Meinung

Aufklärung durch Verschreibungspflicht?

Bewertung einer Packungsgrößenbegrenzung rezeptfreier Analgetika

Ein Meinungsbeitrag von Elmar Kroth | Seit vielen Jahren hat sich der Sachverständigenausschuss für Verschreibungspflicht immer wieder mit Anträgen befasst, die Packungsgröße von rezeptfrei erhältlichen Analgetika zu begrenzen. In seiner Sitzung am 27. Februar 2012 lautete eine Stellungnahme, dass die Risiken und Gefährdungen einer längeren Anwendung dieser Produkte in der Öffentlichkeit kaum bekannt seien. Die Ausschussmehrheit war der Auffassung, dass kleine Packungsgrößen, die nur für vier Tage reichen, eine wichtige Signalwirkung für die Patienten hätten.

In dieselbe Richtung ging die Äußerung, dass rezeptfreie Arzneimittel keine "Lutschpastillen" seien. In der abschließenden Zusammenfassung äußerte der Ausschussvorsitzende die Auffassung, der Fehlgebrauch dieser Wirkstoffe sei eher häufig als selten. Schon dies rechtfertige die Unterstellung unter die Verschreibungspflicht. Aus Gründen der Verhältnismäßigkeit solle aber eine Selbstmedikation bis zu vier Tagen zugelassen bleiben, da in diesem Umfang eine Selbstmedikation des Patienten sinnvoll sei und andernfalls die Arztpraxen überfordert seien. Es bedürfe einer einheitlichen, dem unbedarften Patienten oder Verbraucher vermittelbaren Begrenzung der Arzneimittelmenge, die sich an der Einnahmedauer und den üblichen medizinischen Grundsätzen orientiert.

In seiner letzten Sitzung am 26. Juni 2012 hat der Ausschuss eine entsprechende Empfehlung zur Begrenzung der Packungsgröße rezeptfrei erhältlicher Analgetika mit den Wirkstoffen Acetylsalicylsäure, Diclofenac, Ibuprofen und Naproxen mehrheitlich angenommen. Allerdings hat das Bundesministerium für Gesundheit bisher davon abgesehen, dieses Votum in eine Änderung der Verschreibungspflichtverordnung umzusetzen.

Eingriff in das Recht auf Selbstmedikation

Seit Jahren wendet sich der Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller (BAH) gemeinsam mit den anderen Herstellerverbänden gegen eine solche Begrenzung und hat auch rechtliche Bedenken in Bezug auf eine an der Packungsgröße orientierte Verschreibungspflicht geltend gemacht. Im Nachgang zu der Empfehlung des Sachverständigenausschusses hat der BAH Herrn Professor Wolfgang Voit, Sprecher der Forschungsstelle für Pharmarecht an der Philipps-Universität Marburg, gebeten, eine gutachterliche Bewertung der Regelungen zur Verschreibungspflicht vorzunehmen. Im Oktober hat Voit die Stellungnahme vorgelegt, die nachfolgend kurz zusammengefasst wird.

Da die Unterstellung eines Arzneimittels unter die Verschreibungspflicht dessen Abgabe ohne ärztliche Verschreibung untersagt, greift die Verschreibungspflicht in das Recht auf Selbstmedikation ein. Weiterhin beschränkt die Verschreibungspflicht nichtärztliche Therapeuten in ihrer Berufsfreiheit. Rechtfertigung für die Eingriffe in die Berufsfreiheit der Apotheker und nichtärztlichen Therapeuten, in die allgemeine Handlungsfreiheit der Patienten und auch in die Berufsfreiheit der Arzneimittel-Hersteller ist dabei der Gesundheitsschutz. Dabei wird in der Literatur vielfach betont, dass es nicht um eine paternalistische oder bevormundende Sicherheitsmaßnahme oder um den Schutz vor einer Selbstgefährdung gehe.

Kriterien für die Unterstellung unter die Verschreibungspflicht

Die Kriterien für die Unterstellung eines Stoffes unter die Verschreibungspflicht werden in § 48 Abs. 2 AMG im Einzelnen aufgeführt. Im Falle der seit vielen Jahren zugelassenen Analgetika sind die Kriterien nach § 48 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchstaben a und b AMG maßgeblich. Da nach allgemeiner Auffassung die rezeptfrei erhältlichen Analgetika bei bestimmungsgemäßem Gebrauch die Gesundheit nicht unmittelbar oder mittelbar gefährden, kommt nur Buchstabe b als Grundlage für eine Verschreibungspflicht in Betracht. Danach kann ein Stoff der Verschreibungspflicht unterstellt werden, wenn dieser häufig in erheblichem Umfang nicht bestimmungsgemäß gebraucht wird und dadurch die Gesundheit von Mensch oder Tier unmittelbar oder mittelbar gefährdet werden kann.

