Fachmedien

Künstlerische Weihnachtskrippen

Hermann Vogel, Sebastian Osterrieder, Der Erneuerer der künstlerischen Weihnachtskrippe, Leben und Werk, 2., verbesserte Auflage 2012, 208 Seiten mit zahlreichen, meist farbigen Abbildungen, 19,80 Euro, Kunstverlag Josef Fink, Lindenberg im Allgäu, ISBN 978-3-89870-562-2

In Zeiten, in denen Apotheker gegenüber Politik und übermächtigen Krankenkassen für die wirtschaftliche Absicherung ihrer beruflichen Tätigkeit und gesellschaftlich relevanten Funktion kämpfen müssen, mag es als überflüssige Arabeske erscheinen, ein bereits in zweiter Auflage vorliegendes Werk in der pharmazeutischen Fachpresse zu besprechen, das dem Zeitgeist zuwider läuft, jedenfalls weit weg von der Pharmazie und ihrer aktuellen Problemen angesiedelt ist.

Der Verfasser, Apotheker Dr. Hermann Vogel, langjähriger Präsident, nunmehriger Ehrenpräsident der Bayerischen Landesapothekerkammer und Vizepräsident der Bundesapothekerkammer, hat die Berufspolitik der Apotheker über Jahrzehnte maßgeblich mitgestaltet und geprägt. Was so manchem in späteren Jahren wohlwollend und großzügig nachgesagt wird, auf Hermann Vogel trifft es jedenfalls in markanter Weise zu. Ein Mann der freien Rede, der deutlichen Aussprache und des konsequenten Argumentierens, der zwischen 1974 und 1998, wie sein Kompendium "Mixta composita" (Govi Verlag 1998) erweist, und auch in den Jahren danach zu standespolitischen Problemen und zur Berufsgeschichte immer wieder kompetent und fern aller Aufgeregtheiten publizistisch Position bezogen hat. Sein Engagement für das Deutsche Apothekenmuseum in Heidelberg als eindrucksvoll visualisierte und praktizierte Pharmaziegeschichte endet nach seiner freien Entscheidung erst in diesen Tagen.

Seine Interessen und seine Neugier überschreiten dabei immer wieder die Grenzen der Pharmazie und der Pharmaziegeschichte. Wer mit Hermann Vogel nicht nur verbandspolitisch zusammengearbeitet hat, sondern ihm auch seit vielen Jahren persönlich verbunden ist, darf es (verbands-)öffentlich bekunden: Hermann Vogel zählt zu der, so erscheint es zumindest dem Rezensenten, aussterbenden Species der Bildungsbürger. Mit seinem opulenten Werk über Sebastian Osterrieder, den "Erneuerer der künstlerischen Weihnachtskrippe", erweist sich Hermann Vogel einmal mehr als engagierter Kenner der bayerischen (Kunst-)Geschichte und nicht zuletzt als Familienmensch.

Sebastian Osterrieder (1864 bis 1932) war der Großvater seiner Frau Renate Vogel. Zu seiner Zeit schnitzte und modellierte er für Papst und Kaiser ebenso wie für kunstsinnige Familien. Seine Krippen schmücken Kirchen und Bürgerhäuser von Altötting bis Zweibrücken, finden sich aber auch im Ausland – im Linzer Dom oder in Rom in der deutschen Nationalkirche Santa Maria dell‘Anima. Münchener Bürger und Touristen können während der Weihnachtszeit zwei Glanzstücke aus seiner Werkstatt in der Peterskirche und in St. Ursula, seiner ehemaligen Pfarrkirche, bewundern.

So manche Gebildete im Lande, etwa Historiker, Kunstwissenschaftler, Soziologen oder Philosophen, referieren immer noch die alten Vorbehalte der Aufklärung, sie halten die Krippe, etwa mit dem österreichischen Kaiser Joseph, für unverständlich und daher für nicht ernst zu nehmend. Auch norddeutsche Nüchternheit und ostdeutsche Mentalität, letztere auch geprägt durch mehr als 50 Jahre sogenannten Fortschritts, mögen gegenüber diesem typisch bayerisch-katholischen Phänomen, vorsichtig formuliert, Distanz wahren.

