Fragen aus der Praxis

Problem Paravasation

Sind therapeutische Wirkstoffspiegel zu erwarten?

Frage:


Kann nach einer versehentlichen Paravasation einer Antibiotika- oder Schmerzmittelinfusion ins Armgewebe anstatt in die Vene noch ein relevanter Blutwirkspiegel erreicht werden?
Die Arzthelferin hatte dem betroffenen Patienten erklärt, das sei nicht schlimm, er solle die Hand halt hochhalten, das Medikament würde auch so wirken. Der Patient wurde nicht weiter behandelt und auch nicht dem Arzt vorgestellt. Inzwischen ist das Paravasat ohne Probleme abgeheilt.

Antwort gibt  Apothekerin Hanja Pühler, RAIZ der LAK Baden-Württemberg, Apotheke Schwarzwald-Baar Klinikum Villingen-Schwenningen

Ein Paravasat eines Arzneimittels ist der unbeabsichtigte Austritt dieser Substanz in extravasale Räume während der Verabreichung. Abhängig von den Substanzeigenschaften verteilt sich der Wirkstoff im Gewebe und wird dann resorbiert. Von der Kinetik her ist dieser Vorgang einer Subkutangabe am ähnlichsten. Daraus resultieren auch Blutspiegel, die aber sicherlich deutlich unter den Spiegeln liegen, die nach einer korrekten intravenösen Applikation resultieren. Bei einer Schmerzmittelinfusion ist eine geringere und kürzere Wirkung der Schmerzlinderung zu erwarten. Bei Antibiotika können die niedrigeren Spiegel dazu führen, dass bei diesem Applikationszeitpunkt die für die Wirkung erforderlichen Konzentrationen am Wirkort verfehlt werden. Ob dies den Therapieerfolg infrage stellt, dürfte von weiteren Faktoren abhängen, wie der Dauer des Therapieregimes: Bei Einmalgabe besteht die Gefahr des Therapieversagens, weniger kritisch ist dagegen eine einmalige Paravasation bei mehrmals täglicher Applikation über mehrere Tage.

Unsensibler Umgang

Aus unserer Sicht ist aber nicht nur die mangelnde therapeutische Wirksamkeit bei der Paravasation von Arzneimitteln ein Problem. Schlimmer ist der unsensible Umgang mit einem Paravasat, das zu schweren Gewebeschäden bis hin zu Amputationen führen kann. Das Ausmaß der Gewebeschädigung ist abhängig von folgenden Faktoren:

  • Substanzeigenschaften wie zytotoxische Wirkung, pH-Wert, Osmolarität, Hilfsstoffe;
  • absolutes Volumen und Wirkstoffmenge der ausgetretenen Substanz (daher sollten intravenöse Gaben überwacht werden, um schnell reagieren zu können):
  • Applikationsort (der Handrücken ist besonders kritisch!);
  • individuelle Reaktion des Patienten.

Die Arzneistoffe werden in unterschiedliche Schädigungstypen eingeteilt:

Nicht gewebsschädigende Substanzen (Non Vesikans) führen bei Paravasation zu keiner lokalen Reaktion, manche dürfen daher auch subkutan oder intramuskulär verabreicht werden. Gewebsreizende Substanzen (Irritans) können lokal Schwellungen, Rötungen, Blasenbildungen, brennende Schmerzen bis hin zu Phlebitiden/Thrombosen hervorrufen.

Nekrotisierende Substanzen (Vesikans) können bei Paravasation ausgedehnte Ulzerationen und Nekrosen hervorrufen. Diese Schädigungen können über Wochen und Monate andauern und auch entferntere Areale um die Paravasationsstelle erfassen. Der Endzustand kann mit Dystrophien bzw. Atrophien, Narbenbildungen, Schädigung von Nerven, Muskeln, Sehnen und Knochen, sowie Funktionseinschränkungen und sogar Verlust von Extremitäten einhergehen. Mitunter können ausgedehnte plastische operative Eingriffe erforderlich sein. Daher ist bei jedem Paravasat eine entsprechend sorgfältige Recherche über die zu erwartenden Folgen erforderlich. Die Vorgänge müssen dokumentiert, der Patient aufgeklärt und die Nachsorge sichergestellt werden.


