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Der Maybach und die Lieferengpässe

Dr. Doris Uhl, Chefredakteurin

Nein, das Problem, das in der aktuellen Ausgabe des Spiegels mit der provokanten Überschrift "Im Maybach mit Chauffeur" auf den Schirm gehoben wird, ist nicht neu.

Seit Monaten warnen nicht nur Klinikapotheker vor zunehmenden Lieferengpässen. Immer häufiger sind Medikamente aus nahezu allen Arzneimittelgruppen entweder vorübergehend oder auf Dauer nicht lieferbar, auch in öffentlichen Apotheken. Besonders dramatisch wird es, wenn lebensnotwendige Medikamente betroffen sind, so beispielsweise die in dem oben genannten Spiegel-Beitrag hervorgehobene 5-Fluorouracil-Injektionslösung. Versuche, hier auf Ersatzlieferanten zurückzugreifen, laufen ins Leere. Von sechs in der Roten Liste aufgeführten Anbietern soll nach Spiegel-Recherche am 15. November 2012 lediglich die Firma Medac lieferfähig gewesen sein, und das auch nur eingeschränkt.

Die Gründe dafür, das stellt auch der Spiegel fest, sind vielschichtig. Dazu zählen sich ändernde Nachfragen auf dem Weltmarkt, der hier herrschende Kostendruck und nicht zuletzt Konzentrationsprozesse bei Herstellern und Lieferanten. So liegt die Herstellung vieler Generika in den Händen weniger Lohnhersteller, aber auch große Pharmafirmen lassen ihre Originalpräparate kostengünstig zentral produzieren. Wenn dann Probleme auftreten, sind Lieferengpässe die logische Folge.

Erinnert sei an die GMP-Probleme der Boehringer-Ingelheim-Tochter Ben Venue Laboratories, die auf die Herstellung steriler Injektabilia spezialisiert ist. Vor gut einem Jahr musste sie ihre Produktion wegen gravierender GMP-Mängel aussetzen und viele Präparate wegen möglicher Kontaminationen zurückrufen. Besonders dramatisch war die Situation bei dem pegylierten liposomalen Doxorubicin-Präparat Caelyx® , das für Janssen Cilag produziert wurde. Da es nicht zu ersetzen war, durfte es in laufenden Therapien trotz Gefahren für die Patienten weiter verwendet werden. Das Problem ist bis heute nicht behoben, erst Mitte 2013 wird wieder mit einer uneingeschränkten Lieferfähigkeit gerechnet.

Lehren wurden aus diesem Desaster keine gezogen. Die verantwortlichen Regierungsparteien – allen voran die Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesgesundheitsministerium, Ulrike Flach (FDP) – sahen ein nur vorübergehendes Problem, obwohl in der Folgezeit ständig neue Lieferengpässe aufgetreten waren. Noch im September warnte die Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie vor einem Engpass bei Daunorubicin, einem Zytostatikum, dessen Fehlen den Therapieerfolg von Leukämiepatienten in besonderem Maße gefährdet. Jetzt kommt mit der 5-Fluorouracil-Injektionslösung ein weiteres unentbehrliches Zytostatikum hinzu.

Hier wird interessanterweise von dem Magazin, das gerne die zu hohen Arzneimittelpreise in Deutschland kritisiert, der ruinöse Preiskampf um Rabattverträge als Ursache mit ins Feld geführt – doch nur in einem Nebensatz. Denn wenn es um Arzneimittelpreise geht, haben doch Apotheker immer die Hand im Spiel. Und so bleibt sich der Spiegel treu und schürt wieder die alte Neiddebatte auf die gut organisierte Apothekerlobby und die Apotheker, weil diese immer noch bei Zytostatika Rabatte aushandeln dürfen und dann in einem Maybach mit Chauffeur vorfahren, um die Preise auf einen Bruchteil der Listenpreise zu drücken. Mit der Konsequenz, dass es sich für die armen Hersteller nicht mehr lohnt, solche lebensnotwendigen Präparate auf den Markt zu bringen, Teva habe die Vermarktung deshalb schon eingestellt…

Nur, liebe Spiegel-Autoren, selbst wenn der Apotheker eigenhändig mit dem Trabi vorfahren und jeden Mondpreis zahlen würde, das Problem wäre so nicht gelöst. Nebenkriegsschauplätze wie der im Maybach chauffierte Apotheker helfen nicht weiter. Lieferengpässe lassen sich nur beseitigen, wenn die Hauptursachen angegangen werden. Und das sind allen voran Globalisierungsstrategien, Konzentrationsprozesse auf nur wenige Anbieter und Rabattverträge. Der Verband der Zytostatika-herstellenden Apotheker fordert schon seit Langem gesetzliche Änderungen, um die Oligopol-Bildung in der Zytostatikaversorgung zu unterbinden (s. S. 18). Dazu bedarf es Politiker, die die Problematik jetzt endlich erkennen und nicht erst dann aufwachen, wenn sie selbst ein lebensnotwendiges Medikament nicht mehr erhalten. Einsicht ist erforderlich und der Wille, zu handeln! Denn es geht nicht nur um schwerstkranke Krebspatienten, die Entwicklung gefährdet die medizinische Grundversorgung von uns allen.


Doris Uhl



DAZ 2012, Nr. 47, S. 3

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