Feuilleton

Albrecht Dürer

Aus dem Leben eines Renaissancekünstlers

Das Germanische Nationalmuseum in Nürnberg widmete dem frühen Werk des Renaissancekünstlers Albrecht Dürer (1471 – 1528) in diesem Jahr eine Sonderausstellung, die alle Erwartungen weit übertroffen hat. Die Ausstellung hat gezeigt, wie "der frühe Dürer" sich in seiner Kindheit und Jugend als Mensch und Künstler entwickelt hat, welche Persönlichkeiten ihn beeinflusst haben und wie der Geist des Humanismus ihn geprägt hat. Dabei hat sie auch einige Klischees über Dürer korrigiert.
Pharmaziehistoriker im Germanischen Nationalmuseum: Auf den Spuren von Albrecht Dürer.
Albrecht Dürers Selbstbildnis im Alter von 13 Jahren, "da ich noch ein kind ward", 1484.

Auf Umwegen zur Malerei

Schon die bekannten Selbstdarstellungen Dürers haben Anlass zur Spekulation gegeben. Malte er sich mit Christus-Attributen wie langen Haaren und Bart, um die Gottähnlichkeit des Renaissancemenschen zu demonstrieren? Fehlanzeige! Im Grunde genommen waren die Selbstporträts nichts anderes als Muster, die der Künstler seinen Kunden präsentierte, um einen Auftrag zu erhalten. Ein Atelier war eben auch ein Geschäftsbetrieb.

Eine Ausnahme war Dürers Selbstbildnis im Alter von 13 Jahren, das wohl nur aus Freude am Zeichnen entstanden war. Als Sohn eines bekannten Nürnberger Goldschmiedemeisters erlernte der kleine Albrecht zuerst das väterliche Handwerk, bevor er in der berühmten Werkstatt von Michael Wolgemut zum Maler und Holzschneider ausgebildet wurde.

Die anschließende Gesellenreise führte ihn an den Oberrhein. 1494 heiratete er die Nürnberger Patriziertochter Agnes Frey und leistete sich noch eine Reise nach Venedig. Danach richtete er in seinem Elternhaus, das in einem prosperierenden Viertel in der Nähe der Burg lag, seine Wohnung und Werkstatt ein.


Sau von Landser, 1496 (oder etwas später).

Kunst als Eintrittskarte in die Welt der Reichen und Gelehrten

Ein falsches Dogma lautete, dass Dürer den Renaissance-Humanismus nach Nürnberg gebracht habe. Tatsächlich hatte diese Bewegung schon zu Dürers Jugendzeit unter Nürnberger Patriziern und Gelehrten ihre Anhänger gefunden, die sich im Waaghaus zu ihren Versammlungen trafen. Dürer, der weder ein vermögender Kaufmann war noch eine höhere Schulbildung genossen hatte, fand erst später Zugang zu diesem elitären Club: Der Drucker und Verleger Anton Koberger führte ihn dort ein, nachdem er dessen "Apokalypse" von 1498 mit Holzschnitten illustriert und weithin Anerkennung gefunden hatte. Bald war der gelehrte Jurist Willibald Pirckheimer einer von Dürers besten Freunden.

Dürer war mit einer großen Imaginationskraft begabt und konnte aufgrund von Berichten Dinge visualisieren, die er selbst gar nicht gesehen hatte. So hat er auf einem Flugblatt die "Sau von Landser" dargestellt, ein im Jahr 1496 im Elsass geborenes, missgebildetes Schwein: Es hatte einen Kopf mit zwei Zungen und vier Ohren sowie zwei Leiber, die auf sechs Beinen standen, während zwei weitere Beine nach oben ragten. Da einige Zeitgenossen für das Jahr 1500 einen Weltuntergang erwarteten, der sich durch apokalyptische Zeichen wie missgebildete Tiere und Menschen ankündigen sollte, traf dieses Flugblatt den Nerv der Zeit und fand guten Absatz. Dürer war in der Frühphase seines Schaffens keineswegs der Hofmaler, sondern ein geschickter Kaufmann, dem eine erfolgreiche Vermarktung seiner Kunst gelang.


