Seite 3

Fährt der Zug ab?

Peter Ditzel

Fährt hier gerade ein Zug ab, auf den wir, die Apothekerinnen und Apotheker, nicht mehr aufspringen können? Oder lassen wir ihn, aus welchen Gründen auch immer, einfach abfahren, ohne uns intensiv darum zu bemühen, die Reise in die Zukunft mitzumachen? Es geht hier um die Arzneimittelberatung der Patienten, den ausführlichen Medikamentencheck, die intensive Beratung zur Arzneimitteltherapie.

Um im Bild zu bleiben: Im Zug sitzen bereits Krankenkassen und Ärzteorganisationen – Apothekerorganisationen sucht man vergeblich, allenfalls auf dem Wartegleis, und Apotheker selbst sind allenfalls bei den Ärzte- oder Krankenkassenorganisationen angestellt. Sind wir auf dem besten Weg, eine unserer ureigenen, zukunftsweisenden Aufgaben aus der Hand zu geben?

Zur Erinnerung hier einige Projekte und Kooperationen, bei denen Ärzte und Krankenkassen die Arzneimittelinformationen an die Patienten geben. Die Techniker Krankenkassen bietet ihren Versicherten, die mehrere Medikamente einnehmen müssen, an, sich "ausführlich und kompetent über mögliche Nebenwirkungen und Kontraindikationen" anhand des persönlichen Arzneimittelkontos beraten zu lassen. Die Versicherten werden hierfür vom TK-Ärztezentrum telefonisch beraten. Auch die Knappschaft schickt ihren Versicherten eine Gutschrift für einen Medikamenten-Check nach Hause, mit dem man seine "Medikamenteneinnahme auf Unverträglichkeiten testen" lassen kann.

Die AOK Rheinland/Hamburg und die Kassenärztliche Vereinigung (KV) Hamburg haben den "Arzneimittelbaustein" ihres Hausarztvertrages aktiviert, meldeten Kassen und KV Mitte des vergangenen Jahres. Hinter dem Arzneimittelbaustein verbirgt sich ein Arzneimittelcheck durch die Ärzte. Multimorbide Patienten, die mehrere Arzneimittel einnehmen müssen, können ihre Arzneimittelliste von ihrem Hausarzt durchforsten lassen. Ziel ist es auch hier, Nebenwirkungen aufzudecken, abzustellen und wenn möglich die Arzneimittelliste zu entschlacken, d. h., die Zahl der einzunehmenden Arzneimittel zu reduzieren. Die Patienten müssen für diesen Service der Ärzte und der Kasse am Hausarztvertrag der AOK teilnehmen. Die Ärzte werden für diese Tätigkeit mit einem, wie es hieß, "angemessenen Zuschlag" honoriert.

Jetzt gab auch die KKH Allianz bekannt, dass ihre Versicherten, vor allem chronisch Kranke, die mehrere Arzneimittel einnehmen müssen, ihre Arzneimitteltherapie durch ein Arzneimittelinformationsteam aus Ärzten und Apothekern, angesiedelt an der Medizinischen Hochschule Hannover (MMH), überprüfen lassen können (siehe hierzu unser Interview auf Seite 31). Das Informationsteam an der MMH erhält über die Krankenkasse die Diagnosen und Arzneimitteldaten von den Ärzten des Patienten und dem Patienten selbst (Selbstmedikationsarzneimittel) und überprüft die Polymedikation auf Unverträglichkeit und auf Möglichkeiten, Arzneimittel abzusetzen bzw. wegzulassen.

Das einzige Projekt, das die Apothekerseite derzeit vorweisen kann, ist das in statu nascendi befindliche ABDA-KBV-Konzept, das allerdings mit erheblichen Anlaufschwierigkeiten zu kämpfen hat. Die anfangs ausgeguckte Modellregion Westfalen-Lippe wird nicht an den Start gehen können. Die Kassenärztliche Vereinigung von Westfalen-Lippe will erst einmal selbst ein arztgestütztes Medikationsmanagement aufziehen. Allerdings, so war Berichten zu dem Modell der KV Westfalen-Lippe zu entnehmen, seien die Kassenärzte nicht bereit, Mehrleistungen ohne zusätzliche Vergütung zu erbringen! Und eine Beteiligung der Apotheker komme da nicht infrage. Sie wird mit dem Hinweis kritisiert, dass das Arzneimittelmanagement eine ärztliche Aufgabe sei, da es die Kenntnis der Indikation voraussetze.

Sollte dieses Medikationsmanagement allerdings nicht zustande kommen, so heißt es in einem Beschluss der Vertreterversammlung der KV, dann wolle man sich für die Teilnahme am Modellversuch mit den Apothekern bewerben – quasi als Notlösung. Alle Hoffnung für das ABDA-KBV-Modell stützt sich nun auf die Länder Thüringen, Sachsen und Schleswig-Holstein, wo sich Ärzte und Apotheker für die Teilnahme am Modellversuch beworben haben.

Da heißt es genau hinschauen. Das ABDA-KBV-Modell wird frühestens Ende 2012 starten können. Und bis dahin besetzen Andere Positionen. Wenn die Entwicklung so weitergeht, dann wird der Apothekerberuf auf den eines Logistikers und Schmalspur-Beraters in Sachen Selbstmedikation reduziert. Die wirklich pharmazeutischen Fragestellungen zur Polymedikation, zum Medikationsmanagement mit allem was dazu gehört, übernehmen Ärzte und einige wenige hochspezialisierte Pharmazeuten im Dienste der Krankenkassen an medizinischen Zentren und Kasseninstituten.

Was läuft hier falsch? Warum drängen sich Ärzte in apothekereigenes Gebiet? Warum melden sich die Apothekerorganisationen nicht stärker und fordernder zu Wort? Warum lassen sich die Apothekerorganisationen die Apothekeraufgaben wegnehmen? Wenn wir hier nicht aufpassen, ist dieser Zug tatsächlich abgefahren.



DAZ 2012, Nr. 7, S. 3

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.