Arzneimittel und Therapie

Die Contergan-Tragödie

Die Gestaltung des Arzneimittelgesetzes (AMG) wird durch politische, rechtliche und gesellschaftliche Faktoren geprägt. Einen großen Einfluss hatte die Contergan-Tragödie, die zu einer Verschärfung der rechtlichen Vorschriften und zu einer Neugestaltung des AMG führte. Neue Probleme, wie etwa Fälschungen oder der Internethandel, werden sich ebenfalls in einer veränderten Gesetzgebung niederschlagen.
Um die Arzneimittelsicherheit zu gewährleisten, werden auch nach der Zulassung die Arzneistoffe überwacht und bewertet. Wichtige Elemente in der Pharmakovigilanz sind das Einsetzen eines Stufenplanbeauftragten, die Dokumentation von Nebenwirkungen und die Meldung von Verdachtsfällen.  Foto: M. Schuppich – Fotolia.com

1961 trat in Deutschland das erste Arzneimittelgesetz in Kraft. In die Ausgestaltung dieses Gesetzes flossen die römischen Verträge und der Beitritt Deutschlands zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft 1957 mit ein. Wie Dr. Axel Thiele vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) beim 35. Heidelberger Fortbildungskongress am 25. November 2012 erläuterte, wurde in dieser ersten Version des AMG eine Registrierungspflicht für Arzneimittel festgehalten, eine Prüfung der therapeutischen Wirksamkeit wurde nicht gefordert. Dies änderte sich bereits drei Jahre später unter dem Eindruck der Contergan-Katastrophe, so dass das AMG von 1964 unter anderem eine Herstellerversicherung und einen Bericht über die pharmakologische und klinische Prüfung des Arzneimittels vorschrieb. In den folgenden Jahren traten zahlreiche Änderungen und Richtlinien in Kraft, teilweise auch, um eine Anpassung an das europäische Recht zu ermöglichen. Mit der 12. AMG-Novelle wurde eine Vielzahl europäischer Vorgaben zur Arzneimittelsicherheit umgesetzt.

Contergan


  • Entwicklung 1954; Tierversuche gaben keine Hinweise auf Nebenwirkungen, die Verabreichung am Menschen zeigte sedative und schlaffördernde Wirkungen bei sehr geringer Toxizität.

  • 1956 Genehmigung durch das Innenministerium NRW; Vertrieb von Oktober 1957 bis November 1961

  • Erste Diskussionen über Fehlbildungen bei Neugeborenen bereits 1958, zu diesem Zeitpunkt gab es aber keine zentrale Erfassung von Missbildungsfällen. Im Dezember 1960 mehrten sich die Hinweise auf eine fruchtschädigende Wirkung von Contergan, Thalidomid wurde 1961 der Verschreibungspflicht unterstellt.

  • Am 26. November 1961 wurde der Zusammenhang zwischen der Einnahme von Contergan und Missbildungen publiziert, die Marktrücknahme erfolgte einen Tag später.

  • Die Folgen einer Contergan-Einnahme waren 5000 bis 10.000 geschädigte Kinder, davon rund 4000 in Deutschland und eine unbekannte Zahl von Totgeburten.

  • 1964 Änderung des AMG unter dem Eindruck der Contergan-Katastrophe. Das Gesetz verlangt nun einen ausführlichen Bericht über pharmakologische und klinische Prüfungen sowie die Versicherung des Herstellers, dass die Prüfung nach dem aktuellen Stand der Wissenschaft ausführlich und sorgfältig erfolgte.

Bausteine des Pharmakovigilanzsystems

Da nicht alle unerwünschten Wirkungen eines Arzneistoffs bereits in klinischen Prüfungen erfasst werden und sich häufig erst nach der Zulassung zeigen, spielt die Pharmakovigilanz bei der Einschätzung der Arzneimittelsicherheit eine große Rolle. Unter die Pharmakovigilanz fallen die Überwachung und Bewertung der Sicherheit von Arzneimitteln nach ihrer Zulassung und alle Aktivitäten, um die Anwendung des Arzneimittels sicher zu gestalten. Wichtige Elemente sind das Einsetzen eines Stufenplanbeauftragten, die Dokumentation von Nebenwirkungen und die Meldung von Verdachtsfällen. Treten unerwünschte Arzneimittelwirkungen auf, werden diese vom Arzt, Apotheker oder Patient an die jeweiligen Arzneimittelkommissionen oder an den pharmazeutischen Unternehmer gemeldet. Bei schweren Verdachtsfällen ist dieser verpflichtet, die Meldung innerhalb von 15 Tagen, bei nicht schwer-wiegenden Verdachtsfällen innerhalb von 90 Tagen an die Bundesoberbehörde (BfArM und Paul-Ehrlich-Institut) weiterzuleiten. Es ist vorgesehen, dass künftig auch Patienten über einen Standardtext in der Packungsbeilage aufgefordert werden, unerwünschte Wirkungen zu melden.

Regelmäßig aktualisierte Berichte über die Unbedenklichkeit eines Arzneimittels (Periodic Safety Update Report, PSUR) sowie ein Risk Management Plan (RMP) tragen ebenfalls zur Stärkung der Arzneimittelsicherheit bei. Bestehen bei der Zulassung eines Arzneimittels Bedenken, kann die Behörde Auflagen in Form weiterer Studien anordnen. Hierunter fallen die Post Authorisation Safety Studies (PASS) und die Post Authorisation Efficacy Studies (PAES).

Die Verzahnung mit der europäischen Gesetzgebung zeigt sich auch beim Pharmakovigilanz-System. So verschieben sich die Zuständigkeiten immer mehr von den nationalen Zulassungsbehörden zur EMA und dem neu geschaffenen Ausschuss für Risikobewertung PRAC (Pharmakovigilance Risk Assessment Committee). Wird die Sicherheit eines Arzneimittels von einzelnen Mitgliedern der EU kontrovers eingestuft, können sie in einem so-genannten Referral-Verfahren die EMA um eine wissenschaftliche Bewertung bitten. Liegen Sicherheitsbedenken vor, kann ein Dringlichkeitsverfahren (Artikel-107-Verfahren) eingeleitet werden. Um die Pharmakovigilanz-Abläufe transparenter zu gestalten, sollen die Mitgliedstaaten der EU zukünftig Webportale für Arzneimittelsicherheit einrichten und pflegen.

Neue Fälschungsrichtlinie

Die 2011 veröffentlichte EU-Richtlinie ("Fälschungsrichtlinie", nationale Umsetzung innerhalb der nächsten Jahre) soll das Fälschen von Arzneimitteln und das Eindringen gefälschter Ware in die legalen Lieferwege erschweren. Die Fälschungsrichtlinie gibt unter anderem vor, dass alle verschreibungspflichtigen Arzneimittel mit Sicherheitsmerkmalen zu versehen sind, die die Echtheit jeder einzelnen Packung garantieren. Dies erfolgt durch eine Serialisierung jeder einzelnen Packung über einen Datamatrixcode. Weitere Vorgaben betreffen den Großhandel und Zwischenhändler. Ferner soll der Internethandel erschwert werden. Desweiteren sind Begleitdokumente (Zertifikate) für Lieferungen aus Drittstaaten vorgesehen.


Apothekerin Dr. Petra Jungmayr



DAZ 2012, Nr. 49, S. 43

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