Elsbeth Tucher, 1499.

Porträts nach persönlichem Geschmack

Bei den Porträts passte Dürer sich ganz dem Geschmack und den finanziellen Mitteln seiner Auftraggeber an. Das bekannte Bild der Elsbeth Tucher aus dem Jahre 1499, das den seit 1961 gedruckten 20-DM-Schein zierte, zeigt eine Frau mittleren Alters vor einer Tapete mit floralen Elementen und einem Fenster mit Blick auf eine bergige, wolkenverhangene Landschaft. Das Bild war die rechte Hälfte eines klappbaren Diptychons, dem links ein (verschollenes) Bild von Elsbeths Mann Nicolas gegenüberstand.

Die Tucher waren eines der reichsten Patriziergeschlechter in Nürnberg und hätten sich ein prächtigeres Bild leisten können, haben aber wohl aus Bescheidenheit darauf verzichtet; diese These wird dadurch unterstützt, dass Elsbeth Tucher keinen Schmuck trägt – außer einem Ring, den sie zwischen zwei Fingern hält.


Ochsenmaul, 1523.

Studium und Abbildung der Natur

Warum ist Dürer für den Medizin- und Pharmaziehistoriker ebenfalls von Interesse?

Es sind vor allem seine naturnahen Darstellungen botanischer oder auch zoologischer Objekte, die den Fachhistoriker faszinieren. Sie ebneten der Naturkunde einen Weg vom deduktiven zum induktiven Denken. Die vergleichende Betrachtung anatomischer Details oder Mikrostrukturen von Tieren und Pflanzen führt zu neuen allgemeingültigen Aussagen. Neben Vorwissen und Paradigmen tritt die Analyse, die den Fortschritt der Wissenschaft ermöglicht. So beginnt eine Entwicklung, welche im Laufe der Jahrhunderte zu einer Verselbstständigung der Botanik und Zoologie führen wird. Beispielhaft für Dürers Liebe zum Detail ist das Bild eines Ochsenmauls aus dem Jahre 1523. Genannt sei auch seine Studie über die Anatomie eines idealen menschlichen Kopfes, die er während seiner Beschäftigung mit der Proportionslehre anfertigte.


Dürer als Malariakranker, 1520.

Ein Opfer der Malaria

Im Sommer 1520 unternahm Dürer zusammen mit seiner Frau eine Reise in die Niederlande, um Kontakte zu pflegen und neue Aufträge zu erhalten. Ein Höhepunkt war das Treffen mit Erasmus von Rotterdam, das die Wertschätzung des Nürnberger Künstlers seitens der Gelehrtenwelt zum Ausdruck brachte.

Vermutlich war Dürer während dieser Reise an der damals auch in Feuchtgebieten Mitteleuropas verbreiteten Malaria erkrankt, denn er litt danach an Splenomegalie. In der für ihn typischen Weise schilderte er seinem Arzt das Symptom anhand einer Skizze, in der er die schmerzende Stelle (die vergrößerte Milz) gekennzeichnet hatte: "Da, wo der gelbe Fleck ist und worauf ich deute, da tut es mir weh." Obwohl Dürer seither kränkelte, war seine Schaffenskraft ungebrochen, und er wurde mitten aus dem Leben gerissen, als er am 6. April 1528 im Alter von knapp 57 Jahren starb.

Die Rezeption des Künstlers und seine Wiederentdeckung durch die deutsche Romantik führte zu einer Art "Hagiographie" oder Verklärung. Die Ausstellung im Germanischen Nationalmuseum hat Dürer in die Epoche der frühen Neuzeit zurückgeholt und "das Reifen" seiner Persönlichkeit aufgezeigt, den steilen Aufstieg vom ungebildeten Lehrling zu einem Künstler, der von den führenden Gelehrten seiner Zeit auf Augenhöhe akzeptiert wurde.


Dr. Dr. Thomas Richter



DAZ 2012, Nr. 51, S. 74

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