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Die neue Notdienstpauschale

Varianten und Konsequenzen – Eine politische und ökonomische Analyse

(tmb). Als manche die Hoffnung schon aufgegeben hatten und andere mit Warnstreiks deutliche Zeichen gesetzt haben, überraschte die Politik mit der Zusage, den Apotheken ein neues Notdiensthonorar zu gewähren. Nun steht die praktische Umsetzung zur Diskussion, wobei die Anreize für alle Beteiligten berücksichtigt werden müssen. Doch die Notdienstpauschale ist nicht einfach nur eine willkommene neue Honorierungsform, sondern sie könnte sich als bahnbrechende neue Idee für die Finanzierung der Apotheken mit vielfältigen Konsequenzen erweisen, wie eine genauere Betrachtung zeigt.
Mehr Geld für den Notdienst hat die Politik den Apotheken zugesagt. Wie die neue Pauschale umgesetzt wird, ist allerdings noch offen. Mögliche Varianten und Konsequenzen können Sie in unserer Analyse nachlesen. Foto: ABDA

Im Mittelpunkt der Debatte zum neuen Notdiensthonorar steht derzeit die Umsetzung im Detail. Dabei geht es insbesondere um die Fragen, wer wieviel Honorar für welche Notdienste zahlt bzw. erhält und wie Nachtdienste an Werktagen von Wochenendnotdiensten unterschieden werden. Dass Nachtdienste im Vergleich zu kompletten Sonn- oder Feiertagsdiensten zu weniger Aufwand führen, sollte selbstverständlich sein. Unterschiedliche Pauschalhonorare für diese beiden Fälle erscheinen daher folgerichtig. Unabhängig von Details lassen sich die derzeit kursierenden und auch die möglichen künftigen Ideen für Konzepte zur Pauschalhonorierung in zwei Varianten einteilen:

  • Variante 1: Die politisch zugesagte Summe – genannt wurden jährlich 120 Millionen Euro – wird durch die bisherige Zahl aller Notdienste dividiert, um ein festes Pauschalhonorar pro Notdienst zu ermitteln. Dieses kann in einem weiteren Schritt für Werk- und Sonntage differenziert werden.

  • Variante 2: Eine einmalig festgelegte jährliche Summe wird über einen Fonds anhand der tatsächlichen Notdienstzahl des jeweiligen Jahres verteilt. Das Honorar pro Notdienst kann dann über die Jahre schwanken.

Feste Pauschale vorteilhaft

Bei der ersten Variante ist nicht garantiert, dass die Summe aller Notdiensthonorare in jedem Jahr genau dem politisch zugesagten Betrag entspricht, doch gibt es viele andere wichtige Argumente für diesen Weg. Bei der zweiten Variante müsste eine Institution gefunden werden, die die Einzelhonorare ermittelt und die Honorarsumme verteilt. Dieser Aufwand entfällt bei der ersten Variante.

Gegen die erste Variante wird angeführt, sie schaffe einen Anreiz für die Apotheker, die Zahl der Notdienste zu erhöhen und damit in der Summe mehr als die zugesagten 120 Millionen Euro einzustreichen. Doch dies erscheint bei näherer Betrachtung unbegründet. Denn die ABDA hat 263 Euro pro Notdienst als angemessenes Honorar ermittelt. 120 Millionen Euro dividiert durch die gemäß ABDA jährlich geleisteten 730.000 Notdienste ergeben aber nur etwa 164 Euro. Demnach wäre das zu erwartende Honorar durchaus ein nennenswerter Beitrag zur Finanzierung der Notdienste, aber nicht kostendeckend und daher auch kein Anreiz, mehr Notdienste zu leisten. So bedauerlich die Unterfinanzierung der Notdienste aus Apothekerperspektive erscheint, ist diese Konstellation in Hinblick auf die Anreizwirkung doch geschickt gewählt. Denn die Apotheken erhalten eine relevante Entlastung, aber aufwendige Mechanismen zur Vermeidung "überflüssiger" Notdienste erübrigen sich.

