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"Wünsche mir von ABDA mehr Offenheit für Veränderungen"

Interview zum Deutschen Apothekertag 2012

BERLIN (lk). Zum ersten Mal besucht Daniel Bahr (FDP) als Bundesgesundheitsminister den Deutschen Apothekertag. Er sei nicht gekommen, um mit den Apothekern die Friedenspfeife zu rauchen, so Bahr im DAZ-Interview: "Ich brauche mit den Apothekern keine Friedenspfeife rauchen, weil ich nie Krieg mit ihnen geführt habe. Im Gegenteil: Wir haben in dieser Legislaturperiode viel für die Stärkung der Arzneimittelsicherheit und der Arzneimittelversorgung getan." Trotzdem kann sich der FDP-Politiker nach den zurückliegenden harten Diskussionen mit der Apothekerschaft über die Apothekenbetriebsordnung (ApBetrO) und über die Honorarerhöhung einen Seitenhieb auf die Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA) nicht verkneifen. "Ich wünsche mir sicherlich mehr Offenheit für Veränderungen. Ich glaube, dass sich auch die Apotheke Veränderungen stellen muss", so der Bundesgesundheitsminister mit Blick auf die anstehende Neuwahl der ABDA-Spitze. Außerdem habe er erlebt, "wie schwer es ist, dass eine mit der ABDA-Spitze getroffene Vereinbarung auch akzeptiert wird." Bahr: "Die Interessen der Apotheker vor Ort entsprechen offenbar nicht immer der Haltung der offiziellen Verbandsvertreter."
Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (re.) will auf dem Deutschen Apothekertag das Positive hervorheben und darauf aufmerksam machen, was die derzeitige Regierung für die Apotheker erreicht hat. Das betonte er im Gespräch mit DAZ-Chefredakteur Dr. Benjamin Wessinger (Mi.) und DAZ-Berlin-Korrespondent Lothar Klein. Fotos: DAZ/Sket

DAZ: Sehr geehrter Herr Bahr, Sie sind seit Jahren der erste leibhaftige Bundesgesundheitsminister, der zu den Apothekern spricht. Nach den zum Teil heftigen Diskussionen über die ApBetrO, vor allem aber über die Honorierung – wollen Sie mit den Apothekern die Friedenspfeife rauchen?

Bahr: Ich brauche mit den Apothekern keine Friedenspfeife rauchen, weil ich nie Krieg mit ihnen geführt habe. Im Gegenteil: Wir haben in dieser Legislaturperiode viel für die Stärkung der Arzneimittelsicherheit und der Arzneimittelversorgung getan. Und wir haben eine Diskussion über das Fremd- und Mehrbesitzverbot abgeblockt, weil diese Regierung wie keine andere zur inhabergeführten Apotheke steht. Wir haben die Apothekenbetriebsordnung reformiert, zum Teil mit Diskussionen. Das ist klar. Ich hätte mir in der Sache mehr Freiheiten für die Apotheke vor Ort gewünscht. Lockerungen haben aber die organisierten Interessenvertreter der Apotheker scharf kritisiert und hatten damit bei den Ländern Resonanz gefunden. Und wir haben seit vielen Jahren erstmals das Honorar erhöht. Die Wünsche waren noch höher, das weiß ich. Trotzdem ist dies eine grundlegende Weichenstellung. Auch wenn wir in der Sache streiten, muss man als Apotheker doch registrieren, dass wir viel getan haben – mehr als die Regierungen vor uns.


DAZ: Welche Botschaft haben Sie für die Apotheker bei Ihrer Rede auf dem diesjährigen Deutschen Apothekertag im Gepäck?

