gut oder sehr gut, auch wenn die Prozentzahl leicht mit den Jahren sinkt. Es zeigte sich, dass es eine große interindividuelle Streuung gibt, größer als die zwischen den verschiedenen Jahrgängen. Es gebe durchaus Menschen, die nicht weiter arbeiten können, betonte Börsch-Supan, aber das gelte nicht für alle. Viele sind bei guter Gesundheit. Interessant sei zudem ein internationaler Vergleich des subjektiv und objektiv bewerteten Gesundheitszustands: Hier ergab die Befragung, dass es den Deutschen im Vergleich mit den Aussagen europäischer Nachbarn gefühlt schlecht geht. Doch vergleicht man als objektives Maß die gemessene Greifkraft der Hand, so schneiden die Deutschen im europäischen Vergleich am besten ab! Auch den Mythos, dass ältere Menschen weniger produktiv sind, widerlegte Börsch-Supan: es gebe in Studien keine Evidenz dafür. Zwar nehme die psychische und kognitive Leistungsfähigkeit ab – das passiert aber auch schon in den jungen Jahren – , aber dafür nimmt die Erfahrungsleistung um ein Vielfaches zu. Studien in altersgemischten Arbeitsgruppen, in denen bei Daimler unter standardisierten Produktions- und Zeitabläufen gearbeitet wurde und die Fehlerquote ein Maß für die Produktivität war, zeigten deutlich, dass Ältere mehr kleinere Fehler machen, aber seltener Katastrophen auslösten. Die schwerwiegenden Fehler machten die Jüngeren, vor allem am Montag und am Freitag!

Nehmen ältere Menschen den Jüngeren die Arbeitsplätze weg? Nein! Denn eine Frühverrentung erhöht die Arbeitskosten und verringert dadurch sogar noch die Jobchancen für junge Menschen.

Führt eine längere Berufstätigkeit nicht zu schmerzhaften Einbußen an Lebensqualität? Da sei die Antwort nicht so klar. Vor allem aber führt die Rente mit 67 zu einem Jahr längeren Rentenbezug. Subjektiv sinkt die Lebensqualität nach anfänglichem Hoch, so das Ergebnis einer Umfrage. Viele fühlen sich aber bald einsam. Die Arbeit mit ihrer – für viele sehr wichtigen – Funktion als ein "sozialer Anker" muss gegenüber der befreienden Möglichkeit gestellt werden, sich ein neues "arbeitsloses" Leben zu schaffen. Viele nehmen sich vor, nach der Rente endlich "was zu machen", doch nur ein Sechstel ergreift wirklich ein Ehrenamt, fängt ein neues Hobby an oder kümmert sich mehr um die Familie: die meiste Zeit werde mit Fernsehen verbracht.

Das Fazit von Börsch-Supan: Die gewonnenen Jahre sind Ressource und Grund für Optimismus. Aber nicht automatisch, es gibt noch viel zu tun! Dazu zählte Börsch-Supan

  • eine Rentenpolitik, die Renteneintrittsalter dynamisiert und Zu- und Abschläge anpasst;

  • eine Gesundheitspolitik als Arbeitsmarkt- und Wachstumspolitik sowie

  • begleitende Maßnahmen wie Weiterbildung und Arbeitsplatzgestaltung, Antidiskriminierung und Prävention – für die gewonnenen Jahre!

Börsch-Supan zeigte mit einer Proportionalitätsregel einen plausiblen Ausweg auf. Es sollte kein festes Rentenalter vorgegeben werden, sondern die Zeit, die mit Ausbildung, Arbeit und Rente verbracht wird, sollte sich proportional zur Lebenserwartung ändern. Denn ist die Lebenserwartung seit 1950 um zehn Jahre gestiegen, müssen sich die anderen Zeiträume entsprechend entwickeln. Konkret bedeutet das, zwei Jahre Arbeit mehr, ein Jahr Rente mehr. Ansonsten steht zu befürchten, dass wir im Jahr 2030 ca. sieben Millionen Erwerbstätige weniger haben, das bedeutet ca. 16% Bruttosozialprodukt weniger pro Kopf – eine harsche Einschränkung unserer Lebensqualität wäre unvermeidbar. Doch ein Blick nach Dänemark zeigt, dass es auch anders geht: Allein durch eine Kombination aus frührerem Eintritt in das Berufsleben, einer größeren Frauenerwerbstätigkeit und späterem Renteneintritt könnte sich der Rückgang kompensieren lassen. <


ck



DAZ 2012, Nr. 7, S. 82

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