DAZ wissenswert

"… garanti sans Bisphenol A"

Praktizierter Umweltschutz oder Werbemasche?

Wir fuhren von einem kurzen Urlaub in Frankreich zurück und kauften in Amiens beim Supermercado Carrefour etwas Obst. Auf der Rückseite des Kassenbons war sehr deutlich und in großer Schrift zu lesen: "Papier garanti sans Bisphenol A". Das veranlasste uns, den Schnipsel nicht gleich wieder zu entsorgen, sondern zu behalten und über den Hinweis nachzudenken …
Abb. 1: Prinzip der Synthese von Bisphenol A (BPA).

… denn man muss sich doch fragen, was Bisphenol A mit Papier zu tun hat, ob der Vermerk notwendig und sinnvoll ist und wer gewarnt werden soll. Und warum gerade Bisphenol A und nicht Bisphenol B oder C?

Zuhause angekommen, lasen wir im druckfrischen Heft 39 der DAZ vom 27. 09. 2012 auf Seite 6 die Überschrift: "Bisphenol A – Machen Weichmacher dick?" Das Thema ist also aktuell.

Was ist Bisphenol A?

Unter den anderthalb Dutzend bekannten Bisphenolen ist das Bisphenol A (BPA) das bedeutendste. Bisphenole sind Verbindungen, die am zentralen C-Atom links und rechts je eine (zusammen 2 = bis) Hydroxyphenyl-Gruppen (= Phenole) tragen. Die Kennzeichnungen A, B, C u. a. sind von den Edukten abgeleitet. So wird Bisphenol A aus 2 Mol Phenol und 1 Mol Aceton dargestellt (Abb. 1).

Großtechnische Verwendung

BPA kann großtechnisch leicht und preiswert gewonnen werden und dient vor allem als Zwischenprodukt für die Synthese polymerer Kunststoffe wie Polycarbonate, Polyester, Polysulfonate und Epoxidharze. Diese Kunststoffe sind biologisch weitgehend inert. BPA kann daraus unter bestimmten Bedingungen wieder freigesetzt werden und in Lebensmittel oder Getränke gelangen.

Bedenkliche Verwendung

BPA ist kein äußerer Weichmacher, wie das oft irrtümlich formuliert wird, sondern wird Weichmachern als Antioxidans zugesetzt. Für Personen, die davon berührt sind, ist diese Richtigstellung allerdings ohne Belang. Die BPA-haltigen Kunststoffe kommen oft in direkten Kontakt mit Lebensmitteln und Getränken, da sie in Lebensmittelverpackungen enthalten sein können oder zur inneren Beschichtung von Konservendosen und Verbundkartons (Tetrapack) verwendet werden. Ferner ist BPA in DVDs (Digital Video Discs) enthalten, die von vielen Menschen täglich in die Hand genommen werden.

Gesundheitsgefährdung

Öffentliche Aufmerksamkeit erregte BPA durch die Feststellung seiner hormonellen Wirkung. Es wurde erkannt, dass es die Wirkung weiblicher Sexualhormone verstärkt und die Wirkung der männlichen Sexualhormone sowie der Schilddrüsenhormone hemmt.

Auch in den harten Teilen von Babyschnullern wurde BPA gefunden. Nachdem nachgewiesen war, dass es daraus abgegeben werden kann, hat das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz im März 2011 den Vertrieb von Babyflaschen mit solchen Saugern verboten.

Auch in den Beschichtungen bestimmter Thermopapiere ist BPA enthalten, so in den Quittungen vieler Supermärkte. Da der lipophile Stoff über die Haut resorbiert werden kann, gelangt er bei häufigem Kontakt in die Blutbahn. Bestätigt wurde diese Vorstellung durch den Nachweis einer deutlich erhöhten BPA-Belastung von Kassiererinnen in Supermärkten.

Im Trinkwasser kommt BPA praktisch nicht vor, es gelangt aber über das Abwasser in die Umwelt. Seit den 1970er Jahren lässt sich BPA in Gewässern und Flusssedimenten nachweisen.

Klinische Studien

Im vergangenen Jahr ließen US-amerikanische Wissenschaftler studentische Probanden in zwei Gruppen fünf Tage lang täglich entweder einen Teller Dosensuppe oder einen Teller frisch zubereitete Suppe essen. Danach wiesen sie im Urin der Dosensuppenesser durchschnittlich die 20-fache Konzentration an BPA nach. Ein Wechsel der Gruppen (Crossover) führte zum gleichen Ergebnis [1].

Vor Kurzem konnte ein Team der New York University School of Medicine anhand von Urinproben von fast 3000 Kindern und Jugendlichen zeigen, dass die Probanden mit den höchsten BPA-Werten doppelt so oft übergewichtig waren wie die gleichaltrigen Probanden mit den niedrigsten Werten. Um daraus handfeste Schlüsse ziehen zu können, müsste allerdings geprüft werden, ob das Übergewicht auf den reichlichen Verzehr von Fertiggerichten aus Plastikverpackungen zurückzuführen ist und ob das Essen oder das BPA in der Verpackung schuld ist [2].

Fazit: Kein Anlass zur Sorge

Die Chemie-Expertin Sarah Häuser beim Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) verweist darauf, dass die Belastung durch BPA bei Versuchstieren im Mutterleib zu einer späteren Gewichtszunahme und einer Steigerung der Insulinresistenz führt; übertragen auf den Menschen, bedeutet dies ein erhöhtes Risiko für Diabetes mellitus Typ 2.

Die in einem "Greenpeace Magazin" geäußerten Befürchtungen, dass sowohl die Fortpflanzung als auch die Gehirnentwicklung durch BPA beeinflusst werden und dass Zusammenhänge mit Herzerkrankungen sowie Brust- und Prostatakrebs bestehen, werden durch die Europäische Lebensmittelbehörde (EFSA) relativiert, die davon ausgeht, dass Bisphenol A keine gesundheitlichen Risiken in sich birgt. Die EFSA kam zu dem Schluss, dass für europäische Verbraucher derzeit kein Anlass zur Sorge besteht.


Literatur

[1] Carwile JL, et al. Canned soup consumption and urinary bisphenol A: a randomized crossover trial. J Am Med Ass 2011; 306: 2218 – 2220.

[2] Trasande L, et al. Association between urinary bisphenol A concentration and obesity prevalence in children and adolescents. J Am Med Ass 2012; 308: 1113 – 1121.


Autor

Prof. Dr. rer. nat. Dr. h. c. Hermann J. Roth, Friedrich-Naumann-Str. 33, 76187 Karlsruhe, www.h-roth-kunst.com, info@h-roth-kunst.com



DAZ 2012, Nr. 41, S. 102

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