Bahr: Ich werde auf das Erreichte aufmerksam machen. Mir geht es vor allem darum, noch einmal bewusst zu machen, warum das Mehr- und Fremdbesitzverbot für die Patienten in Deutschland besser ist. SPD und Grüne wollen Apothekenketten. Die FDP lehnt Apothekenketten ab. Die inhabergeführte Apotheke sichert die Arzneimittelversorgung besser als andere Vertriebsformen, weil der Apotheker hier selbst die Verantwortung übernimmt. Das bedeutet eine viel bessere Beziehung zum Kunden, aber auch zu den Mitarbeitern. Das wollen wir gegen Angriffe aus Europa und auch gegen andere Parteien verteidigen.


DAZ: Laut Umfragen laufen die Apotheker trotzdem scharenweise zur Union über. Wie wollen Sie als FDP-Minister die Apotheker wieder für die Liberalen ködern?

Bahr: Umfragen sind für mich nicht entscheidend. Der Wahltag zählt. Wir haben noch ein Jahr Zeit. Viele Wähler der FDP befinden sich im Standby-Modus. Die können wir zurückholen. Wenn man einmal eine realistische Bilanz zieht, muss man festhalten: Die ApBetrO hat die inhabergeführte Apotheke gestärkt. Erstmals seit 2003 steigt das Honorar. Wir haben das Rx-Boni-Verbot für ausländische Versandapotheken durchgesetzt. Ich bin auch noch nicht vollkommen zufrieden, aber wir haben schon viel erreicht.


DAZ: Sie und FDP-Wirtschaftsminister Philipp Rösler haben das Apothekenhonorar um 25 Cent erhöht und plötzlich hat die Koalition noch 120 Millionen Euro für den Nacht- und Notdienst nachgeschoben. Warum war nicht gleich beim Apothekenhonorar mehr drin?

Bahr: Wir wurden bei der Honorarerhöhung im Kabinett lange vom Bundesfinanzministerium blockiert. Da mussten wir schon kämpfen, um die 25 Cent durchzusetzen. Als sich hier der Erfolg abzeichnete, haben wir in der Koalition die Gelegenheit genutzt, auch beim Nacht- und Notdienst etwas zu tun, um in der Fläche eine gute Arzneimittelversorgung zu gewährleisten. Es muss in der Fläche eine Anerkennung dieser Leistung und der Tatsache geben, dass Apotheker hier häufiger Not- und Nachtdienste leisten als in der Stadt. Diese Chance ergab sich, als der Widerstand gebrochen war, damit hatte ich vorher nicht gerechnet. Wir haben die Landärzte gestärkt und jetzt die Apotheker in den Dörfern. Das war erklärte Absicht dieser Koalition.


Die Apothekerproteste und auch die gegen ihn gerichteten Angriffe nimmt Bahr sportlich. Bei vielen Aktionen hätte er schmunzeln müssen.

DAZ: Jetzt sieht es so aus, als habe sich die Politik von den Warnstreiks der Apotheker beeindrucken lassen. Stimmt das?

Bahr: Es geht uns um die Sache bei der Erhöhung des Honorars und beim Not- und Nachtdienst. Die Erwartungen, die von Apothekerseite geschürt wurden, passten nie zu den Gesprächen, die wir mit ihnen geführt haben. Es war immer klar, dass die Regierung bei der Anpassung auch die steigende Packungsanzahl berücksichtigt. Trotzdem wurden unrealistische Erwartungen von Apothekerseite geweckt. Aber natürlich ist es das legitime Recht der Apotheker, sich auch auf der Straße für ihre Anliegen einzusetzen. Das hat mich weder beeindruckt noch gestört.


DAZ: Wie haben Sie die Apothekerproteste wahrgenommen?

Bahr: Ich habe das nicht zu bewerten. Ich habe über viele Aktionen geschmunzelt. Persönliche Attacken muss man als Politiker aushalten können. Da habe ich schon Schlimmeres erlebt. Außerdem fällt das auf diejenigen zurück, die sich im Ton vergreifen. Andererseits: Ich habe mich auch schon mal nackt vors Kanzleramt gestellt, um auf meine Anliegen aufmerksam zu machen. Ich bin da wirklich nicht empfindlich.