Sofortmaßnahmen bei Paravasation


Als allgemeine Sofortmaßnahmen bei Paravasation von Arzneimitteln wird im Schwarzwald-Baar Klinikum Villingen-Schwenningen folgendes Vorgehen empfohlen:

  • Infusion stoppen, Zugang belassen
  • Paravasate-Set öffnen, sterile Handschuhe anziehen
  • Aspiration des paravenös gelaufenen Arzneimittels über den Zugang, danach Zugang entfernen.

  • Bei größeren Paravasaten mit zytotoxischen oder hochosmolaren Substanzen oder Catecholaminen: Frühzeitige Rücksprache mit Oberarzt, Plastische, Hand- und Ästhetische Chirurgie (bei gewebsnekrotisierenden Substanzen und am Handrücken immer innerhalb von 24 h!) wegen operativer Absaugung des Paravasates.

  • Evtl. Punktieren flüssigkeitsgefüllter Blasen im Paravasategebiet
  • Betroffene Extremität hochlagern und ruhig stellen
  • Spezifische Soforttherapie einleiten, wenn es diese nicht gibt, wie folgt verfahren:
  • – kühlen: Eiskompressen 4 x täglich 20 Minuten über mind. 3 Tage (außer bei Etoposid, Vinca-Alkaloiden, Oxaliplatin, Catecholaminen: hier trockene Wärme einmalig über 1 Stunde)

  • – bei Erythem: Hydrocortisoncreme 0,5% bis Erythem abgeklungen ist.
  • Paravasate-Dokumentationsbogen ausfüllen
  • Aufklärung und Instruktion der/des Patienten sowie der Angehörigen
  • Regelmäßige Kontrolle (Nachsorge) über mindestens 1 Woche (Achtung, Nekrosen sind in der Regel erst nach einer Woche sichtbar bzw. auszuschließen!).

Alle Therapiemaßnahmen stützen sich im Wesentlichen auf wenige vorhandene Daten sowie klinische Erfahrungswerte. Es gibt auf nationaler und internationaler Ebene Bemühungen um eine Dokumentation aufgetretener Paravasate und deren Behandlungserfolge mit dem Ziel, statistisch gesicherte Maßnahmen zu entwickeln.

Eine Komplikation, kein Kunstfehler

Ein Paravasat ist per se kein Kunstfehler, sondern eine Komplikation, die bei einer intravenösen Arzneimittelapplikation auftreten kann. Wird nicht adäquat behandelt, kann dies auch juristische Folgen für den Arzt haben.

Für nähere Angaben zur Paravasatetherapie müsste man die genauen Substanzen wissen, die para gelaufen sind. Es gibt sowohl bei den Schmerzmitteln, wie auch bei den Antibiotika Stoffe, die unproblematisch subkutan gegeben werden können (z. B. Morphin in der Palliativmedizin) und keine Schäden hervorrufen, es gibt aber auch Antibiotika wie Erythromycin, Azithromycin, Gentamicin oder Imipenem, die irritant eingestuft sind oder Virustatika, wie Aciclovir, die vesikant sind.


Antwort Kurz gefasst

  • Ob der Therapieerfolg gefährdet ist, hängt entscheidend von dem Therapieregime ab. Vor allem bei Einmalgabe besteht die Gefahr, dass der Erfolg wegen unzureichender Wirkspiegel fraglich ist.

  • Bedenklich ist der sorglose Umgang mit der Komplikation Paravasation. Eine nicht adäquate Behandlung kann durchaus juristische Konsequenzen für den behandelnden Arzt haben.


Literatur bei der Verfasserin


Autorin: Apothekerin Hanja Pühler, Apotheke Schwarzwald-Baar Klinikum Villingen-Schwenningen GmbH, Vöhrenbacher Straße 23, 78050 Villingen-Schwenningen



DAZ 2012, Nr. 41, S. 62

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