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Ausschreibungsblüten

Doris Uhl

Es ist Herbst und es ist wieder Zeit für die Grippeschutzimpfung. Nach den Turbulenzen um die "Schweinegrippe" vor drei Jahren kehrte erst einmal Ruhe an der Influenzafront ein. Das neue H1N1-Virus hatte sich als harmloser erwiesen als von vielen befürchtet. Und auch die anderen Influenza-Viren schienen sich nicht gravierend zu verändern. Der saisonale Influenza-Impfstoff für 2011/2012 hatte die gleiche Zusammensetzung wie der der Saison 2010/2011. Doch mit der Ruhe scheint es vorbei zu sein. Der Impfstoff für die Saison 2012/2013 musste an zwei neue Virusstämme angepasst werden, er enthält jetzt neben dem H1N1-Antigen ein neues Influenza-A-H3N2- und ein neues Influenza-B-Antigen.

Dieser Impfstoff soll vor einer von Experten erwarteten starken Grippewelle schützen. Besonders Risikogruppen werden aufgefordert, sich impfen zu lassen. Und weil die Impfquoten der letzten Jahre sehr zu wünschen übrig lassen, hat sich jetzt Jens Spahn, gesundheitspolitischer Sprecher der CDU, medienwirksam impfen lassen. Er möchte dazu beitragen, dass mehr Menschen von dieser wichtigen Präventionsmaßnahme Gebrauch machen.

Aber das geht leider nicht überall, zumindest nicht sofort. In Hamburg und Schleswig-Holstein ist für alle gesetzlich Versicherten nur eine Impfung mit dem Novartis-Impfstoff Begripal® ohne Kanüle vorgesehen, in Bayern ebenfalls. Hintergrund ist eine gemeinsame Ausschreibung aller gesetzlichen Krankenkassen in diesen Regionen. Doch Novartis kann nicht liefern und die Meldungen dazu, wie das Problem zu lösen ist, überschlagen sich.

Ersatzimpfstoffe von Novartis werden ins Spiel gebracht, namentlich Optaflu® und Fluad® , und damit leben Diskussionen wieder auf, die an die Zeiten der "Schweinegrippe" erinnern. Im Kern geht es darum, wie sicher diese Impfstoffe sind. Optaflu® ist ein zellkulturbasierter Impfstoff, der mit dem Ziel entwickelt worden ist, sich von der schwierigen störanfälligen Hühnerei-basierten Impfstoffproduktion unabhängig zu machen. Er wurde schon für die Saison 2007/2008 zugelassen, kam damals jedoch nicht auf den Markt. 2009/2010 wurde anstelle von Optaflu® auf Basis des gleichen Verfahrens der Pandemie-Impfstoff Celtura® entwickelt und eingeführt. Optaflu® wurde allerdings auch in der Folgezeit noch nicht in großer Menge eingesetzt. Mit der Zulassung wurde und wird zwar die Sicherheit und Unbedenklichkeit attestiert. Doch die Verwendung einer tumorigenen Zelllinie aus einer Hundeniere (Madin-Darby canine kidney cells, MDCK-Zellen) zur Anzüchtung der Influenza-Viren schürt Ängste. Im Tierversuch können solche Zellen schon in geringer Konzentration Krebs auslösen. Was passiert, wenn die gefährlichen Zellen im Herstellungsprozess nicht vollständig eliminiert werden? Der Hersteller und das für die Zulassung zuständige Paul-Ehrlich-Institut beteuern die Sicherheit des Verfahrens und verweisen darauf, dass selbst in immunsupprimierten Mäusen weder die inaktivierten MDCK-Zellen noch das gereinigte Genom ein tumorigenes Potenzial gezeigt hätten.

Der zweite Ersatzimpfstoff "Fluad® " wird zwar mithilfe von Hühnereiern gewonnen, aber er hat ein anderes Problem, das zu einem Déjà vu führt: Er ist adjuvantiert. Auch der Pandemie-Impfstoff Pandemrix® war ein adjuvantierter Impfstoff, und es wurde seinerzeit heftig diskutiert, wie sicher das in ihm enthaltene squalenbasierte Adjuvans AS03 ist. Auch diesem Impfstoff wurde mit der Zulassung die Sicherheit und Unbedenklichkeit attestiert, bis aus Finnland erste Narkolepsie-Fälle gemeldet wurden. Jüngste Untersuchungen bestätigen, dass mit Pandemrix® geimpfte Kinder und Jugendliche im Vergleich zu nicht geimpften ein etwa 13-fach erhöhtes Narkolepsie-Risiko haben. Auch wenn ein ursächlicher Zusammenhang als nicht erwiesen gilt, ist eines jetzt schon klar: das Vertrauen in adjuvantierte Impfstoffe ist damit nicht gestiegen – auch wenn Fluad® ein anderes squalenbasiertes Adjuvans enthält.

Bei der gemeinsamen Ausschreibung in Schleswig-Holstein, Hamburg und Bayern wurde der Zuschlag für einen einzigen, allerdings gut erprobten, nicht-adjuvantierten Grippeimpfstoff eines renommierten Herstellers erteilt. Mag sein, dass man damit glaubte, auf der sicheren Seite zu sein. Dass es allerdings bei so heiklen Produkten wie Influenza-Impfstoffen zu Lieferschwierigkeiten kommen kann, ist nicht überraschend. Wenn dann der Sparzwang dazu führt, dass nicht problemlos auf adäquate Impfstoffe anderer Hersteller umgestellt werden darf, Diskussionen um umstrittene Ersatzimpfstoffe aufflammen und bei den Impfwilligen auch nur ansatzweise das Gefühl entsteht, als "Versuchskaninchen" herhalten zu müssen, dann hilft auch kein medienwirksames Impfen von Politikern mehr. Wer als Politiker wirklich um Vertrauen für eine sinnvolle Präventionsmaßnahme werben will, der muss dafür Sorge tragen, dass Ausschreibungen gesetzlicher Krankenkassen nicht solche Blüten treiben können.


Doris Uhl



DAZ 2012, Nr. 39, S. 3

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