DAZ: Wissen Sie schon, wie die neue Not- und Nachtdienstpauschale ausgestaltet wird?

Bahr: Wir beginnen mit der Apothekerschaft und anderen darüber gerade gute Gespräche. Wir brauchen aber noch einige Zahlen. Hier entsteht ein völlig neues Vergütungssystem. Das ist nicht trivial, das ist kompliziert zu lösen. Es wird beispielsweise noch diskutiert, ob wir eine Nacht- oder stundenweise Pauschale ausgestalten. Was wir auf jeden Fall vermeiden müssen, sind falsche Anreize. Daher lohnt es sich, hier in Ruhe zu arbeiten, damit ein gutes Ergebnis herauskommt. Unser Ziel ist nach wie vor der 1. Januar 2013.


DAZ: Bleibt die 2,50 Euro Notdienstgebühr erhalten?

Bahr: Auch das gehört zum Gesamtkomplex. Aus meiner Sicht sollten die 2,50 Euro Notdienstgebühr bleiben. Für den Patienten muss deutlich bleiben, dass es einen Unterschied macht, ob er sich ein Medikament zu regulären Öffnungszeiten oder im Notdienst abholt. Aus guten Gründen haben wir so etwas auch bei Ärzten.


DAZ: Sind 200 Euro realistisch?

Bahr: Ich weiß nicht, woher diese Zahl kommt. Ich kann das nicht bestätigen.


DAZ: Aufbauend auf den Protest-Erfahrungen findet derzeit in Baden-Württemberg eine Postkartenaktion zum Pick-up-Thema statt. Was halten Sie davon?

Bahr: Ich habe die Postkartenaktion nicht gestartet. Aber grundsätzlich wären gute, valide Daten, die belegen, dass Pick up eine Gefahr für die Verbraucher darstellt, sehr wichtig. Ich möchte Pick up wieder abschaffen, weil ich glaube, dass dies das Ausnutzen eines Vertriebsweges ist, der dafür nicht gedacht war. Eine Drogerie kann sich dadurch den Anschein geben, sie sei eine Apotheke, ohne deren Pflichten zu übernehmen. Ein Verbot stößt aber bekanntlich an verfassungsrechtliche Grenzen, auch weil es keine Belege für eine Gefahr von Pick-up-Stellen gibt. Deshalb habe ich alle Länder abfragen lassen. Es gab leider keine Rückmeldung der Bundesländer über Probleme. Daher kommen wir nicht weiter.


DAZ: Können Postkarten den Beleg für Sicherheitsrisiken in der Arzneimittelversorgung durch Pick up überhaupt liefern?

Bahr: Das müssten schon klare Belege für Gefahren durch Pick up sein. Wenn plötzlich in den Ländern neue Erkenntnisse entstehen, dann gäbe es bessere Belege gegenüber dem Innen- und Justizministerium, für ein Verbot zu argumentieren. Es ist wichtig, dass es valide Daten gibt und nicht nur ein Bauchgefühl. Die Länderbehörden könnten und müssten den Erkenntnissen der Postkartenaktion allerdings weiter nachgehen.


DAZ: Am 17. Oktober starten die Verhandlungen zum Kassenabschlag. Können die Apotheker dabei auf Ihre politische Unterstützung setzen?

Bahr: Als Bundesgesundheitsminister bin ich ein Anhänger der Selbstverwaltung. Trotzdem ärgere ich mich darüber, dass Schiedssprüche nicht akzeptiert werden und dagegen geklagt wird. Ich ärgere mich, dass es in der Selbstverwaltung ein konfrontatives Gegeneinander gibt und kein professionelles Miteinander herrscht. Es muss möglich sein, dass gesetzliche Krankenkassen Verständnis dafür aufbringen, dass Ärzte und Apotheker in Honorarfragen berechtigte Anliegen haben, auch die Vergütung zu verbessern, wenn sich die Kosten verändert haben. Klar ist aber auch, dass die Kassen auf die Finanzierung schauen müssen. Denn alles wird vom Beitragszahler aufgebracht. So wie sich der Verkehrsminister nicht in den Fluglotsenstreik einmischt, so werde ich auch bei den Verhandlungen nicht einseitig ein Ergebnis vorwegnehmen.


