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Preisverhandlungen für Ticagrelor gestartet

GKV und Hersteller verhandeln erstmals über den Preis einer Arzneimittelinnovation

BERLIN (ks). Am 23. Januar haben die ersten Verhandlungen zwischen dem GKV-Spitzenverband und einem Arzneimittelhersteller über den Erstattungsbetrag eines neuen Medikaments begonnen. Den Anfang macht der Wirkstoff Ticagrelor (Brilique® von AstraZeneca), dessen Zusatznutzen der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) für eine bestimmte Gruppe von Herzinfarktpatienten im Dezember 2011 festgestellt hat. Die Verhandlungsführer auf beiden Seiten erhoffen sich einen "fairen Preis".

Man darf gespannt sein, auf welche Weise und in welcher Höhe die Kassen und der Brilique®-Hersteller den Rabatt für den neuen aushandeln werden. Der G-BA hatte in seiner ersten frühen Nutzenbewertung den Nutzen des Wirkstoffs für verschiedene Patientengruppen unter die Lupe genommen. Dabei konnte er für eine Gruppe einen "beträchtlichen Zusatznutzen", für eine weitere einen "Zusatznutzen" und für drei Gruppen "keinen Zusatznutzen" ausmachen. Nach einer eigenen Berechnung von AstraZeneca auf Grundlage von Krankenkassen-Versorgungsdaten ist damit der Zusatznutzen von Ticagrelor für etwa 80 Prozent aller Patienten mit akutem Koronarsyndrom anerkannt. Wie dieses Ergebnis nun in einen einheitlichen Preis münden wird, der für beide Seiten akzeptabel ist, dürfte sehr interessant werden.

"Das werden sehr intensive Gespräche werden", sagte auch AstraZeneca-Verhandlungsführer Claus Runge im Vorfeld der Verhandlungen. Das Mitglied der Geschäftsführung betonte gegenüber der Nachrichtenagentur dpa die Offenheit des Verfahrens. "Es gibt keinen Algorithmus in der Preisfindung", sagte er, also keine eindeutige Vorschrift. "Wir haben kein Lineal, das wir anlegen können." Wie der Erstattungspreis im Einzelnen ermittelt werde, sei schwer vorhersehbar, so Runge. So werde erst im Februar geklärt, welche Rolle die Vergleichspreise für das Mittel in anderen europäischen Ländern spielen – hier ist die angerufene Schiedsstelle noch am Zuge.

GKV will Bestandsmarkt überprüfen

Der GKV-Spitzenverband als Verhandlungsführer für die gesetzliche Krankenversicherung – mit Wirkung auch für die privaten Versicherer – erhofft sich von der mit dem AMNOG eingeführten Preisfindungsregel spürbare Einsparungen. Bis dato sei dieses Preissegment überteuert gewesen. Nur für Mittel, die wirklich mehr bringen, sollten die Kassen auch mehr bezahlen. Abseits der Innovationen, für die ein Zusatznutzen anerkannt wird, erwartet der GKV-Spitzenverband nicht zuletzt dadurch große Effekte, dass auch Markteinführungen ohne Zusatznutzen ausgemacht werden. Deshalb werde der GKV-Spitzenverband auch die Überprüfung bereits auf dem Markt befindlicher Medikamente anstoßen, so Johann-Magnus von Stackelberg, Vize-Vorstandsvorsitzender des GKV-Spitzenverbandes. Bislang sind das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit sowie der letztlich entscheidende G-BA allerdings schon mit den neuen Präparaten gut beschäftigt. Schleifen lassen dürfen sie die Verfahren nicht – die Fristen bis zur endgültigen Preisfindung sind klar vorgegeben.

Kritik des BPI

Der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI) äußerte demgegenüber Zweifel, ob die neuen Preisverhandlungen tatsächlich auf Augenhöhe stattfinden werden. Der GKV-Spitzenverband habe weitaus mehr Einflussmöglichkeiten auf das Verhandlungsergebnis als das jeweils betroffene Pharmaunternehmen, gibt der BPI zu bedenken. So entscheide er bereits als Trägerorganisation im G-BA maßgeblich über die Grundlagen der frühen Nutzenbewertung. Zudem verhandele der GKV-Spitzenverband als Monopolist für die gesamte deutsche Bevölkerung einschließlich der PKV. Dies gebe dem Verband eine extreme Marktmacht. BPI-Hauptgeschäftsführer Henning Fahrenkamp mahnte die Kassenvertreter zu Verantwortung und Augenmaß. Der Versuchung, die eigene Position zum "Spardiktat" zu verwenden, müsse der GKV-Spitzenverband widerstehen. Denn die Versicherten bräuchten Innovationen, so der BPI-Hauptgeschäftsführer. Auch die Politik müsse mit "Argusaugen" beobachten, dass der GKV-Spitzenverband seine Position nicht überziehe.

Dass die Pharmaunternehmen faire Verhandlungspartner sein werden, steht für Fahrenkamp außer Frage: "Wir als Industrie stellen uns der Verantwortung mit am Zusatznutzen orientierten Erstattungspreisen für die finanzielle Stabilität der GKV Sorge zu tragen." Allerdings dürfe dabei nicht vergessen werden, dass die ausgehandelten Preise letztlich "auskömmlich für die Industrie sein müssen".



DAZ 2012, Nr. 4, S. 43

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