Bei einer Verschreibungspflicht nach Buchstabe a haftet das Risiko dem Produkt selbst an, sodass jeder Anwender von dem Risiko betroffen ist, während bei einer Verschreibungspflicht nach Buchstabe b Patienten, die sich an die Bestimmung des Herstellers halten, die Selbstmedikation verwehrt wird, obwohl das Produkt für sie keine erhöhten Risiken mit sich bringt. Die Regelung in Buchstabe b erlaubt damit einen Eingriff in die Rechtspositionen von Patienten, Apothekern, nichtärztlichen Therapeuten und Herstellern, obwohl der Gesundheitsschutz derjenigen, die das Arzneimittel bestimmungsgemäß anwenden, keine Beschränkung erfordert. Deshalb werden mit Recht besonders hohe Hürden für eine solche Verschreibungspflicht aufgestellt. Dies zeigt sich am Wortlaut des AMG, das einen häufigen und in erheblichem Umfang bestehenden Fehlgebrauch voraussetzt.

Missbrauch oder unwissentlicher Fehlgebrauch?

Bezieht man die Begründung dieser gesetzlichen Bestimmung mit ein, so wird deutlich, dass der Gesetzgeber bei dieser Regelung eine missbräuchliche Verwendung vor Augen hatte. Der hier angesprochene Missbrauch unterscheidet sich vom nicht bestimmungsgemäßen Gebrauch dadurch, dass sich beim Missbrauch der Patient oder der Verbraucher bewusst über die Bestimmung des Arzneimittels hinwegsetzt. Darin liegt – so Professor Voit – gerade der Unterschied zu der Zielrichtung, die aus den Protokollen der Sitzungen des Sachverständigenausschusses hervorgeht. Der Ausschuss sei offenbar der Ansicht gewesen, dass die betroffenen Arzneimittel in erster Linie deshalb bestimmungswidrig eingesetzt werden, weil den Patienten und Verbrauchern der bestimmungsgemäße Gebrauch und die Risiken bei seiner Überschreitung zu wenig bekannt sind, sodass der nicht bestimmungsgemäße Gebrauch unwissentlich geschieht. Nur so erkläre sich die Forderung der Sachverständigen, die Patienten sollten erkennen, dass die Anwendung nicht risikolos ist und es sich nicht um "Lutschtabletten" handelt.

Eigenverantwortung des Patienten

Ob ein solches Informationsbedürfnis geeignet ist, eine Verschreibungspflicht zu rechtfertigen, ist aus Sicht von Professor Voit sehr zweifelhaft. Schließlich diene die Verschreibungspflicht nicht dazu, Patienten zu bevormunden oder ihnen die Möglichkeit einer Selbstmedikation zu nehmen. Im Gegenteil: Der Gesetzgeber erkenne das Recht auf Selbstmedikation an, indem er die Zugänglichkeit der Arzneimittel als Regelfall vorsieht und die Verschreibungspflicht von der Aufnahme in die Verordnung nach § 48 AMG abhängig macht. Dabei werde die Eigenverantwortung des Patienten auch und gerade im Bereich der Selbstmedikation betont. Nur deshalb, weil der Patient weiß, dass der Fehlgebrauch von Arzneimitteln immer Gesundheitsrisiken mit sich bringen kann, werde bei der Verkehrsfähigkeit eines Arzneimittels allein auf den bestimmungsgemäßen Gebrauch abgestellt. Aus diesem Grund werde auch bei der Haftungsregelung in § 84 Abs. 1 AMG an die medizinische Vertretbarkeit bei bestimmungsgemäßem Gebrauch angeknüpft.

Eventuell Zulassung mit Auflage

Wenn Anlass für die Vermutung besteht, dass Packungsgrößen eines Arzneimittels nicht seiner therapiegerechten Anwendung entsprechen, so kann es gerechtfertigt sein, die Zulassung mit einer Auflage nach § 28 Abs. 2 Nr. 4 AMG zu verbinden; nicht gerechtfertigt wäre aber nach Ansicht von Professor Voit die Unterstellung unter die Verschreibungspflicht nach § 48 AMG. Nur dann, wenn die Patienten ein Arzneimittel in Kenntnis von dessen Bestimmung und Risiken bewusst missbräuchlich anwenden, wenn dies in erheblichem Umfang geschieht und wenn damit gesundheitliche Risiken verbunden sind, könne es gerechtfertigt sein, die Verschreibungspflicht anzuordnen und so das Recht auf Selbstmedikation einzuschränken. Denn nur in einem solchen Fall könne das Gesundheitsrisiko des Anwenders nicht durch Information über das Arzneimittel gemindert werden. Es sei deshalb konsequent, die Frage der Therapiegerechtigkeit der Packungsgröße im Zulassungsverfahren, aber nicht bei der Verschreibungspflicht zu berücksichtigen.

