DAZ aktuell

Polens Gesundheitssystem im Umbruch

Chaotischer Jahresstart für polnische Apotheken

BERLIN (as). Rund um den Jahresbeginn spielten sich in unserem Nachbarland erstaunliche Szenen ab: Schlangen vor Apotheken, unzufriedene Bürger, verärgerte Ärzte und Apotheker. Der Grund war das zum 1. Januar 2012 in Kraft getretene Gesetz zur Änderung der Erstattung von Arzneimitteln durch die staatliche Krankenkasse NFZ, dem sogenannten "Reimbursement Act". Was Anfang des Jahres noch für Aufregung sorgte, soll jetzt wieder klar geregelt sein: Eine Gesetzesnovelle, die letzte Woche in Kraft trat, schwächt das erste Reformgesetz in weiten Teilen ab. Vor allem Mediziner profitieren, Apotheker haben es weiterhin mit finanziellen Auflagen zu tun.

Das heutige polnische Gesundheitswesen basiert im Wesentlichen auf dem 1997 beschlossenen "General Health Insurance Act", der 1999 in Kraft trat. Mit der damaligen Reform wandelte sich das polnische Gesundheitswesen von einem rein staatlich finanzierten zu einem versicherungsbasierten Gesundheitssystem. Der polnische Bürger wurde als Pflichtmitglied der allgemeinen Krankenversicherung zur Finanzierung des Gesundheitssystems herangezogen. Zuerst wurden regionale Versicherungsfonds gegründet, die jedoch im Jahr 2003 von einer einzigen staatlichen allgemeinen Krankenkasse, dem National Health Fund (Narodowy Fundusz Zdrowia NFZ), abgelöst wurden. Der NFZ ist der polnischen Regierung unterstellt und wird vom Gesundheitsministerium überwacht. Als staatliche Institution wird über ihn die Sicherstellung der medizinischen Versorgung gewährleistet: Leistungserbringer wie Ärzte, Gesundheitszentren oder Fachpraxen müssen mit dem NFZ Versorgungsverträge abschließen, damit ihre Leistungen zulasten der Versicherung abgerechnet werden können. Der polnische Bürger kann dafür Behandlungen der Vertragspartner in weiten Teilen kostenlos in Anspruch nehmen.

Mit dem zu Beginn des Jahres 2012 in Kraft getretenen "Reimbursement Act" sollte nun Geld des NFZ gespart werden: Nach Schätzungen der Regierung eine Milliarde Euro pro Jahr. Damit sollten die Gesamtausgaben des NFZ für den Arzneimittelbereich von circa 20 Prozent auf bis zu 17 Prozent gedrückt werden. Die Gesetzesänderungen betrafen die Erstattung zulasten des NFZ abgegebener Arzneimittel, parenteraler Ernährung und Medizinprodukte sowie die generelle Preisbildung.

Probleme in Arztpraxen und Apotheken

In der praktischen Umsetzung gaben die gesetzlichen Änderungen Anlass zu großem Protest: Ärzte und Apotheker sollten finanziell haftbar gemacht werden, wenn sie Arzneimittel falsch zulasten des NFZ verschrieben oder abgaben. Ärzte sollten schon bei der Verschreibung die Höhe des genauen Erstattungsbeitrags auf das Rezept drucken und dazu den Versicherungsstatus ihrer Patienten überprüfen – ohne Chipkartensystem und Computerunterstützung. Viele Mediziner weigerten sich oder füllten Rezepte unzureichend aus. Das Problem verlagerte sich in die Apotheken, wo Patienten abgewiesen oder falsche Rezepte mit dem Risiko der Retaxation angenommen werden mussten. Darüber hinaus fielen nicht weniger als 847 Arzneimittel völlig aus der Erstattungsfähigkeit. Statt der bisher üblichen Festlegung eines Maximalpreises wurde Arzneimitteln ein fixer Preis durch das Gesundheitsministerium zugewiesen. Dieser sollte als offizieller Verkaufspreis in ganz Polen eingehalten werden. Promotionspreise vieler polnischer Apothekenketten sollten so unterbunden werden. Die neue Regelung hatte zur Folge, dass sich viele einkommensschwache Patienten ihre Medikamente nicht mehr leisten konnten. Trotz einer Vorlaufzeit von über einem halben Jahr bis zum Inkrafttreten des "Reimbursement Acts" wurden schon damals Bedenken laut, ob der enorme Arbeitsaufwand der Preisverhandlungen und Erstattungsregeln bis Jahresbeginn zu bewältigen sei.

Vor allem auf Sorgen der Ärzte reagiert

Die Befürchtungen bewahrheiteten sich mit dem 1. Januar 2012: Schlangen vor Apotheken, unzufriedene Bürger, verärgerte Ärzte und Apotheker. Nicht zuletzt die späte Veröffentlichung der neuen Erstattungspreise, teils nur Stunden vor dem Jahresbeginn, führte zu Chaos und Ärger bei allen Beteiligten. Die polnische Regierung reagierte rasch. Über eine Novelle des "Reimbursement Acts", die nun zum 9. Februar in Kraft trat, können sich vor allem die Ärzte freuen. Für Apotheker sind hingegen keine großen gesetzlichen Änderungen vorgesehen. Während die Mediziner wieder aus ihrer wirtschaftlichen Verantwortung entlassen wurden, können die Apotheker – nach Ablauf einer Übergangsfrist – allein für zulasten des NFZ fehlerhaft abgegebener Arzneimittel finanziell haftbar gemacht werden. Die Novelle sieht als Entgegenkommen für die Apotheker lediglich die Einführung eines Beschwerdeverfahrens gegenüber dem NFZ vor. Als weitere Erleichterung für die Ärzteschaft ist zu werten, dass die Mediziner nicht mehr verpflichtet sind, die Höhe des Erstattungsbeitrags schon bei der Verschreibung aufzudrucken (mit Ausnahmen für diejenigen Arzneimittel, die für mehr als eine Indikation zugelassen sind).

Unter öffentlichem Druck wurden wichtige Schlüsselmedikamente, wie zum Beispiel Abilify® (Aripiprazol) gegen Schizophrenie oder Valcyte® (Valganciclovir), ein Virustatikum zur Bekämpfung des Cytomegalievirus, und Cellcept® (Mycophenolsäure), das in der Transplantationsmedizin eingesetzt wird, wieder in die Liste der erstattungsfähigen Arzneimittel des NFZ aufgenommen.

Jetzt liegt es in der Hand der polnischen Apotheker, weiteren Protest zu organisieren oder sich mit der neuen Situation zu arrangieren.



DAZ 2012, Nr. 7, S. 44

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