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Malaria, DDT und kein Ende, Teil 1

Gerhard Schulze

Moritz, der Sohn einer Bekannten, studiert Geographie. Das Fach ist bei Jugendlichen sehr beliebt, denn die einstige Wissenschaft der Küstenlinien, Berggipfel und Flussverläufe ist heute vor allem eine Kulturwissenschaft. Es geht um die Veränderung des Planeten durch Menschenhand und um die Interpretation dieser Maßnahmen. Fast immer schneiden die Veränderungen dabei schlecht ab. Eingriffe in Mutter Natur um des Fortschritts willen gelten in der Regel als Umweltsünde, die es anzuprangern und wenn möglich zu begrenzen gilt.

In seinem letzten Sommer vor Studienbeginn meldete sich Moritz bei einem Afrika-Hilfsprogramm an. Er entschied sich für ein Projekt in Tansania, wo Malaria zu den häufigsten Todesursachen gehört. Weltweit starben allein im Jahr 2010 rund 1,2 Millionen Menschen daran, die meisten davon in Afrika, die meisten davon Kinder. Es gibt noch dramatischere Zahlen, aber diese schien mir am besten belegt. Sie stammt von Christopher Murray, University of Washington in Seattle, der in einer Studie die Malariasterblichkeit im Zeitraum zwischen 1980 und 2010 untersuchte.

Trotz der Gefahr, mit dem Malaria-Erreger infiziert zu werden, verzichtete Moritz auf eine Prophylaxe und auch auf die Mitnahme einer Standby-Medikation. "Ich nehme das, was die Einheimischen auch nehmen, das muss genügen", sagte er zum Abschied. Nicht einmal ein Repellent durfte in sein Reisegepäck, nur schützende Kleidung und ein Moskitonetz.

Nun ist Moritz Malariapatient. Dank medizinischer Betreuung hat er seine Krankheit ganz gut im Griff. Irgendwann wird er sein Studium abschließen und hoffentlich einen Job finden, den er mit diesem Handikap ausüben kann. Mutter Natur gab ihm die Malaria, und Moritz hat sein Schicksal akzeptiert. Er achtet jetzt mehr auf gesunde Ernährung, lehnt aber bei der Malariabekämpfung alles, was irgendwie mit Chemie zu tun hat, radikal ab. Auf seinem Auto klebt der Aufkleber "Atomkraft nein danke".

Wenn ich nachts wach liege und über die Ungereimtheiten dieser Welt nachdenke, sehe ich Moritz vor mir. Er sieht mitgenommen aus, marschiert aber bei einer Anti-AKW-Demo mit. "Sofort abschalten!" ruft er im Chor mit den anderen. Mögliche Todesopfer bei einem möglichen Unfall in einem Kernkraftwerk lösen bei uns Massendemonstrationen aus, Millionen Malariatote dagegen nicht.

Malariatote gehören offenbar in eine andere Kategorie. Sie werden nicht totgeschwiegen, aber es geht auch niemand für sie auf die Straße, denn ausgerechnet jene, die bei uns für das Protestieren zuständig sind, stehen im Verdacht, dafür verantwortlich zu sein, dass die Malaria immer noch nicht besiegt ist. Leute, die so ähnlich ticken wie Moritz, sitzen in regierungsnahen Hilfsorganisationen und in den politisch einflussreichen NGOs, in Beratergremien und Expertenkommissionen. Dort bekämpfen sie wie in alten Zeiten das schon vor rund vierzig Jahren in Verruf gebrachte DDT. Damals wurde das Gift tonnenweise auf Feldern versprüht, und weil das ein so offensichtlicher Umweltfrevel war, hatten sie alle Sympathien auf ihrer Seite.

Heute soll DDT vor allem malariaübertragende Mücken töten, es geht um Anwendungen im Grammbereich. Laut der Konvention von Stockholm über persistente organische Schadstoffe von 2001 soll das Insektizid – obwohl ansonsten verboten – beim indoor residual spraying (IRS) weiter eingesetzt werden. Es ist die derzeit beste Waffe gegen Malaria, die wir haben. Es ist hochwirksam, preiswert herzustellen und ganz besonders gut erforscht. Seine gewissenhafte Anwendung stellt seriösen Studien zufolge weder ökologisch noch gesundheitlich ein Problem dar, das auch nur einen einzigen Malariatoten rechtfertigen würde. Als ich mit dem Schreiben dieser Kolumne begann, schien es mir noch ein klarer Fall zu sein: Bornierte Aktivisten sind schuld, dass die Malaria vor allem in Afrika immer noch wütet. Sie nutzen ihren politischen Einfluss dafür, dass Hilfsprogramme und Kooperationen gestrichen werden, wenn Länder DDT einsetzen, woraufhin diese umkippen und auf weniger umstrittene, aber wirkungslose Mittel zurückgreifen.

Doch so einfach ist es nicht. Je mehr ich mich mit dem Thema befasste, umso komplexer wurde es. Wenn mit DDT tatsächlich die besten Erfolge erzielt werden, warum haben wir dann über zehn Jahre nach der Stockholm-Konvention immer noch so viele Malariatote? Sind nur ganz bestimmte Umweltschützer mit eingeschliffenen Reflexen dafür verantwortlich, oder gibt es noch andere Gründe? "Es ist immer komplizierter", war das Lebensmotto des deutsch-amerikanischen Philosophen und Schriftstellers Ludwig Marcuse, und das gilt heute mehr denn je. Fortsetzung folgt.


Gerhard Schulze

Gerhard Schulze, geb. 1944, ist Professor für Soziologie an der Universität Bamberg. Seine Arbeiten untersuchen den kulturellen Wandel der Gegenwart.



DAZ 2012, Nr. 43, S. 28

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