DAZ: DAV-Chef Fritz Becker hat angekündigt, den Kassenabschlag ab Januar 2013 einseitig auf 1,75 Euro zu senken, falls es bis dahin keine Einigung mit dem GKV-Spitzenverband und keinen Schiedsspruch gibt.

Bahr: Es ist völlig normal, dass vor Verhandlungen beide Seiten versuchen, ihre Ausgangsposition stark darzustellen und zu verbessern. Daher muss man nicht jede Äußerung kommentieren. Der Schiedsrichter pfeift bei einem Foul, aber nicht, wenn auch mal etwas härter um den Ball gekämpft wird.


DAZ: Was halten Sie von Vorschlägen, den Kassenabschlag durch freiwillige Skonti der Apotheker bei pünktlicher Zahlung zu ersetzen?

Bahr: Das Gesetz sieht Verhandlungen über den Abschlag vor. Für darüber hinausgehende Vorschläge müsste man extra das Gesetz ändern.


DAZ: Sie haben bei der Novelle der ApBetrO und der Honorierung so Ihre Erfahrungen mit der politischen Lobbyarbeit der Apotheker gemacht. Wie beurteilen Sie das Nebeneinander der verschiedenen Apothekerverbände?

Bahr: Offenbar ist es sehr schwer, mit einer Stimme für die Apotheker zu sprechen. Es gibt nicht "die Apotheke", sondern große Unterschiede. Und das ist gut so. Ich will keine Einheitsapotheke. Der Apotheker, der sich anstrengt, der mehr und besseren Service und Beratung bietet, soll auch wirtschaftlich besser dastehen. Das ist Wettbewerb, und ich will Wettbewerb. Dass es da unterschiedliche Interessen innerhalb der Apothekerschaft gibt, liegt auf der Hand. Aber wir haben erlebt, wie schwer es ist, dass eine mit der ABDA-Spitze getroffene Vereinbarung auch akzeptiert wird. Die Interessen der Apotheker vor Ort entsprechen offenbar nicht immer der Haltung der offiziellen Verbandsvertreter.


Einen guten und sachlichen Dialog wünscht sich Bahr von den Apothekern. Der Gesprächsfaden dürfe nicht abreißen, "sonst bekommt man keine guten Lösungen hin".

DAZ: Können Sie dafür ein Beispiel nennen?

Bahr: Wir wollten mit der ApBetrO Erleichterungen für die Apotheken. Dann war es der Wunsch der ABDA, QMS verpflichtend einzuführen, auf einem Laborabzug zu bestehen und zu mehr Regelungen zu kommen. Heute erlebe ich, dass genau das häufig vor Ort kritisiert wird, obwohl das die Forderung der Apotheker war. Aber das müssen die Apotheker mit sich in ihren Organisationen ausmachen. Ich werde weiter mit allen Apothekerorganisationen sprechen, und am Ende entscheidet die Politik.


DAZ: Am 6. Dezember wird der neue ABDA-Präsident gewählt. Haben Sie einen Wunsch an den künftigen obersten Apotheker?

Bahr: Vor allem möchte ich zu einem guten, sachlichen Dialog einladen. Ich habe mich Gesprächen nie verweigert, auch wenn die Proteste laut waren. Der Gesprächsfaden darf nicht abreißen. Sonst bekommt man keine guten Lösungen hin. Und ich wünsche mir sicherlich mehr Offenheit für Veränderungen. Ich glaube, dass sich auch die Apotheke Veränderungen stellen muss. Die Lage der Apotheken ist sehr unterschiedlich.


DAZ: Herr Bahr, vielen Dank für das Gespräch!



DAZ 2012, Nr. 41, S. 20

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