Der Rezensent als bekennender Rheinländer, der als Student, als Rechtsreferendar und wissenschaftlicher Assistent etliche Jahre in Bayern verbracht hat und in dessen Elternhaus zur Weihnachtszeit eine Krippe des Schnitzers Georg Rock aus Wenns/Pitztal aus Tirol stand, bekundet gern seine Affinität und seinen Respekt gegenüber dieser Lebensleistung eines bayerischen Apothekers, der das Werk in seinem achten Lebensjahrzehnt geschaffen hat. Man kann wohl kaum ermessen, wie viel Kraft, Disziplin und Arbeit, Liebe zum Sujet und zum Detail, zur bayerischen Geschichte und zur Familientradition hier zu einem anspruchsvollen und zugleich liebenswerten Ganzen gefunden haben. Hermann Vogel konnte bei seinem Vorhaben auf ein gepflegtes Familienarchiv zurückgreifen, der Bildhauer selbst hatte zeitlebens akribisch alle schriftlichen Nachweise über sein Schaffen gesammelt.

Sebastian Osterrieder hat nicht lediglich Krippenfiguren geschnitzt, sondern inspiriert von sizilianischen Figuren aus der Zeit um 1700 solche auch mithilfe historischer Gusstechniken in verschiedenen Größen vervielfältigt. Die anatomisch korrekten Körper bekleidete er mit in Leimlösung getränkten Stoffen und versteifte so die farbigen Gewänder wirkungsvoll im Faltenwurf. Die Oberkonservatorin am Bayerischen Nationalmuseum Nina Gockerell schreibt in einem Vorwort zu dem Buch, dass eine seiner unverwechselbaren Szenerien vor einigen Jahren angekauft worden sei als eindrucksvoller Abschluss der Sequenz "Münchener Krippen" in diesem bedeutenden Museum.

Hermann Vogel führt alle 198 (!) Krippen auf, die er noch bei öffentlichen und privaten Eigentümern ermitteln konnte. Die Krippen von Sebastian Osterrieder sollten nicht der volkstümelnden Krippe eine neue Variante beifügen. Vielmehr verfolgte er sein Ziel, das Interesse an der künstlerischen Weihnachtskrippe für Kirche und Familie neu zu wecken. Dies ist ihm, wovon die zahlreichen Bilder in dem vorliegenden Werk zeugen, hervorragend gelungen. Herman Vogel zitiert den Münchner Erzbischof Michael Kardinal von Faulhaber, der 1927 den Bildhauer in dessen Schwabinger Atelier an der Clemensstraße besuchte und ihm ins Gästebuch schrieb: "Für Meister Osterrieder sind Glaube und Kunst wirklich zwei Geschwister."

Das Werk von Hermann Vogel ist inzwischen gewiss integraler Bestandteil jeder pharmaziehistorischen Bibliothek und gehört in jede Sammlung berufs- und verbandspolitischer Aktivitäten als eindrucksvoller Beweis dafür, dass Apotheker auch im 21. Jahrhundert über das weite Feld der Pharmazie und der Verbandspolitik hinaus vielfältige und eindrucksvolle Leistungen erbringen können. Und für alle, die ehren- oder hauptamtlich dem Ruhestand entgegensehen, ihn fürchten oder schon genießen, liefert Hermann Vogel einen in jeder Hinsicht tröstlichen Beweis: Es gibt ein Leben außerhalb der Offizin und nach der ABDA!

Dem Werk möchte man, zumal in der Vorweihnachtszeit, eine weite Verbreitung wünschen, zur persönlichen Lektüre oder als Geschenk, das sich wohltuend von flüchtigen Aktualitäten des Tages abhebt.


Johannes Pieck


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DAZ 2012, Nr. 48, S. 100

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