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Deutschland will aufholen

eHealth im europäischen Vergleich

Bei der Vernetzung diverser Leistungserbringer im Gesundheitswesen hat Deutschland im europaweiten Vergleich längst keine Spitzenposition mehr inne. Das liegt am Widerstand verschiedener Berufsgruppen, an der Skepsis von Datenschützern, aber auch an technischen Problemen. Eine neue Planungsstudie des Bundesgesundheitsministeriums soll helfen, Infrastrukturen fit für die Zukunft zu machen.

Zwar läuft der Rollout der elektronischen Gesundheitskarten (eGK) in Deutschland mittlerweile nach Plan. Angehörige diverser Gesundheitsberufe sind dennoch enttäuscht: Die umstrittenen Plastikstücke leisten momentan nicht mehr als ihre Vorgängermodelle – vom Porträtfoto einmal abgesehen.

Bereits vor einem Jahr beklagte Dr. Franz-Joseph Bartmann, Vorsitzender des Ausschusses Telematik der Bundesärztekammer, mangelhafte IT-Infrastrukturen. Es gebe 400 Telematik-Projekte zur Patientenversorgung, größtenteils schlecht vernetzte Insellösungen. Eine Studie der Unternehmensberatung Accenture mit 3700 Ärzten und 160 Führungskräften zeigte ebenfalls wenig Schmeichelhaftes: Deutschland liegt bei der internen Nutzung moderner Technologien in Kliniken oder Praxen auf Weltniveau. Der elektronische Austausch verschiedener Leistungserbringer steckt aber nach wie vor in den Kinderschuhen.


Internet


www.ehealth-strategies.eu

Infrastruktur von morgen

"Heute können die vielen unterschiedlichen Systeme oft nicht miteinander kommunizieren. Deshalb wollen wir mit der Vergabe der Planungsstudie dazu beitragen, dass die vorhandenen, modernen Informations- und Kommunikationstechnologien noch besser für eine qualitativ hochwertige Versorgung der Patientinnen und Patienten genutzt werden können", sagt Ulrike Flach (FDP), Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesministerium für Gesundheit. Die Studie ist Teil einer bundesweiten eHealth-Initiative, um Barrieren zwischen verschiedenen Anwendungen abzubauen. Regierungsvertreter planen, nach einer detaillierten Ist-Analyse strukturelle Verbesserungsvorschläge erarbeiten zu lassen. Hier sollen auch Ideen aus anderen Ländern mit einfließen.

Österreich: erfolgreiche "e-card"

In der Alpenrepublik wurden sogenannte "e-cards" bereits im Jahr 2005 eingeführt: als Gesundheitskarte, aber auch als Sozialversicherungsnachweis. Auf der e-card selbst sind keine Patientendaten gespeichert, diese dient vielmehr als Schlüssel zur Authentifizierung. Probleme gibt es bei der Akzeptanz elektronischer Patientenakten: Während Bürger ein hohes Mitspracherecht fordern, plädieren Ärzte für möglichst vollständige Datensätze. In Wien, Oberösterreich und Tirol wurde bis Ende 2011 zudem eine e-Medikationsdatenbank getestet. "Aus den Ergebnissen der wissenschaftlichen Evaluierung des Pilotprojekts e-Medikation ergibt sich die Empfehlung, das Projekt weiter zu verfolgen – allerdings erst nach einem umfassenden Re-Design unter bestmöglicher Berücksichtigung der im Evaluierungsbericht empfohlenen Maßnahmen", hieß es Mitte 2012 von einem Gutachtergremium.

Schweden: Vorbild für Europa

Modernste Technik im hohen Norden: Seit 2008 gibt es in Schweden sogenannte "National Patient Summaries", also elektronische Daten zu Diagnosen, speziell chronischen Krankheiten oder Allergien. Die flächendeckende Einführung steht kurz bevor. Besonders interessant ist aus pharmazeutischer Sicht eine Medikamentendatenbank, auf die Ärzte, Apotheker und Patienten Zugriff haben.

Schweiz: Das Netz wächst

Bei den Eidgenossen existiert die elektronische Versichertenkarte seit Anfang 2010. Allerdings sind die 26 Kantone für den Aufbau der Infrastruktur zuständig – Reibungsverluste inklusive. Bis 2015 soll es für alle Versicherten elektronische Patientendossiers geben, über die Ärzte mit ihrer Health Professional Card Zugriff haben. Das Thema Datenschutz ist auch hier noch nicht vom Tisch.

Frankreich an der Spitze

Die "Grande Nation" hat bei Gesundheitstechnologien einen gewaltigen Vorsprung. In Frankreich sind Wünsche und Ziele des deutschen Projekts bereits heute Realität. Seit 2011 existiert eine Verknüpfung der Patienten-Gesundheitskarte ("carte vitale") mit einer elektronischen Patientenakte ("dossier médical personnel"). Ärzte haben über eine separate Legitimation Zugriff auf alle Daten. Aus ihrer Kliniksoftware können beispielsweise Informationen, die andere Praxen zur Weiterbehandlung benötigen, hochgeladen werden. Damit ersetzt die "carte vitale" keine branchenüblichen Lösungen zur Datenarchivierung. Patienten wiederum können entscheiden, welche Daten sie beispielsweise nur Ärzten, aber nicht Pflegekräften, zugänglich machen. Spezielle Anwendungen wie "e-prescriptions" sind möglich.

Deutschland: Apotheken außen vor

In Deutschland stehen nach dem Basisrollout weitere Funktionen wie die Aktualisierung von Stammdaten an. Bis spätestens 2016 sollen Notfalldatensätze möglich sein. Pharmazeutische Funktionen, die zur Verbesserung der Arzneimitteltherapiesicherheit beitragen könnten, wird es erst zu einem späteren Zeitpunkt geben.


Michael van den Heuvel



DAZ 2012, Nr. 40, S. 99

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