Fortbildungskongress

Das Fibromyalgiesyndrom

Therapie ohne zugelassene Wirkstoffe, aber mit multimodalem Konzept

Typisch für das Fibromyalgiesyndrom sind ein Beginn der zunächst lokalen Schmerzen z. B. nach Unfall oder Belastung, Rückenschmerzen, myofasziale Schmerzen oder Gelenkschmerzen. Später breiten sich die Schmerzen auf weitere Areale aus, es kommt eine Überempfindlichkeit auf Druck und Schmerz hinzu. Neurologische Symptome wie Konzentrationsstörungen, Tagesmüdigkeit treten auf bis hin zu funktionalen Beeinträchtigungen. Prof. Dr. Claudia Sommer vom Universitätsklinikum Würzburg, berichtete, dass die Ursache noch immer nicht bekannt ist und die therapeutischen Möglichkeiten beim FMS begrenzt sind.

Prof. Dr. Claudia Sommer Foto: DAZ/ck

In westlichen Industrienationen liegt die Prävalenz des Fibromyalgiesyndroms (FMS) bei ca. 2%. Das weibliche Geschlecht ist wesentlich häufiger betroffen: Das Verhältnis von Frauen zu Männern beträgt 4 bis 6:1. Auffällig ist es, dass die betroffenen Frauen in Gesprächen auf Schmerz und Belastungssymptome fixiert sind. Sie haben ein großes Mitteilungsbedürfnis und können im Prinzip nur über das Schmerzerleben sprechen.

Die Pathophysiologie ist nach wie vor unklar. Zwar tritt das FMS gehäuft in Familien auf, spezifische Genpolymorphismen konnten bisher nicht nachgewiesen werden. Unter verschiedenen Aspekten wurde versucht, eine Assoziation zu finden. Deutlich wurde, dass das FMS nicht assoziiert zu Störungen

  • im Schilddrüsenhormonsystem
  • der weiblichen Sexualhormone
  • des Renin-Angiotensin-Aldosteron Systems.

Entgegen weitverbreiter Meinung ist auch eine Borrelieninfektion kein Risikofaktor für die Entwicklung eines Fibromyalgiesyndroms ebenso wenig wie virale Infektionen und kosmetische Brustimplantate.

Als gesichert wird angenommen dass eine Störung besteht

  • der Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenachse

  • des autonomen Nervensystems

  • der zentralen Schmerzverarbeitung im Sinne einer zentralen Augmentation (verminderte zentrale Hemmung oder negative kognitiv-affektive Bewertung peripherer Reize)

Es stehen wenige Behandlungsoptionen zur Verfügung: Als Basistherapie wird empfohlen, dass bei Patienten mit einer Beeinträchtigungen von Alltagsfunktionen im Rahmen eines multimodalen Behandlungskonzeptes folgende ambulante Behandlungen angeboten werden:

  • Patientenschulung, kognitiv-verhaltenstherapeutische Schmerztherapie

  • aerobes Ausdauertraining

  • Amitriptylin

  • Diagnostik und Behandlung komorbider körperlicher Erkrankungen und seelischer Störungen.

Zeitlich befristet können physikalische Therapieverfahren wie Balneo-Therapie bzw. Ganzkörperwärmetherapie angewendet werden. Das entspannte Bewegen tut gut und Schmerz und Steifigkeit waren am Therapieende reduziert, das positive Ergebnis hielt ein bis zwei Monate an. Dagegen sollte keine Massage angewendet werden, sie verschlimmert die Schmerzen.


Es gibt unterschiedliche Schweregrade hinsichtlich klinischer Charakteristika beim Fibromyalgiesyndrom.
[Quelle: Prof. Dr. C. Sommer, Würzburg].

Kriterium
für einen leichten Verlauf sprechen
für einen schweren Verlauf sprechen
Anzahl der Beschwerden
überwiegend Muskeln und Gelenke (oligosymptomatischer Verlauf)
Muskeln, Gelenke und weitere Funktionsstörungen innerer Organe
(polysymptomatischer Verlauf)
Häufigkeit und Dauer der
Beschwerden
rezidivierend, mit beschwerdefreien oder -armen Intervallen
anhaltend, keine oder seltene beschwerdefreie oder -arme Intervalle
Annahme/Verhalten hinsichtlich Krankheit/Gesundheit
weitgehend adäquat, z. B. angemessenes Inanspruchnahmeverhalten
angemessene körperliche
Aktivitäten
dysfunktional, z. B. katastrophisierendes Denken, starke gesundheitsbezogene Ängste,
hohes Inanspruchnahmeverhalten,
Schon- und Vermeidungsverhalten
funktionelle Beeinträchtigungen
in Alltagsfunktionen
fehlend oder gering (z. B. keine schwere körperliche Arbeit möglich)
hoch (längerfristige Krankschreibung, sozialer Rückzug, Aufgabe von Hobbys)
psychosoziale Belastung
gering (keine oder geringe berufliche oder private Stressoren)
mäßig bis hoch (schwerwiegende und anhaltende berufliche oder private Stressoren)
psychische Komorbidität
keine psychische Komorbidität
häufig (vor allem Depressionen, Angststörungen, posttraumatische Belastungsstörungen)
Behandler-Patient-Beziehung
Vertrauen, Sympathie, gute Zusammenarbeit
(von beiden) als "schwierig" erlebt

Keine zugelassenen Wirkstoffe

Zur medikamentösen Therapie stellte Sommer klar, dass es in Deutschland für diese Indikation keine zugelassenen Wirkstoffe gibt. Unbedingt sollten kontinuierlich Verträglichkeit und Wirksamkeit am Ende der Therapie sowie nach sechs und zwölf Monaten überprüft werden, gegebenenfalls muss die Therapie umgestellt werden! Off label können mit hohem Evidenzgrad Amitriptylin, Duloxetin, Pregabalin und Milnacipran eingesetzt werden, mäßiger Evidenzgrad besteht für Fluoxetin und Paroxetin, Tramadol, Gabapentin und Pramipexol. Für Paracetamol und Metamizol, Muskelrelaxanzien sowie Opiate fehlt eine Evidenz. Keine Wirksamkeit konnte gezeigt werden für Hypnotika, Anxiolytika, Neuroleptika, NSAR oder Corticoide. Amitriptylin ist in Deutschland zur Therapie chronischer Schmerzen im Rahmen eines therapeutischen Gesamtkonzepts zugelassen, die Zulassung von Duloxetin und Milnacipran für FMS wurde in Europa durch die EMA abgelehnt. In den USA dagegen sind Duloxetin, Pregabalin und Milnacipran für das Fibromyalgiesyndrom durch die FDA zugelassen.


ck


DAZ 2012, Nr. 7, S. 81

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