Wie die neue Pauschale genau finanziert werden soll, ist noch ungeklärt, aber die GKV wird den weitaus überwiegenden Anteil aufbringen müssen. Für die Beteiligung der PKV dürfte eine Pauschallösung der verfahrenstechnisch einfachste Weg sein, auch wenn dies mit der Stellung der PKV im Gesundheitssystem nur schwer zu vereinbaren ist. Unabhängig von den Details der Umsetzung hätten die Krankenversicherungen als Kostenträger der neuen Pauschale bei der ersten Variante ein Interesse, dass nicht zu viele Notdienste geleistet werden. So würde die Honorierung nach der ersten Variante zu einer neuen und durchaus zukunftsträchtigen Interessenverbindung führen. Es würden nicht mehr allein die Apotheker die Last der Notdienste tragen, sondern die Kosten für diese Gemeinwohlaufgaben würden von den Krankenkassen mitgetragen. Bei künftigen Bestrebungen zur Zusammenlegung von Notdienstkreisen oder zu anderen Formen der Reduzierung von Notdiensten würden Krankenkassen und Apotheken dann an einem Strang ziehen. Denn weniger Notdienste würden bei der ersten Variante auch geringere Kosten für die Krankenkassen bedeuten. Für die Apotheken würde dann zwar die Summe der Notdienst-Pauschalhonorare sinken. Da sicher nur kaum frequentierte Notdienste zur Disposition gestellt würden, würde dies den Gewinn der Apotheken aber nicht schmälern. Eine solche Interessenverknüpfung zwischen Apotheken und Krankenkassen könnte damit den effektiven Mitteleinsatz im Gesundheitswesen fördern, denn auch Arbeitszeit von Apothekern ist eine knappe Ressource.

2,50 Euro weiterhin nötig

Aus Koalitionskreisen verlautete inzwischen, dass das etablierte Notdiensthonorar von 2,50 Euro pro Patient unabhängig von der künftigen Pauschalhonorierung bestehen bleiben soll (siehe DAZ.online vom 26. 9. 2012). Diese Entscheidung ist aus zwei Gründen sehr wichtig. Erstens haben sich die 2,50 Euro für Selbstzahler und bei Rezepten ohne "noctu"-Vermerk als Schutz gegen Missbrauch bewährt. Es ist kein Grund erkennbar, warum die neue Pauschalhonorierung diesen Schutz überflüssig machen sollte. Zweitens tragen die 2,50 Euro zur Finanzierung des Notdienstes bei. Dazu gehören auch die von den Krankenkassen getragenen Gebühren bei Rezepten mit "noctu"-Vermerk. Wenn diese Gebühren im Gegenzug zum neuen Pauschalhonorar wegfielen, käme der zugesagte Betrag nicht in voller Höhe zur Auszahlung. Das neue Honorar würde dann zur Mogelpackung. Hier ist daran zu erinnern, dass das neue Pauschalhonorar in der zu erwartenden Höhe nicht kostendeckend sein wird. Der Notdienst wird auch in Verbindung mit der etablierten Gebühr von 2,50 Euro sicher nicht zu einem lukrativen Geschäft.

Weitere Zusatzhonorare

Über die derzeit viel diskutierten Detailfragen zur Umsetzung des neuen Honorars drohen die bedeutenden strukturellen Aspekte aus dem Blickfeld zu geraten. Doch das neue Honorar ist in zweierlei Hinsicht geradezu bahnbrechend. Damit wird erstmals anerkannt und tatsächlich berücksichtigt, dass das Kombimodell zur Preisbildung bei rezeptpflichtigen Fertigarzneimitteln keine umfassende Finanzierung des gesamten Leistungsspektrums der Apotheke mehr bietet. Die Honorierung durch die "alte" Arzneimittelpreisverordnung vor 2004 ermöglichte eine Mischkalkulation zur Finanzierung umfangreicher Gemeinwohlpflichten. Seit 2004 orientiert sich die Honorierung am packungsbezogenen Aufwand. Daher müssen zusätzliche Aufgaben zusätzlich honoriert werden. Das neue Pauschalhonorar für den Notdienst ist der erste Schritt der Politik, diese Notwendigkeit anzuerkennen. Die nächsten Schritte wären ein neues kostendeckendes Honorierungssystem für Rezepturen und eine kostendeckende Betäubungsmittelgebühr. Diesbezügliche Forderungen haben die Apotheker bereits auf dem Deutschen Apothekertag 2011 gestellt. Weitere Schritte sollten folgen, um spezielle Dienstleistungen wie das Medikationsmanagement angemessen zu honorieren. Das Signal der Politik zum Notdienst macht diesbezüglich Hoffnung.

