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Wo sind die Pharmazeuten?

Kommentar zum Kongress "Alternsforschung"

Der Gemeinsame Gerontologie- und Geriatriekongress 2012 der deutschen, österreichischen und schweizerischen Fachgesellschaften für Gerontologie und Geriatrie fand Mitte September in Bonn statt. Das Motto "Alternsforschung, transnational und translational" verdeutlicht, dass die wissenschaftliche Gerontologie und Geriatrie, insbesondere aber die Umsetzung ihrer Ergebnisse in die tägliche Praxis über eine rein nationale Betrachtungsweise hinausgehen. Die Tagung hatte sich zum Ziel gesetzt, den fachübergreifenden Diskurs zwischen ALLEN Disziplinen zu fördern und zu befruchten, die sich mit Themen des Altern und ihrer Auswirkungen auf die Gesellschaft befassen. Pharmazeutischer Sachverstand war auf diesem bedeutenden, großen, interdisziplinären Kongress jedoch kaum sichtbar.

Elisabeth Thesing-Bleck fordert die Vertreter der Apothekerschaft dazu auf, sich mehr für den interdisziplinären Austausch einzusetzen. Foto: DAZ-Archiv

Im Vorfeld der Tagung sind in mehreren groß angelegten Kampagnen Fachbeiträge aus allen Disziplinen gesucht worden, die sich mit den Herausforderungen des Alterungsprozesses oder des alternden Menschen befassen. Jeder Beitrag, der eingereicht wurde, war hochwillkommen. Arzneimittel spielen selbstverständlich in einer alternden Gesellschaft eine bedeutende Rolle. Letztendlich tragen sie wesentlich dazu bei, dass wir uns derzeit überhaupt Gedanken über eine immer älter werdende Gesellschaft machen dürfen. Trotzdem haben keine Vertreter aus den pharmazeutischen Wissenschaften und auch keine Repräsentanten der Standesorganisationen die wiederholt ausgesprochenen Einladungen angenommen. Es hat kein offizieller Vertreter den Weg gefunden, die Bedeutung des Apothekers oder Vorstellungen der Kollegenschaft in den interdisziplinären Austausch einzubringen!

Zukunftsweisende Lösungen zu Problemen des demografischen Wandels lassen sich kaum noch aus einem einzigen Fachgebiet heraus allein bewältigen. Die zunehmenden Anforderungen an eine alternde Gesellschaft erfordern fachübergreifende Zusammenarbeit, die Erweiterung von Kenntnissen, die Begegnung mit benachbarten Wissenschaften sowie eine Intensivierung oder Neugründung von Netzwerken zur fachübergreifenden Kooperation. Alle Fachleute, die sich mit dieser Thematik auseinandersetzen, waren zu einem interdisziplinären Austausch eingeladen. Apothekerinnen und Apotheker haben sich an diesem Austausch so gut wie nicht beteiligt!

In der derzeitigen hitzigen Debatte um die Höhe der Honorierung für Apotheken ist fast gänzlich aus dem Blickwinkel geraten, dass der besondere Schutz, unter den der Gesetzgeber die Arzneimittelbranche stellt, nur der "Ware der besonderen Art" und damit ausschließlich dem Medikament selbst gilt. Der Apotheker steht somit an der wichtigsten Schnittstelle überhaupt. Er übergibt seine "Ware der besonderen Art" an den Patienten. Ein Medikament wird erst durch seine korrekte Anwendung im oder am Körper des Patienten zum Arzneimittel! Dieser Prozessschritt ist nur in enger Abstimmung zwischen allen Beteiligten sicher steuerbar. Zum fachübergreifenden Team gehört der Patient selbst, der für die Therapie verantwortliche Arzt und der beratende Apotheker!

Vertane Chance

Für den Erfolg der geriatrischen Pharmazie und für das Gelingen des ABDA-KBV-Modells ist die fachübergreifende Zusammenarbeit eine unabdingbare Voraussetzung. Der zentrale Bestandteil beider Modelle – die enge Abstimmung zwischen Arzt und Apotheker – macht in der gelebten Praxis die meisten Probleme. Eine zügige Verbesserung der notwendigen Zusammenarbeit kann jedoch nur gelingen, wenn die Apothekerkammern und die Öffentlichkeitsarbeit der ABDA endlich ihren Beitrag zum Abbau der Vorurteile auf beiden Seiten leisten. Soeben wurde wieder eine Chance dafür vertan!

Die politische Lobbyarbeit von 34 Kammern und Verbänden und ihrer Spitzenorganisationen in Berlin haben ihre politische Arbeit ausschließlich auf den Gesetzgeber und die Krankenkassen fokussiert. Damit versäumen sie es, benachbarten Heilberufen die Fachkompetenz des Arzneimittelfachmanns Apotheker zu verdeutlichen. Auch so ist zu erklären, warum – wie auf dieser Tagung auch deutlich sichtbar wurde – andere Heilberufe pharmazeutische Kernkompetenzen für sich erschließen und alleine und insbesondere ohne Apotheker ausführen wollen.

So beschäftigt sich die Hamburger Ärztin Dr. J. Anders mit der Medikamentensichtung bei selbstständig lebenden älteren Menschen. Sie zeigte auf, wie das geriatrische Assessment um ein Medikationstool erweitert werden kann. Vom Arzt sollen alle Medikamente in die Abschätzung des individuellen Medikationsrisikos einbezogen werden. Die vor Ort in der Hausapotheke vorgefundenen Medikamente werden ebenfalls überprüft, unabhängig davon, ob und von wem sie verschrieben wurden oder ob sie ohne Rezept erworben wurden. Die Referentin schlug weiter vor, ältere Menschen in Zukunft wie im Modellprojekt "Schwester Agnes" durch eine mobile ärztliche Ambulanz in ihrer eigenen Wohnung zu betreuen. In der anschließenden Diskussionsrunde wurde die Rolle der öffentlichen Apotheke auf die kostenlose Abgabe der meist gelesenen Zeitschrift Deutschlands, der sogenannten "Rentner-Bravo" – wie die Apotheken-Umschau abwertend betitelt wurde – zurückgestuft.

Apotheker auf Pekuniäres reduziert

Eine Vielzahl von Ärzten – auch das wurde auf dem Kongress sichtbar – nimmt Apotheken in erster Linie als pekuniären Faktor wahr. Zu den Aufgaben der Kammern einschließlich der Bundesapothekerkammer und damit des PR-Ausschusses der ABDA gehört es, die pharmazeutischen Leistungen transparent zu machen, die der Berufsstand erbringt! Dieser Kongress hätte ausgezeichnete Möglichkeiten geboten, die abwertende Sichtweise vieler Mediziner zu korrigieren und die Leistungen der Berufsangehörigen in der Fachöffentlichkeit ins rechte Licht zu rücken. Trotzdem glänzten nahezu alle bekannten pharmazeutischen Vertreter durch Abwesenheit! Sie nutzen diese Tagung nicht dazu, ihren Beitrag zur Verbesserung des Verhältnisses der Health Professionals untereinander und der interdisziplinären Zusammenarbeit zu leisten!

Dieser Eindruck bleibt!

Die tonangebenden Führungspersönlichkeiten unseres Berufes haben wohl immer noch nicht gelernt, die gesellschaftlichen Leistungen von Apothekerinnen und Apothekern im Gesundheitswesen angemessen darzustellen – und wohl auch nicht, wie wichtig eine fachübergreifende Zusammenarbeit, ein interdisziplinärer Austausch und gut gepflegte Netzwerke sind!


Elisabeth Thesing-Bleck



DAZ 2012, Nr. 40, S. 28

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