Solange die Möglichkeit einer besseren Aufklärung der Patienten noch nicht voll ausgeschöpft ist und deshalb nicht feststeht, ob trotz dieser Information ein erheblicher bestimmungswidriger Gebrauch des Arzneimittels festzustellen wäre, kann nach Auffassung von Professor Voit das Arzneimittel nicht rechtmäßig der Verschreibungspflicht unterstellt werden. Die Aufklärung über die Risiken ist gegenüber dem Verbot der Abgabe ohne ärztliche Verschreibung das weniger einschneidende Mittel.

Signalwirkung dient der Information

Nur wenn trotz einer bestmöglichen Aufklärung der Missbrauch nicht eingedämmt werden kann, kann es nach Ansicht von Professor Voit in den engen rechtlichen Grenzen des § 48 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchstabe b AMG gerechtfertigt sein, in die Rechte der Apotheker, der nichtärztlichen Therapeuten und der Hersteller einzugreifen. Allein eine erhoffte Signalwirkung könne die Unterstellung unter die Verschreibungspflicht nicht rechtfertigen. Im Gegenteil: Die erhoffte Signalwirkung diene gerade zur Verbreitung des Wissens um die sachgerechte Anwendung des Arzneimittels und damit zur Information des Patienten. Diese Information könne erforderlich sein, um die Verantwortung bei der Selbstmedikation wahrnehmen zu können, sie sei aber nicht Zweck der Verschreibungspflicht und rechtfertige es nicht, denjenigen Patienten die Selbstmedikation vorzuenthalten, die das Arzneimittel bestimmungsgemäß anwenden.

Aufklärung statt Verschreibungspflicht

Im Ergebnis kann nach Auffassung von Professor Voit die Verschreibungspflicht nach § 48 Abs. 2 Nr. 2 Buchstabe b AMG nur bei einem häufigen und erheblichen Missbrauch des Arzneimittels angeordnet werden. Von einem solchen Missbrauch könne erst dann gesprochen werden, wenn sich die Patienten bewusst über den bestimmungsgemäßen Gebrauch hinwegsetzen. Liegt der Grund für einen bestimmungswidrigen Gebrauch in den fehlenden Kenntnissen oder dem fehlenden Verantwortungsbewusstsein der Patienten, so müsse zunächst versucht werden, durch Aufklärung und durch Hinweise auf eine Einhaltung der Bestimmung des Arzneimittels hinzuwirken. Die Verschreibungspflicht greift in die Rechte des Patienten auf Selbstmedikation, die Berufsfreiheit der Apotheker und der nichtärztlichen Therapeuten sowie in die Rechte der Hersteller ein. Gehen von dem Arzneimittel nur bei bestimmungswidrigem Gebrauch Risiken aus, so sind die Voraussetzungen für eine Verschreibungspflicht besonders hoch, da andernfalls das verantwortungslose Handeln einiger Anwender die Selbstmedikationsmöglichkeit aller Patienten einschränkt. Schließlich trennt das deutsche Arzneimittelgesetz die Frage der Verschreibungspflicht vom Zulassungsverfahren. Dabei setzt die Verschreibungspflicht am Wirkstoff, nicht am Arzneimittel an.

Fazit

  • Mit seiner gutachterlichen Stellungnahme unterstützt Professor Voit die Rechtsauffassung des BAH hinsichtlich der unbeschränkten Packungsgrößen rezeptfreier Analgetika.

  • Der BAH hat diese Stellungnahme dem Bundesministerium für Gesundheit vorgelegt.

  • Es bleibt zu hoffen, dass den Patienten in Deutschland – ebenso wie in den meisten anderen Ländern der Europäischen Union – weiterhin rezeptfreie Analgetika in den bewährten Packungsgrößen rezeptfrei in den Apotheken zur Verfügung stehen.


Autor

Dr. Elmar Kroth,
Geschäftsführer Wissenschaft
Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller, Bonn
E-Mail: kroth@bah-bonn.de



DAZ 2012, Nr. 51, S. 64

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