Arzneimittel und Therapie

Pegylierung verlängert die Insulinwirkung

Weniger nächtliche Hypoglykämien

Derzeit wird versucht, die Wirkung von Insulin zu verlängern. Für die basale Insulintherapie des Diabetes mellitus erwartet man sich davon mehrere Vorteile. Die Bemühungen, die Wirkung des Stoffwechselhormons zu verlängern, zielen vor allem darauf, die Insulinspiegel abzuflachen und Wirkspitzen zu vermeiden. Dadurch soll insbesondere das Risiko von Hypoglykämien minimiert werden. Mit der neuen Insulinformulierung LY2605541 könnte bald ein Insulinanalogon zur Verfügung stehen, das den basalen Insulinbedarf zuverlässig über 24 Stunden abdeckt.

Bei dem neuen basalen Analoginsulin LY2605541 handelt es sich um ein pegyliertes Insulin auf der Grundlage des kurzwirksamen Insulinanalogons Insulin Lispro. An das Insulinmolekül wurde eine Polyethylenglykol (PEG)-Kette angehängt. Das auf diese Weise vergrößerte Molekül wird zum einen nicht durch die Niere filtriert und zum anderen wesentlich langsamer abgebaut. Dadurch wird die Wirkdauer von Insulin Lispro von drei bis vier Stunden auf bis zu 72 Stunden verlängert. Bei einmal täglicher Gabe lässt sich so bereits am zweiten Tag ein konstanter Wirkspiegel über 24 Stunden erreichen. Wie Prof. Dr. David Kendall, Minneapolis, Minnesota (USA), auf einer von Lilly Deutschland und der Boehringer Ingelheim Co. KG am 1. Oktober 2012 anlässlich der 48. Jahrestagung der European Association for the Study of Diabetes (EASD) veranstalteten Pressekonferenz in Berlin ausführte, gehen die Effekte über die reine Wirkverlängerung hinaus. So wirke LY2605541 in stärkerem Ausmaß an der Leber als andere Insuline. Und mehr Insulinwirkung an der Leber reguliere die Glukoneogenese direkt herunter. An extrahepatischen Effekten nannte er zudem eine Minderung des antilipolytischen Effektes des Insulins im Fettgewebe, was sich positiv auf das Körpergewicht auswirkt. Das liege daran, dass die Pegylierung für eine Umverteilung des Insulins weg vom Fettgewebe und mehr hin zur Leber sorge. An der Leber ergäben sich zusammengenommen mit den flachen Wirkspiegeln und der langen Wirkdauer zwei weitere Vorteile: Erstens werde die kritische Phase der nächtlichen hepatischen Glukoneogenese besser abgedeckt, und zweitens komme es aufgrund des flachen Wirkprofils seltener zu nächtlichen Hypoglykämien.

Pegylierung


Poly(ethylenglycol) (PEG) ist ein linearer oder verzweigter Polyether des Ethylenglycols, der an den Enden mit Hydroxylfunktionen versehen ist. Die Pegylierung ist eine Möglichkeit zur Modifikation von Makromolekülen und Oberflächen. Durch die Verknüpfung mit den flexiblen, ungeladenen hydrophilen Polymeren entsteht eine hydrophile Hülle um das Protein. Bei therapeutisch genutzten Proteinen und Peptiden wird die Pegylierung zur Maskierung von antigenen Effekten, Erhöhung der Löslichkeit oder Verlängerung der Aufenthaltsdauer im Blut eingesetzt. Die Pegylierung gilt als die am häufigsten eingesetzte Methode, um die biologische Halbwertszeit zu verlängern. Beispiele sind Peginterferon-alfa-2a und -2b (Pegasys®, PegIntron®), Certolizumab pegol (Cimzia®), Pegfilgrastim (Neupopeg®, Neulasta®) oder Pegaptanib (Macugen®).


Einer Phase-II-Studie zufolge konnte die Häufigkeit nächtlicher Hypoglykämien unter LY2605541 vs. Insulin glargin bei vergleichbarer Blutzuckersenkung um 48% vermindert werden. In dieser randomisierten, offenen, über zwölf Wochen laufenden Beobachtungsstudie erhielten 195 Erwachsene mit Typ-2-Diabetes morgens das neue Insulin und 93 Insulin glargin. Am Ende der Beobachtung wurden die Probanden auch nach ihrer Befindlichkeit im Zusammenhang mit der Insulintherapie befragt. Dabei kam der Adult Low Blood Sugar Survey (ALBSS) als Messinstrument zum Einsatz. Es stellte sich heraus, dass die Ängstlichkeit der Patienten hinsichtlich drohender Hypoglykämien unter LY2605541 gegenüber Insulin glargin von 10 auf 6,6 Punkte einer Subskala signifikant vermindert war. Unterschiede hinsichtlich einer Änderung des sozialen Verhaltens oder des Ernährungsverhaltens, um Hypoglykämien künftig zu vermeiden, ergaben sich daraus allerdings nicht.


Medizinjournalist Martin Wiehl



DAZ 2012, Nr. 46, S. 43

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