Strukturelle Weichenstellung

Die zweite grundlegende Neuerung durch die neue Notdienstpauschale ist dagegen aus Apothekersicht ambivalent zu beurteilen. Denn die Notdienstpauschale läuft erstmals auf eine Unterscheidung zwischen den Apotheken hinaus. Apotheken mit vielen Notdiensten werden stärker unterstützt. Dies sind naturgemäß eher Apotheken, deren Versorgungsfunktion schwer durch andere Apotheken substituierbar ist, denn sonst hätten sie nicht so viele Notdienste. Typischerweise versehen Apotheken mit zentraler Versorgungsfunktion für ländliche Regionen besonders viele Notdienste. Es ist zu begrüßen, dass die Politik die Leistung dieser Apotheken würdigt. Die Politik nimmt damit ihre Verantwortung für die Sicherung der flächendeckenden Versorgung wahr. Dies ist aber nur die eine Seite der Medaille.

Auf der anderen Seite kann die neue Notdienstpauschale als erster Schritt zu einer Subventionierung besonders versorgungsrelevanter Apotheken interpretiert werden. Dieser unscheinbare Einstieg könnte weiter in Richtung auf das dänische Modell gedacht werden, bei dem umsatzstarke Stadtapotheken in einen Fonds einzahlen müssen, der Apotheken in dünn besiedelten Regionen unterstützt. Wenn solche Mechanismen in Deutschland etabliert würden, könnten Anreize entstehen, bevorzugt Apotheken in ländlichen Regionen zu betreiben. So entstünde eine bedarfsabhängige regulatorische Einflussnahme, ohne die Niederlassungsfreiheit formal anzutasten. Das "Landärztegesetz" mag hier als Vorbild dienen und zeigt, wie nahe diese Gedanken auch für Apotheken liegen. Dass solche Gedanken bereits in der Politik angekommen sind, zeigte gerade erst ein Statement der schleswig-holsteinischen Gesundheitsministerin Kristin Alheit (siehe Seite 94 in dieser DAZ). Sie sehe Unterschiede zwischen der Versorgung in der Stadt und auf dem Land und forderte darüber zu sprechen, wie die Honorierung dies abbilden könne. In diesem Zusammenhang verwies sie auch auf das geplante neue Notdiensthonorar.

Aus versorgungspolitischer Sicht und auch aus dem speziellen Blickwinkel der Apotheker gibt es gewiss viele Argumente für die Unterstützung wirtschaftlich gefährdeter Apotheken mit einer besonderen Versorgungsfunktion. Gerade deshalb könnte ein negativer Aspekt dieses Konzepts umso bedeutsamer werden. Denn ein Subventionssystem für besonders versorgungsrelevante Apotheken würde es der Politik und den Krankenkassen ermöglichen, den wirtschaftlichen Druck auf die Apotheken insgesamt weiter zu erhöhen – mit dem Ziel, für alle Apotheken zusammen nicht mehr Geld als zuvor auszugeben. Das stärkste Argument der Apotheker in der Auseinandersetzung um mehr Honorare sind derzeit die Versorgungslücken, die bei der Schließung von Apotheken drohen. Wenn die besonders versorgungsrelevanten Apotheken aber durch ein wie auch immer konzipiertes Subventionssystem geschützt würden, verlöre dieses Argument seine entscheidende Kraft. Gewiss wären der Wettbewerb und die Auswahlmöglichkeiten für die Patienten weiterhin bedeutende Argumente, aber sie verblassen hinter drohenden Versorgungslücken für ganze Landstriche oder Vorstädte. Dann könnten künftige Erhöhungen des Festzuschlags möglicherweise versagt werden und so könnte gerade ein Subventionssystem zur Schließung vieler Apotheken führen, die nicht subventioniert werden.

Dieser Argumentation ist zu entgegnen, dass eine Notdienstpauschale allein aufgrund des zu verteilenden finanziellen Volumens noch kein Subventionssystem ist, das den Apothekenmarkt aus den Fugen heben könnte. Doch ging es in dieser Analyse auch darum, das für die Apotheken grundlegend neue ökonomische Konzept dieses Honorierungssystems darzustellen.

Fazit

Insgesamt ist die neue Notdienstpauschale als wichtiger und zukunftsweisender Beitrag zur Finanzierung der Apotheken sehr zu begrüßen. Ein gesondertes Honorar für diese besondere Verpflichtung ist schon lange überfällig. Neben den praktischen Details sollten auch die langfristigen strategischen Folgen gewürdigt werden.



DAZ 2012, Nr. 40, S. 16

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